"Straßenblockaden bekommen unter allen Aktionsformen am meisten Aufmerksamkeit"

Seite 3: Klimagerechtigkeit geht nicht ohne soziale Gerechtigkeit

Greta Thunberg sagte gerade in einem Interview, soziale Gerechtigkeit in der Krise müsse jetzt in den Vordergrund rücken, denn Klimagerechtigkeit gehe nicht ohne soziale Gerechtigkeit. Was sagt Ihr dazu?

Lina Johnsen: Klimagerechtigkeit geht nicht ohne soziale Gerechtigkeit. Da hat sie recht. Was heißt das konkret? Angemessener Klimaschutz wird nicht ohne Einsparungen von Energieverbrauch möglich sein. Erneuerbare Energien werden auch nicht in einem unendlichen Übermaß zu Verfügung stehen.

Einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zufolge, verbrauchen die reichsten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung genau so viel Energie, wie die ärmsten 40 Prozent. Bei den reichsten zehn Prozent und der Industrie sind Einsparungen möglich, nicht bei der einfachen Mehrheit der Gesellschaft.

Jegliche Versuche, über Preise Energieeinsparungen zu bewirken, sind sozial ungerecht, weil eine Preiserhöhung die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung nicht betrifft. Diese können sich immer rauskaufen. Der Markt wird es also nicht richten.

Sie fordern eine menschliche Gesellschaft. Aber ist nicht gerade Empathielosigkeit, Indifferenz gegenüber dem Leiden anderer der Zeitgeist, der jetzt in Mode ist?

Lina Johnsen: Richtig. Wir appellieren an die Menschlichkeit und die Erhaltung einer friedlichen Gesellschaft. Wir sehen, dass es an der Zeit ist, dass wir uns emotional miteinander verbinden und erkennen, dass wir alle auf demselben Planeten leben. Einem Planeten, dessen Systeme zu kippen drohen.

Wenn die Kipppunkte erreicht werden, welche die Welt auch ohne unser Zutun weiter aufheizen, dann wird uns das Festhalten an Engstirnigkeit und Egoismus – Trend oder nicht - auch nicht davor bewahren, in eine Welt zu blicken, die für nahe Tausende von Jahren für den Menschen lebensfeindliche Bedingungen haben wird. Wenn wir uns jetzt emotional miteinander verbinden, uns gegenseitig die Hände reichen, dann können wir das tun, was notwendig ist, um uns noch vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Millionen Menschen in Deutschland haben ja aber schon jetzt aufgrund der Mega-Inflation zurzeit und der immer vorhandenen materiellen Spaltung der Gesellschaft zu wenig zu essen. Die Wut und die Verzweiflung wachsen, bei diesen Betroffenen berechtigterweise. Macht Ihnen das nicht Angst?

Lina Johnsen: Die Krisen, die wir zurzeit zu spüren bekommen, sind bereits gravierende Folgen der verpassten Klimawende vor zehn Jahren. Und diese Krisen werden immer schlimmer. Wir können nicht zusehen, wie wir von einer Katastrophe in die nächste schlittern.

Klar sind die Menschen wütend, verzweifelt, ängstlich. Wir sind es auch. Aber wir verfallen davon nicht in Resignation. Im Gegenteil, wir wandeln dies in Handlungsenergien um. Warum sollten wir Diskussionen am Höhepunkt der Frustration, an der Erkenntnis über die Katastrophe und der absoluten Dringlichkeit, stoppen?

Warum diese zunächst erschütternde Erkenntnis nicht nutzen, um das Problem anzugehen und zu bemerken, dass Wandel möglich ist – sofern man ihn auch angeht; dass Widerstand gegen eine der größten Ungerechtigkeiten der Welt – die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen – ein Gefühl der Selbstwirksamkeit geben und somit sinnstiftend sein kann.

Werdet Sie auch Aktionen zur Fußball-WM in Katar durchführen?

Lina Johnsen: Die Klimakatastrophe wütet unaufhaltsam weiter und ist mittlerweile überall auf der Welt zu spüren. Deshalb können wir es uns auch nicht erlauben, Pause zu machen, unabhängig weltweiter Sportevents. Anstatt ein menschenrechtsverletzendes Korruptions-Klimasünden-Spektakel zu schauen, schauen wir lieber konstant darauf, mit welchen Aktionen wir am besten auf den uns bevorstehenden Kollaps aufmerksam machen und die Politik unter Druck setzen können.

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