Stromfresser Internet
Jetzt ist die Zeit für einen Umbau der Wirtschaft, wenn wir den Klimawandel noch bremsen wollen. Einer der größten Stromfresser ist das Internet
Man könnte das Internet, da rund die halbe Menschheit online lebt, als das größte Land der Erde bezeichnen - allerdings eines, das sich nie Ziele oder Regeln zum Umgang mit Ressourcen gesetzt hat. Dieses "Land" belegt direkt nach den USA und China Platz 3 im Stromverbrauch und liegt mit 800 Millionen Tonnen CO2 wie Deutschland auf Platz 6 bei den Emissionen. Mit 3,7 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen hat es den zu recht thematisierten Flugverkehr längst hinter sich gelassen. Auf den Punkt brachte es Martin Wimmer, Chief Digital Officer im Bundesumweltministerium: "Die Schlote der Digitalisierung rauchen genauso wie früher die in Gelsenkirchen." Während wir in anderen Bereichen engagiert Wege diskutieren, um den Stromverbrauch zu senken, wächst der Verbrauch der Digitaltechnologien still um jährlich 9 Prozent.
Freilich verantworten dies nicht die immerzu flackernden Bildschirmchen der mobilen Endgeräte, sondern die gewaltige Infrastruktur im Hintergrund: An die 20 Prozent des Energiebedarfs im IT-Sektor entfallen auf die Massenspeicher, hinzu kommen der Betrieb der Netze und der Transport der Daten. Wir bemerken nichts davon, dass jedes Like, jedes Abspeichern in einer Cloud, jedes Bild in den sozialen Medien zwingend CO2-Emissionen verursacht. Der weltweite Strombedarf für Server und Rechenzentren hat sich von 2010 bis 2015 um etwa 30 Prozent auf 287 Terawattstunden gesteigert. Nur 2 Jahre später waren es mit 350 nochmals 20 Prozent mehr.
Eine Studie von Huawei kalkuliert im Worst-Case-Szenario, dass allein die Rechenzentren bis 2030 rund 8 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs ausmachen. Heute haben die USA den höchsten Energiebedarf für die Speicherung von Daten, doch zu den Top 5 gehört neben Japan, Großbritannien und Frankreich auch Deutschland. Hier verbraucht die gesamte Netzinfrastruktur 55 Terawattstunden Strom im Jahr, die Rechenzentren nach Studien des Berliner Borderstep Instituts mehr als 13. Das bedeutet für Frankfurt, einem weltweit wichtigen Knotenpunkt des Internets, dass rund ein Fünftel des städtischen Energiebedarfs in die Serverfarmen fließen - mehr als in den Frankfurter Flughafen. Sie geben so viel Wärme ab, dass sie bereits das Mikroklima im Westen der Stadt beeinflussen. In Summe verursacht die deutsche Internetnutzung samt angeschlossener Geräte jährlich 33 Millionen Tonnen CO2 (Stand 2018).
"Tja, so ist das Internet, da kann man nichts machen", mögen manche sagen. Doch tatsächlich gehen die meisten Datenströme noch immer auf die private Internetnutzung zurück. Einige Beispiele: Eine Anfrage bei der bekanntesten Suchmaschine erzeugt nach Angaben des Unternehmens einen Strombedarf von 0,3 Wattstunden. Mit 20 Anfragen können Sie also eine Energiesparlampe eine Stunde leuchten lassen, mit 200 Anfragen ein Hemd bügeln. Und jede Minute gehen etwa 4 Millionen davon ein. Schon 2015 verbrauchte Google 5,7 Terawattstunden Strom, ungefähr so viel wie die Stadt San Francisco.
Oder das Gezwitscher im Datenwald: Ein Tweet benötigt 0,63 Kilowattstunden, mit dem deutschen Strommix von 470 Gramm CO2 pro Kilowattstunde entspricht das einem CO2-Ausstoß von 294 Gramm. Mit einem sparsamen Benziner könnte man da gut 2,5 Kilometer weit fahren, mit einem effizienten E-Mobil wären es sogar 4,3.
