Streit um Glyphosat: Drohen weitere zehn Jahre Ackergift in der EU?
Der umstrittene Unkrautvernichter könnte für weitere zehn Jahre in der EU erlaubt werden. Hersteller um Zulassung kämpfen. Dies wird unter Bedingungen in Aussicht gestellt.
Die Europäische Kommission will die Zulassung für Glyphosat um weitere zehn Jahre verlängern. Bedingung ist, dass die Landwirte bei der Ausbringung die Risiken für Umwelt und Gesundheit deutlich mindern. So müssen sie verhindern, dass der umstrittene Unkrautvernichter bei der Anwendung stark verweht wird.
Eine weitere Bedingung ist, dass eine Mehrheit von mindestens 15 der 27 EU-Mitglieder den Vorschlag unterstützt, weil sie mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Gibt es keine Mehrheit für oder gegen den Vorschlag, entscheidet die Kommission.
Eine Entscheidung wird frühestens Mitte Oktober erwartet. Die bisherige Zulassung von Glyphosat in der EU läuft noch bis zum 15. Dezember dieses Jahres. Das Bundeslandwirtschaftsministerium prüft, ob Deutschland trotz einer EU-Erlaubnis ein Verbot aussprechen könnte. Dies wäre über die Verordnung von Pflanzenschutzmitteln möglich. Von der Vorgängerregierung wurde die Anwendung von Glyphosat und Glyphosat-Trimesium ab dem 1. Januar 2024 verboten.
Glyphosat, das im Unkrautvernichter Roundup enthalten ist, zählt zu den weltweit am meisten eingesetzten Herbiziden. Hersteller ist der US-Konzern Monsanto, der vom Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer übernommen wurde und seither Millionen Dollar an ihm verdient. Auch andere Konzerne produzieren das Breitbandherbizid, das jegliche Begleitflora gezielt abtötet.
Eigentlich sollte Glyphosat bereits zu Ende des vergangenen Jahres in der EU auslaufen, wurde aber von der EU-Kommission erneut um ein Jahr verlängert.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertete eine weitere Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels in der EU als unkritisch. Nicht abschließend geklärt seien ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher – neben der Bewertung von Risiken für Wasserpflanzen und die möglichen Folgen für den Artenschutz. Hierzu ließen die aktuell verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlüsse zu, räumt die Behörde ein.
Trotz allen Wissenslücken dient die Einschätzung der EFSA der EU-Kommission als Grundlage für eine Entscheidung über eine fünfjährige Verlängerung der Glyphosat-Zulassung. Auch die Hersteller kämpfen mit allen Mitteln für eine Verlängerung - etwa die Glyphosate Renewal Group, ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen unter Führung der Bayer Agriculture BV, einer Tochter des Bayer-Konzerns.
Bereits 2015 hatte die Krebsforschungsagentur IARC bewertete den Wirkstoff als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Damit holte sich der Leverkusener Konzern eine Klagewelle ins Haus, die den Konzern bis heute schwer belastet. So prozessierten Krebskranke, die mit dem Herbizid in Kontakt kamen, teilweise erfolgreich gegen den Hersteller und erstritten in den USA mehrere Millionen Dollar Schadenersatz.
Breitbandherbizide töten Lebensgrundlage von Insekten
Im Juli reichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) eine Klage ein, die sich konkret gegen die Zulassung des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup Powerflex richtet. Das am 19. Dezember 2012 zugelassene Herbizid enthält mit 480 g/l deutlich mehr Glyphosat als andere glyphosathaltige Mittel (gewöhnlich nur 360 g/l). Roundup Powerflex vernichtet nahezu alle wildwachsenden Pflanzen auf Äckern. In der Folge fehlten Nahrungsquellen für blütenbesuchende Insekten und in der Folge auch für Vögel. Der Stoff gelangt in erheblichem Ausmaß in Böden und Gewässer und wird sogar in der Luft gemessen, so die Begründung.
Das Gift wirkt gegen zahlreiche Pflanzenarten und gefährdet damit die biologische Vielfalt noch stärker als andere selektive Herbizide und als glyphosathaltige Mittel mit geringerer Konzentration. Die besondere Umweltrelevanz von Roundup Powerflex liege in der Bandbreite der zugelassenen Anwendungen - in der Landwirtschaft, im Forst und im urbanen Bereich. Roundup Powerflex sei mit keinen unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt verbunden, heißt es hingegen in Zulassungsberichten. Aus Sicht der DUH ist diese Risikobewertung jedoch überholt.
