Streiter für die wahre Demokratie? Lanz kanzelt Aiwanger ab
Mediensplitter (32): Der TV-Moderator macht vor, wie leicht es ist, Etiketten zu verteilen und den Platzanweiser zu spielen. Die AfD steht als Elefant im Raum. Gefährlich ist nicht nur der Populismus.
Wer ist gefährlicher für die politische Kultur, wie sie sich in Debatten widerspiegelt, der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger oder der ZDF-Moderator Markus Lanz?
Das ist eben keine rhetorische Frage ("sowieso ist das Aiwanger") und nicht nur eine der Rhetorik. Markus Lanz hatte zu seiner gestrigen Sendung den Spitzenkandidaten der Freien Wähler eingeladen, um ihn zu stellen.
Aiwanger hatte am 11. Juni in Erding etwa 13.000 Besuchern einer Veranstaltung mit dem dezent-sachlichen Titel "Stoppt die Heizungsideologie" krass Enthemmtes zugeschrien (ab Minute 0:42):
"Wir werden jeden Tag mehr, weil wir die Mehrheit sind. Und jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie zurückholen muss und denen in Berlin sagen: ‚Ihr habts wohl den Arsch offen‘."
Die Trachtenmusiker im Hintergrund der Bühne lachten: ein Schenkelklopfer fast schon wie Schuhplatteln.
Sprachliche Verrohung
Der Südtiroler Markus Lanz nahm das in seiner Sendung, am gestrigen 4. Juli deutschernst und kanzelte Aiwanger mit einer rhetorischen Platzanweisung ab (Ausschnitt hier). "Wer hat denn die Demokratie?", fragte er Aiwanger und hielt ihm Muster vor, mit denen Gauland, Trump und die Brexiter Ressentiments schüren. "Die Mechanismen sind die gleichen."
Sprachliche Verrohung zum Beispiel. Lanz zitierte Gauland von der AfD mit dessen Halali-Ruf "Wir werden sie jagen" und stellte dem Aiwangers Erdinger Hatz - "Wir werden sie vor uns hertreiben" - zur Seite. Ein weiteres Zitat von Gauland komplettierte die rhetorische Einkreisung, die Lanz gegen Aiwanger und dessen populistische Anverwandten unternahm: "Ressentiment ist kein Programm!"
"Was ist für Sie eine Demokratie?"
"Was ist für Sie eine Demokratie?", fragte Lanz. Der Niederbayer sei daraufhin "tatsächlich ins Grundsätzliche gegangen", kommentiert der konservative Münchner Merkur
Die Politik muss sich regelmäßig rückkoppeln zur Bevölkerung. (…) Das Volk muss abgeholt werden.
Hubert Aiwanger
Das Heizungsgesetz nannte Aiwanger als Beispiel für "eine formale Demokratie". Die Bevölkerung fühle sich nicht mehr abgeholt.
Damit steuerte Aiwanger auf das Feld zu, wo der große Elefant im Raum seinen Platz hat, die AfD. Es ist das Kipppunkte-Feld der politischen Klimakrise.
Ein beängstigendes Beispiel dafür, was Kippen bedeuten kann, liefert derzeit das große Demokratie-Labor Frankreich. Dort diskutiert man fast nur noch "unter sich". Die Erzählung, die sich als aufgeklärt, demokratisch und fortschrittlich beschreibt, trifft sich nicht mehr mit der populistischen. Es sind Parallelwelten.
Ausschlussverfahren
Was nützen Etiketten und Platzzuweisungen, wie sie Lanz rhetorisch vorführt, wenn es darum geht, welche Erzählung welchen Raum gewinnt? Die didaktische Rhetorik des Moderators ist bestimmt von einem Ausschlussverfahren, er drängt Aiwanger in eine Ecke, die nicht "salonfähig" ist.
Dass es schon Schlimmeres gab, was bayerische Politiker, die höchste Ämter bekleideten, von sich gaben (siehe Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber mit ihren "Ratten und Schmeißfliegen"- Aussagen über politische Gegner) sei nur nebenbei erwähnt. Das macht Aiwangers "Aufstacheln und Aufpeitschen" (Politikwissenschaftlerin Ursula Münch) nicht besser, aber es zeigt an, wo die Empfindlichkeiten heute liegen.
Aiwanger behauptet, dass er die Bevölkerung ernst nimmt. Das war sein Ding auch in der Lanz-Sendung. Seinen Brüll-Auftritt in Erding hatte er in einem FAZ-Interview so erklärt:
Die Richtung war, dass die breite Mitte der Gesellschaft sich gegen das Heizungsgesetz zu Wort melden soll, um die Ampel in Berlin zum Kurswechsel zu bewegen, nachdem der Unmut in der Bevölkerung dazu immer größer wurde. Waldbauern, Landwirte, kleine Mittelständler, Hausbesitzer, aber auch betroffene Mieter. Ich habe mitbekommen, viele waren auch wegen des Themas Brennholz da. Entweder weil sie wollen, dass Brennholz weiter als nachhaltiger Energieträger eingestuft wird, was für die künftige Bewirtschaftung der Wälder wichtig ist. Oder weil sie sich eine Holzhackschnitzelheizung nicht verbieten lassen wollen.
Hubert Aiwanger
"Ich nehme euch ernst"? Was heißt das denn genau?
Wenn jemand behauptet, er würde die Leute abholen, so ist das eine hohle Phrase, die derzeit sehr en vogue ist. Wenn man sich allerdings vor Augen hält, dass die SPD und die Linken so viel Wähler in den Schichten verloren hat, die zu ihrer traditionellen Wählerschaft gehört haben, dann muss man anfangen, darüber zu reden, was es denn eigentlich bedeutet, wenn Aiwanger sagt: "Ich nehme euch ernst"? Was heißt das denn genau?
Trump- und Brexit-Etiketten führen an der Sache, um die es geht, vorbei. Sie sind bloße Platzanweiser-Rhetorik, wie auch die Frage "Was ist für Sie eine Demokratie?", so wie sie gestellt wurde, in einem Format, das keinen zweiten oder dritten Gedanken zulässt und auf schnelle rhetorische Erfolge in der Konfrontation aus ist, eine Sonntagsfrage ist.
Das Selbstverständnis von Demokratie ist in dauernder Entwicklung, wie jede Beziehung, sie zeigt sich in der Debattenkultur, wo das Selbstverständnis gespiegelt wird, wo man sich daran abarbeitet, und zwar an den heiklen Fragen.
Abkanzeln oder Abschotten aus einer Position, die schon weiß, was gut und schlecht ist, ist die Verfestigung der Kluft, die Parallelwelten ohne Verbindung zueinander schafft.