Keine 10 Prozent der Europäer nutzen Bitcoin, daher nur ein paar Worte zur Kryptowährung: Das Centre for Alternative Finance an der Cambridge University erstellt den "Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index" (CBECI), wonach eine einzige Bitcoin-Transaktion 2018 rund 819 Kilowattstunden verbrauchte und das gesamte System 22 Millionen Tonnen CO2 verursachte. Da "reichten" pro Jahr noch 45,8 Terawattstunden Strom, im Juni 2019 waren es schon rund 60 - etwas mehr als der Verbrauch in der Schweiz oder doppelt so viel wie der von Irland - und Anfang 2020 waren es schon etwa 69 Terawattstunden. Die Server hierfür stehen größtenteils in Regionen Chinas, in denen der Kohlestrom regiert. Blockchains und Distributed Ledger Technologies (DLTs) sind Gift fürs Klima, dienen oft aber nur der Finanzspekulation.
Dies ist ein Auszug aus Sven Plögers neuem Buch "Zieht euch warm an, es wird heiß!" Um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, müsste die Einsparung an CO2-Emissionen jährlich so groß sein wie durch den Shutdown. Dazu müssen wir die Gier, die im jetzigen System steckt, in den Umbau der Wirtschaft lenken. Der Diplom-Meteorologe Plöger zeigt in seinem Buch verständlich, wie unser Klimasystem funktioniert und dass die aktuelle Krise eine echte Chance ist, Weichen für unsere Zukunft und die unserer Kinder zu stellen.
Doch auch hier will ich, entsprechend unserem Leitgedanken "gezielter Einsatz, maximale Wirkung", über die wirklich großen Räder sprechen und das größte Rad im Internet ist das Streamen von Audio- und vor allem Videodateien.
Wie stark die Klimawirkung unseres Musikkonsums gewachsen ist, zeigt eine Untersuchung des US-amerikanischen Markts der Universitäten Oslo und Glasgow von 2019, für die sämtliche Energie- und Ressourcenbedarfe der jeweiligen Tonträger in CO2-Äquivalente umgerechnet wurden: 1977, zum Höhepunkt des Vinylzeitalters, verursachte Musikkonsum 140.000 Tonnen CO2e; 1988, als CDs die Musikwelt eroberten, waren es 136.000 Tonnen und auch im Jahr 2000 per Download "nur" 157.000 Tonnen. Dann tauchten die Musikstreamingdienste auf, und die Treibhausgasemissionen sprangen auf gut 300.000 Tonnen im Jahr 2016. Seither haben sie zweifellos weiter zugenommen. Damit richten Streamingdienste durch ihre hohen assoziierten CO2-Emissionen mehr Klimaschäden an, als die Produktion und Entsorgung von CDs oder Vinylschallplatten.
Wieder einmal treibt Preisverfall den Konsum an: Vor gut 40 Jahren gaben Musikfans in den USA noch knapp 5 Prozent ihres Wochenlohns für die neueste heiße Scheibe aus, heute steht Streamern für weniger als 1 Prozent ihres verfügbaren Budgets der unbegrenzte Zugang zu aller Musik offen, die jemals aufgenommen wurde. Gestreamt braucht ein Song zwar vergleichsweise wenig Energie, der Konsum hat sich gegenüber 2000 aber etwa verdoppelt. Es grüßt der Rebound-Effekt.
Jetzt kommt es dick: Modellhafte Berechnungen der Energiebedarfe des Video-Streamings und der damit verbundenen Emissionen zeigen, dass sich inzwischen das Streaming von Filmdateien zum mit Abstand größten digitalen Stromschlucker und gewichtigen Klimafaktor entwickelt hat. Eigentlich wenig überraschend, müssen hierfür ja Bild- und Toninformationen in hoher Dichte verarbeitet, gespeichert und millionenfach zu den Endgeräten transportiert werden. Freilich sind nicht diese die größten Stromfresser, sondern die Serverfarmen und die Netze.
