Steilvorlage für den Kreml: Werden Russen an der EU-Grenze enteignet?

Seite 2: Litauen sperrt Grenze für Autos – EU entschärft Regel, ohne Klarheit zu schaffen

Wie als Antwort erklärte Litauen gegenüber der BBC, in Russland zugelassene Autos generell nicht mehr ins Land zu lassen. Zurückhaltender äußerte sich als Transitstaat Finnland. Das dortige Außenministerium stellte fest, dass keine Beschlagnahmung von einreisenden Kraftfahrzeugen mit russischer Nummer erfolgt. Sollte sich das ändern, werde man das vorab bekannt geben.

Die Europäische Kommission hat als Reaktion auf die Diskussion ihre online verfügbare Rechtsauskunft überarbeitet. In einer Klarstellung wird empfohlen, dass sich die Zollbehörden auf importierte Autos konzentrieren sollen.

Bei anderen Warengruppen, die "im Hinblick auf die Umgehung von Sanktionen geringfügige Bedenken aufwerfen" – persönliche Hygieneartikel oder Kleidung – wird empfohlen, das Verbot in "verhältnismäßiger und angemessener Weise" anzuwenden. Auch die Klarstellung sagt dabei jedoch nichts über das potenzielle Einfuhrverbot für Laptops und Handys aus.

Im Pressekrieg zwischen Russland und dem Westen kommen alle unklaren Dementis jedoch ohnehin zu spät. Denn hier ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Der Kreml und sein Umfeld hatten endlich ihr Paradebeispiel einer Sanktion gefunden, die ausschließlich einfache Russen trifft und verunsichert, ob sie Hab und Gut bei der Einreise in die EU verlieren.

Alle staatsnahen russischen Medien werden mit der Angelegenheit bespielt, wobei diese verschweigen, dass mit Ausnahme der Autos in Deutschland reale, verbürgte Geschichten für Konfiszierungen gar nicht existieren.

Liberale russische Exilmedien sind verunsichert

In Schadensbegrenzung üben sich bei der Affäre noch am glaubwürdigsten exilrussische, liberale Medien. Gerade ihre Leser und ihr näheres Umfeld ist noch häufiger zwischen Russland und der Europäischen Union unterwegs. Doch auch sie wirken angesichts des geltenden Rechts der EU ratlos.

Die Onlinezeitung Meduza schreibt in einem FAQ zu Thema auf die ängstliche Nachfrage von Lesern "wird der Zoll wirklich meine Zahnpasta beschlagnahmen und mich ausziehen" nur "Wir hoffen natürlich, dass es nicht so weit kommt.

Aber wir wissen nicht, was in der Realität passieren wird." Meduza verweist darauf, dass bei der bisherigen Rechtsauslegung an der Grenze Gegenstände "nur für persönliche Zwecke" ohne Absicht sie zu verkaufen, verschont wurden.

Meduza zitiert auch eine unbestätigte Horrorstory des russischen Tourismusportals Tourdom vom Juli, nach der angeblich estnische Grenzbeamte Russen den Transport von Gegenständen in Privatfahrzeugen untersagt hätten und diesen angeboten worden sei, sie zu verbrennen. Darunter seien Kleidung, Schuhe und Taschen gewesen.

Ob es sich hier um nur ein Gerücht aus Sozialen Medien handelt, der Ursprung dieser Meldung war das Netzwerk Telegram, lässt Meduza offen. Die Zeitung rät ihren Lesern jede Beschlagnahme zu dokumentieren, sich schriftlich bestätigen zu lassen und anzufechten.

In Deutschland überwiegend Thema bei potenziell Betroffenen

Während Russlands Medien und Offizielle wegen der Angelegenheit mehr oder weniger Kopf stehen, ist das Echo auf die harte Sanktionsauskunft der Europäischen Kommission eher gering. Nur die Berliner Zeitung und das Wochenmagazin Der Freitag berichteten zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels über die Angelegenheit.

Deutsche Journalisten verfügen hier oft über wenig Einfühlungsvermögen, was aktuell bei russischen Reisenden beim Übertritt der EU-Außengrenze vorgeht, unabhängig von ihrer eigenen Einstellung zum Ukraine-Krieg.

Mehr Empörung herrscht bei Ostexperten, die oft noch über zahlreiche, aber immer schwerer zu pflegende Kontakte nach Russland verfügen. So bezeichnet der österreichische Russland-Fachmann Gerhardt Mangott die aktuellen Maßnahmen und Auskünfte der EU gegenüber Telepolis als kontraproduktiv, da sie den Russen im Ausland zeige, dass sie nicht willkommen seien. Den Russen im Inland zeige sie, dass "die EU nicht nur gegen Putin ist, sondern auch gegen die russische Bevölkerung".

Unmut gibt es auch beim deutschen Europaparlamentsabgeordneten Sergei Lagodisky von den Grünen über die Regelung. In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, über den Meduza berichtet, bezeichnet er die restriktiven Maßnahmen "nutzlos im Hinblick auf die Eindämmung der russischen Aggression".

Beschränkungen für die Einfuhr persönlicher Gegenstände und Fahrzeuge sind nach Ansicht des Abgeordneten "rechtlich und politisch fehlerhaft". Vor allem persönliche Gegenstände von Russen, die als Gegner des Putin-Systems dauerhaft in der EU leben sollten keinesfalls beschlagnahmt werden, meint er.

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