Strategiewechsel Ukraine-Krieg: Systematische Angriffe auf Russlands Energie-Infrastruktur

Lars Lange
Drhne in einem grauen Himmel

Bild: isoprotonic /shutterstock.com

Fast zwei Jahre attackiert Russland systematisch die ukrainische Energieversorgung. Die Ukraine kopiert nun diese Taktik mit beachtlichem Erfolg. Wird die russische Wirtschaft in die Knie gezwungen?

Seit Monaten tobt über dem Himmel der Ukraine ein Luftkampf, den die Welt so noch nie gesehen hat – nämlich ein Luftkampf fast ohne bemannte Flugzeuge.

Die russischen Streitkräfte führen bereits seit 2023 eine strategische Luftkampagne gegen die Ukraine, die sich gezielt auf den Energiesektor des Landes richtet. Im Fokus stehen dabei drei kritische Bereiche.

Die Ziele der russischen Luftangriffe

Erstens die Strom- und Wärmeversorgung mit ihren Großkraftwerken, die durch Kraft-Wärme-Kopplung sowohl Elektrizität als auch Wärmeenergie für Industrie, Gewerbe und Haushalte erzeugen.

Zweitens die Gasinfrastruktur, insbesondere die strategisch wichtigen Gasspeicheranlagen. Und drittens das Stromnetz selbst – vor allem seine neuralgischen Punkte wie Umspannwerke und Hochspannungstransformatoren, die sich durch lange Fertigungszeiten und hohe Kosten nur schwer ersetzen lassen.

Dieser systematische Ansatz macht es der ukrainischen Wirtschaft äußerst schwer, die Produktion aufrechtzuerhalten. Die russischen Angriffe, insbesondere mit den Shahed-136-Kamikazedrohnen, haben sich offenbar weiter intensiviert.

Im Januar konnte Russland nach ukrainischen Angaben bzw. Angaben des X-Kanals Shahed-Tracker die Rekordzahl von 2.599 Drohnen der Shahed-Familie einsetzen, also fast 100 Stück pro Tag.

Die Ziele der ukrainischen Luftangriffe

Doch jetzt scheint es der ukrainischen Führung gelungen zu sein, zumindest teilweise mit den russischen Angriffen gleichzuziehen, und zwar sowohl quantitativ als auch qualitativ, und hier vor allem gegen Ziele der russischen Ölindustrie.

Waren es in den vergangenen Monaten mehr oder weniger Einzelangriffe, so kann man jetzt ein systematisches und regelmäßiges Muster erkennen, mit beinahe täglichen Angriffen.

Denn die ukrainische Luftkampagne gegen Russland hat im Januar 2025 eine neue Intensität erreicht. Nach Angaben des Kyiv Independent begann die neue Serie strategischer Angriffe am 4. Januar mit einem Drohnenangriff auf den größten russischen Seehafen Ust-Luga in der Region Leningrad.

Angriffe auf Öldepots und Raffinerien

In den folgenden Tagen wurden weitere Ziele angegriffen, darunter ein Öldepot in Engels, das als wichtiger Treibstofflieferant für einen militärischen Flugplatz dient, sowie mehrere Anlagen in der Region Rostow.

Erst in der Nacht zum Mittwoch fand ein weiterer Angriff auf ein Öldepot in der russischen Region Krasnodar statt, wie Kyiv Independent berichtet.

Besonders bemerkenswert waren die wiederholten Angriffe auf das Öldepot in Engels, wo die russischen Behörden gerade erst einen sechstägigen Brand gelöscht hatten. Die Raffinerie in Rjasan, die drittgrößte des Landes, wurde durch zwei aufeinanderfolgende nächtliche Angriffe vollständig außer Betrieb gesetzt.

Diese beiden Raffinerien repräsentieren allein über elf Prozent der gesamten russischen Raffineriekapazität.

Nach Angaben des ukrainischen Telegram-Kanals Statistice.UA hat die Ukraine zwischen September 2023 und heute insgesamt rund hundert Angriffe auf Ölraffinerien und Öldepots in Russland verübt.

