Studie: Angst vor Russland und China hält sich im Westen in Grenzen

Studie: Angst vor dem Osten und Fernen Osten ist gar nicht so groß. Bild: kremlin.ru, CC BY 4.0

Transatlantic Trends 2023: Menschheitsherausforderungen wie die Klimakrise werden wichtiger. Die deutsche Wahrnehmung ist aber speziell – und ähnelt der türkischen.

Junge Menschen haben weniger Angst vor Russland und China als Ältere – und über die Altersgruppen hinweg wird der Klimawandel am häufigsten als größte Sicherheitsherausforderung gesehen. Das ergab eine Befragung für die Studie "Transatlantic Trends 2023", die von der Denkfabrik German Marshall Fund (GMF) in den USA, Kanada und zwölf europäischen Nato-Mitgliedsländern durchgeführt wurde.

Am zweithäufigsten wurde allerdings länderübergreifend "Migration" als größte Sicherheitsherausforderung genannt. An dritter Stelle folgt in diesem Ranking "Krieg zwischen Ländern". Erst an vierter Stelle wurde ein bestimmtes Land – Russland – als größte Gefahr ausgemacht. Die Befragten konnten sich allerdings auch noch für Cybersicherheit, Terrorismus, die Weiterverbreitung von Atomwaffen ohne Nennung eines bestimmten Landes, für Pandemien oder eben China entscheiden.

Mehr Angst vor Krieg allgemein – ohne klare Feindbilder

Erwartungsgemäß fand sich für keinen dieser Punkte länderübergreifend eine absolute Mehrheit. Der Klimawandel wurde von 19 Prozent, Migration von 18 Prozent und "Krieg zwischen Ländern" von 15 Prozent als größte Gefahr eingestuft – Russland von zwölf Prozent und China nur von drei Prozent.

Allerdings ergaben sich hier große Unterschiede zwischen den jeweiligen Ländern und Generationen. Die deutschen Befragten unterscheiden sich in der Einschätzung Russlands und Chinas nicht stark vom Durchschnitt – Russland wird hier von zehn Prozent an erster Stelle genannt und China von vier Prozent.

An der Nato-Ostflanke in Litauen nennt hier dagegen nur ein Prozent China – aber 36 Prozent nennen hier Russland. Es braucht nicht viel Fantasie, um das auf die geografische Nähe zurückzuführen.

Verglichen damit mangelt es jenseits des Atlantiks grundsätzlich an Angst vor einem äußeren Feind in Gestalt einer konkurrierenden Großmacht: Ausgerechnet in den USA sehen nur fünf Prozent Russland als größte Sicherheitsherausforderung, zehn Prozent stufen China als solche ein.

Das besondere Engagement von Nato-Staaten bei der militärischen Unterstützung der Ukraine wird von vielen Befragten zunehmend skeptisch gesehen – was Gesine Weber vom German Marshall Fund wiederum als "große Herausforderung" sieht.

Selektive Wahrnehmung beim Erstellen der Studie

Hier wirkt die Wahrnehmung des GMF selbst selektiv, denn etwa die Türkei als eines der Länder, in denen Menschen befragt wurden, ist selbst in einen Krieg im Nachbarland Syrien involviert.

Unabhängig davon, mit welcher Seite die gespaltene Bevölkerung der Türkei hier sympathisiert – vor allem in kurdischen Bevölkerungsteilen beider Länder wird die türkische Nato-Armee als Aggressor gesehen – ist das Land von diesem Krieg natürlich insgesamt direkter betroffen als vom russischen Krieg in der Ukraine, der im Westen oft als besonderer Zivilisationsbruch beschrieben wird. Solche Feinheiten wurden aber in der Studie gar nicht untersucht.

Nur jeweils ein Prozent der Befragten in der Türkei (darunter vermutlich auch Kurdinnen und Kurden) betrachten Russland und China als größte Sicherheitsherausforderung, 17 Prozent dagegen "Terrorismus" – der Krieg gegen syrisch-kurdische Milizen im Nachbarland wird in der Türkei als grenzübergreifende Antiterror-Operation verkauft. Wer solche Hintergründe nicht kennt, wird aus der Studie nur teilweise schlau.

Jüngere haben andere Sorgen

"Bemerkenswert ist auch ein erheblicher Generationsunterschied in vielen Fragen", heißt es im Vorwort. Junge Befragte seien beispielsweise von der Bedeutung der Nato für die Sicherheit ihres Landes weniger überzeugt als Ältere.

Junge Befragte prognostizieren auch eher einen Wandel hin zur Multipolarität in den nächsten fünf Jahren, wobei China die Vereinigten Staaten als weltweit einflussreichsten Akteur ablösen und die EU zu einem mächtigeren dritten Akteur werden wird.

Diese bereits in den Jahren 2021 und 2022 zu beobachtenden Trends dürfen nicht ignoriert werden. Sie werden die künftigen transatlantischen Beziehungen prägen.


Transatlantic Trends 2023, S. 4

Klassische "German Angst" größer als Umweltbewusstsein?

Interessant ist auch, welche Werte "Migration" als größtes Bedrohungsszenario in den verschiedenen Ländern erreicht: In Deutschland liegt es mit 27 Prozent weit über dem Durchschnitt, kein anderer Punkt wird hier von so vielen Befragten als größte Bedrohung wahrgenommen – der Klimawandel liegt hier mit 18 Prozent nah am länderübergreifenden Durchschnitt.

In der Türkei, die im Nachbarland Syrien Krieg führt und einen "Flüchtlingsdeal" mit der EU geschlossen hat, sind es 43 Prozent, die Migration als größte Sicherheitsherausforderung wahrnehmen. In einem Land, das hier vor allem als Herkunftsland vieler Eingewanderter wahrgenommen wird, fürchten sich demnach so viele Menschen vor Migration wie in keinem anderen der 14 Länder, die in der Studie berücksichtigt wurden.

In Italien, einem Mittelmeer-Anrainerstaat mit offen rechter Regierung, liegt das Thema Migration mit 22 Prozent zwar über dem Durchschnitt, liegt aber weit hinter dem Klimawandel mit 35 Prozent. Hier kommen zwei weit mehr Geflüchtete und Migranten an als in Deutschland, allerdings sind auch die Auswirkungen des Klimawandels deutlicher spürbar.

In den USA nennen 13 Prozent die Zuwanderung an erster Stelle. Ein beliebtes Wahlkampfthema der US-Republikaner ist damit vielleicht gar nicht so zugkräftig wie erhofft. Der bisherige außenpolitische Kurs der Demokraten unter Joe Biden wird allerdings auch nicht euphorisch mitgetragen, wenn nur zehn Prozent Russland als größte Bedrohung sehen.

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