Die negativen Folgen durch den Einsatz des Pflanzenschutzmittels Glyphosat seien gravierend, befand auch Cem Özdemir. Der Einsatz hochwirksamer Breitbandherbizide sei eine zentrale Ursache für den drastischen Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft. Die Bekämpfung von Unkräutern führe zu einer Verarmung der Ackerbegleitflora, wodurch vielen Vogel-, Säuger- und anderen Tierarten die Nahrungsgrundlage entzogen wird.
Das Aussterben bestäubender Insekten hängt vor allem mit dem Rückgang von Blütenpflanzen zusammen. Zudem wird die Bodenfruchtbarkeit durch Schädigung wichtiger Bodenorganismen beeinträchtigt. Hinzu kommen Einträge von Glyphosat in Böden, Oberflächengewässer und Grundwasser sowie der Transport über die Luft.
Umweltbundesamt sieht Feldvogelarten gefährdet
Bereits vor einigen Jahren gab das Umweltbundesamt eine Studie in Auftrag, die den aktuellen Kenntnisstand der Auswirkungen der Anwendung von Pestiziden auf wildlebende Vogel- und Säugerarten zusammenfasst. Demnach ist der großflächige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft insbesondere für Feldvogelarten wie Rebhuhn, Goldammer und Feldlerche gefährlich und für den fortlaufenden Rückgang der Bestände dieser Arten mitverantwortlich.
Die intensive Anwendung insbesondere von breitbandig wirkenden Insektiziden und Herbiziden tötet im Nebeneffekt auch Ackerkräuter und Insekten, die wiederum Feldvögeln vor allem während der Brutzeit als Nahrung dienen.
Zwar treten die indirekten Effekte durch Störung der Nahrungsnetze auch bei anderen Breitbandherbiziden auf, doch Glyphosat habe als das mit Abstand am meisten eingesetzte Herbizid (rund ein Drittel der in der Landwirtschaft angewendeten Menge) den größten Anteil daran. Das derzeitige Risikomanagement zum Schutz der biologischen Vielfalt vor den Auswirkungen des Einsatzes von Pestiziden reiche nicht aus, schlussfolgert das Umweltbundesamt.
Um dem Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen, müsse in Ackerlandschaften ein Mindestanteil an Flächen sichergestellt werden, die Ackerkräutern, Insekten wie Schmetterlingen und Bienen sowie Feldvogelarten als Lebensraum und Nahrungshabitat dienen, fordert das Umweltbundesamt. Zugleich braucht es sogenannte ökologische Ausgleichsflächen wie Blühstreifen, Brachflächen und unbehandelte Dünnsaaten.
Herbizideinsätze müssen gestoppt werden
Entgegen dem langjährigen Trend stieg im Jahr 2021 der Absatz von Pestiziden in Deutschland um vier Prozent. Laut Statista betrug der deutschlandweite Inlandsabsatz an Herbiziden mehr als 16.100 Tonnen Wirkstoffmenge.
Vor diesem Hintergrund müsse der flächendeckende Gifteinsatz mit Totalherbiziden auf den Äckern aufhören, fordert Bioland. Anstatt sich auf lückenhafte Gutachten der Lebensmittelbehörde EFSA zu stützen und verantwortungslose Empfehlungen auszusprechen, solle die EU-Kommission endlich anfangen, ihre eigene Biodiversitätsstrategie ernst zu nehmen und Glyphosat den Spritzhahn abdrehen, heisst es in einer aktuellen Pressemitteilung des Anbauverbandes.
Der grünen Landwirtschaftsminister solle nicht nur gegen eine Wiederzulassung von Glyphosat stimmen, sondern auch mit vollem Einsatz für Mehrheiten gegen eine Wiederzulassung werben. Auch immer mehr EU-Bürgerinnen und Bürger sind der Ansicht, dass das Ackergift endgültig aus dem Verkehr gezogen werden sollte. In einer aktuellen Petition fordern mehr als zwei Millionen Menschen die Regierungen auf, Glyphosat unverzüglich auszusetzen.
Begründung "Wir sollten nicht giftigen Produkten ausgesetzt sein, die nicht nur wertvolle Ökosysteme schädigen, sondern auch unserer Gesundheit schaden und Krebs verursachen können".