Einige Anlagen wurden sogar mehrmals angegriffen.

Auswirkungen auf die russische Öl-Produktion

Wie Bloomberg berichtet, wird Russlands Fähigkeit, Treibstoff im normalen Umfang zu produzieren, durch diese zunehmenden ukrainischen Drohnenangriffe auf die Ölraffinerien des Landes immer schwieriger.

Analysten, die die russische Ölindustrie beobachten, halten die Situation derzeit allerdings noch für beherrschbar. Sergey Vakulenko, Wissenschaftler am Carnegie Endowment for International Peace, erklärt, dass der Ausfall einiger Raffinerien für wenige Wochen von der russischen Ölindustrie und Wirtschaft verkraftet werden könne.

Die Ryazan-Raffinerie beispielsweise liegt in der Nähe anderer Anlagen in Moskau, Jaroslawl und Kstowo, die mögliche Versorgungsengpässe in ihrer Zone ausgleichen können.

Bloomberg schätzt, dass Russlands Rohölverarbeitungsraten derzeit auf 5,2 bis 5,3 Millionen Barrel pro Tag gesunken sein könnten – Werte, die normalerweise nur im Frühjahr und Herbst während routinemäßiger Wartungsarbeiten erreicht werden.

Diese Einschätzung zeigt, dass die ukrainischen Angriffe beginnen könnten, die russische Produktion spürbar zu beeinträchtigen.

Laut Bloomberg äußern sich die russischen Behörden und Unternehmen selten zu den Auswirkungen der Drohnenangriffe auf die eigenen Industrieanlagen und die Wirtschaft. Die Daten zur russischen Rohölproduktion und zu den Exporten wurden 2022 als geheim eingestuft, was eine Bewertung der Auswirkungen der ukrainischen Angriffe erschwert.

Russland ist einer der weltweit größten Öl- und Treibstoffproduzenten und hat trotz westlicher Sanktionen, die zum Verlust der europäischen und nordamerikanischen Märkte führten, die Lieferungen an Kunden im Ausland aufrechterhalten können. Die Exporteure haben die Mengen erfolgreich an Abnehmer in Indien, China und der Türkei umgeleitet.

Auswirkungen der Sanktionen

Wie der indische Business Standard schreibt, sollen die verschärften Sanktionen gegen russisches Rohöl bereits erste Auswirkungen auf dem globalen Markt zeigen.

Indien, einer der Hauptabnehmer des russischen Öls, konnte im Januar seine Importe zwar noch um 13 Prozent im Vergleich zum Dezember steigern, doch ab März wird mit einem deutlichen Rückgang der günstigen russischen Öllieferungen gerechnet. Die russischen Lieferungen erreichten im Januar durchschnittlich 1,67 Millionen Barrel pro Tag, verglichen mit 1,48 Millionen im Dezember.

Besonders deutlich zeigen sich die Auswirkungen bei den Preisen: Die Rabatte für russisches Öl sind drastisch gesunken. Russische Händler bieten jetzt nur noch Preisnachlässe von 1,50 bis zwei Dollar pro Barrel an, verglichen mit drei bis 3,50 Dollar im Dezember.

Gleichzeitig sind die Frachtkosten erheblich gestiegen. Die Raten für Aframax-Tanker, die russisches Öl von der Ostsee nach Westindien transportieren, stiegen um 47 Prozent auf 10,10 Dollar pro Barrel, während die Raten nach Ostindien um 48 Prozent auf 11 Dollar pro Barrel kletterten.

Die am 10. Januar verhängten US-Sanktionen zielen auf 183 Schiffe – fast jeder dritte Tanker, der russisches Öl transportiert – sowie zwei russische Versicherungen, die den Großteil der indischen Ölkäufe aus Russland absichern.

Obwohl Indien offiziell nur UN-Sanktionen anerkennt, sehen sich indische Raffinerien und Banken aufgrund ihrer Verflechtung mit dem US-Dollar und westlichen Finanzmärkten gezwungen, die US-Vorschriften zu befolgen.