Der Anteil am Datenverkehr ist enorm: Videodateien machen 80 Prozent aller übertragenen Informationen aus! Drei Viertel davon entfallen auf vier große Formate: Video-on-Demand, Pornografie, "Tubes" und soziale Netzwerke. Dafür gehen nach einer Kalkulation der Universität Bristol im Jahr über 50 Millionen Tonnen CO2 in die Luft. Die konservativ rechnende Internationale Energieagentur (IEA) kommt auf eine Viertel Kilowattstunde Strom für eine Stunde Netflixkonsum. Anhand des Strommixes im Land des Nutzers kann man dies in Treibhausgase umrechnen. Bei uns wären es etwa 115 Gramm.
Der Energiebedarf, der durch den Gebrauch der Geräte entsteht, hat den für ihre Herstellung bei Weitem überschritten und macht heute 55 Prozent des gesamten Stromverbrauchs aus. So wichtig also eine effiziente, vor allem ressourcenschonende Produktion der Hardware ist, müssen wir für maximale Einsparung des Stromverbrauchs an der Verwendung ansetzen. Vor allem mit Blick in die Zukunft: Video-Streaming über Mobilfunknetze wächst nach Aussagen des Technologiekonzerns Cisco Systems jährlich um 55 Prozent. Effizienzsteigerungen werden hiermit nicht schritthalten, befürchtet die IEA. Der Stromversorger E.ON schätzt, dass Video-Streaming, sei es über Plattformen oder für Videokonferenzen, weltweit bereits 200 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr schluckt.
Ein Motor dieser Entwicklung sind Bildschirme mit immer höherer Auflösung wie 4K, auch Ultra HD genannt. Sie brauchen nach Erhebungen des Natural Resources Defense Council rund 30 Prozent mehr Strom als ihre Vorgänger, die "nur" HD-Qualität boten. Und die ersten 8K-Monitore positionieren sich schon am Markt. Damit der Stream auf diesen Schirmen nicht ruckelt, wird die Serverleistung allerorten vorsorglich überdimensioniert - und seitens der Hersteller beschwichtigt, dass die jeweils jüngste Computergeneration noch effizienter arbeite.
Sie sehen: Auch hier läuft das dadurch generierte Wachstum an Datenvolumen den Effizienzsteigerungen davon - nur ein weiterer Fall von Rebound-Effekt. So verstärken sich Machbarkeit, Angebot und Anspruch gegenseitig in Richtung immer höheren Verbrauchs.
E.ON ließ im Dezember 2019 verlauten: Mit 5G wird der Bedarf der Rechenzentren bis 2025 um bis zu 3,8 Terawattstunden wachsen. Genug, um Köln, Düsseldorf und Dortmund ein Jahr lang zu versorgen - und das nur "on top". Bereits heute verwandeln deutsche Rechenzentren 13 Milliarden Kilowattstunden Strom in Wärme, die in der Regel ungenutzt in die Umgebung geblasen wird. Nur 19 Prozent dieser Rechenzentren nutzen wenigstens einen Teil ihrer Abwärme, meist in den eigenen Gebäuden. Eine gute Sache, doch machen wir uns nichts vor - Strom wird, auch wenn er wie bei Apple und einigen Vorreitern mehr oder weniger aus erneuerbaren Quellen stammt (Apple hat knapp 400 Megawatt an Photovoltaik-Leistung installiert), in Rechenzentren in erster Linie verheizt. Und dafür haben wir definitiv nicht genug davon.
Die Digitalisierung ist weder gut noch böse, es kommt darauf an, was wir daraus machen. So kann auch die Energiewende nur mit Digitaltechnologien gelingen, da nur sie effizient das Angebot aus vielen dezentralen erneuerbaren Quellen mit dem jeweils momentanen Bedarf koordinieren können. Ob wir sie angesichts knapper Ressourcen hierfür einsetzen oder um Katzenvideos zu versenden und mit Fremden in Streit zu geraten - dies zu entscheiden obliegt nun uns.
Sven Plöger im Telepolis-Salon 2018: Der Klimaschutz muss auch sexy sein.
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