Ab März werden daher Lieferungen von sanktionierten Produzenten wie Surgutneftegas nicht mehr von indischen Häfen angenommen.

Wachsende Herausforderungen für Russland

Diese Entwicklungen auf dem globalen Ölmarkt, kombiniert mit den zunehmenden ukrainischen Angriffen auf russische Raffinerien, könnten die russische Ölindustrie vor wachsende Herausforderungen stellen. Die Fähigkeit Russlands, seine Ölexporte umzuleiten und neue Abnehmer zu finden, wird damit zunehmend auf die Probe gestellt.

Auch die russische Rüstungsindustrie steht zunehmend unter Beschuss. Wie der Fachblog Bulgarian Military berichtet, wurde in der Nacht zum 21. Januar die Smolensker Flugzeugfabrik von ukrainischen Drohnen angegriffen.

Mindestens eine Werkshalle der Anlage wurde getroffen und beschädigt. Die Fabrik ist von strategischer Bedeutung, da sie die Kh-59-Marschflugkörper produziert.

Ukrainische Langstreckdrohnen

Unklar bleibt, welche Langstreckendrohnen die Ukraine im Einzelnen einsetzen kann. Mittlerweile verfügen die Drohnenkräfte des Landes über ein beeindruckendes Arsenal der neuen Fernwaffen, wie der Fachblog Hisutton aufzeigt. Knapp zwei Dutzend Langstreckendrohnen sind hier dokumentiert.

Die üblicherweise gut informierte brasilianische Militärbeobachterin Patricia Marins hat Details über die eingesetzten ukrainischen Drohnen. Auf ihrem X-Kanal schreibt sie:

Es geht nicht um standardisierte Drohnen. Die Ukraine schickt eine Vielzahl von Drohnen aller Art. Einige sind kleine, umgebaute Flugzeuge, andere sind aus Holz, Wasserflaschen und PVC-Rohren gebaut, sodass sie für das Radar fast unsichtbar sind. (…)

Es gibt keine unmittelbare Lösung, die gegen die verschiedenen Drohnen wirksam ist, und es gibt auch nicht genug Drohnenangriffe, um die russische Produktion ernsthaft zu beeinträchtigen, aber es werden Schäden angerichtet, und in einigen Raffinerien kommt es immer wieder zu Angriffen, was zeigt, wie schwierig es für die Russen ist, wirksame Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.

Militärbeobachterin Patricia Marins

Anders als Russland fährt die Ukraine anscheinend ein diversifizierte Multi-Drohnenstrategie, die eine standardisierte Abwehrprozedur schwierig macht. Russland hingegen konzentriert sich ganz auf die Shahed-Plattform und versieht diese monatlich mit Updates und ist so in der Lage, Tausende dieser ursprünglich im Iran entwickelten Langstreckendrohnen pro Monat zu produzieren.

Die New York Times gibt an, dass die ukrainische Monatsproduktion der strategischen Langstreckendrohnen jetzt die Zahl 500 überschreiten.

Innovative Waffensysteme der Ukraine

Neu hat die Ukraine anscheinend Hybrid-Drohnen im Einsatz, wie Kyiv Independent berichtet: Ukrainische Raketendrohnen wie die Peklo und Palianytsia kombinieren Merkmale von Marschflugkörpern mit handelsüblichen Serienbauteilen, darunter kostengünstige Jet-Triebwerke, die eine hohe Geschwindigkeit und Reichweite ermöglichen.

Diese innovativen Waffensysteme, die tief in feindliches Territorium vordringen können, stellen eine kosteneffiziente Alternative zu traditionellen Marschflugkörpern dar, die teurer und schwerer zu produzieren sind.

Ein weiterer Vorteil ist, dass sie auf kleinstem Raum dezentral gefertigt werden können, was sie zu einem schwer fassbaren Ziel für die russische Luftkampagne macht.