Studie: Seenotrettung fördert keine Migration

Längst nicht alle haben das Glück im Umglück, auf Seenotretter zu stoßen. Foto: Ruben Neugebauer / Sea-Watch.org / CC-BY-SA-4.0

Vielleicht gerettet werden, wenn ein Boot kentert, ist kein Motiv, es zu betreten. Zahl der Flüchtenden hängt von der Lage im Herkunftsland ab. Was noch eine Rolle spielt.

Auch Rechtspopulisten sagen nicht gern, dass ihnen das Sterben von Flüchtenden im Mittelmeer egal oder gar ein Grund zur Freude für sie ist. Manche behaupten sogar, es beenden zu wollen, indem sie fordern, dass Seenotrettungsorganisationen das Handwerk gelegt wird – oder dies selbst in die Hand nehmen, sobald sie regieren. Begründung: ein vermeintlicher Pull-Effekt.

Der "Anreiz", vielleicht gerettet zu werden, soll demnach ausschlaggebend sein, um auf überfüllte Schlepperboote zu steigen – nicht etwa eine verzweifelte Ausgangslage und Fehleinschätzungen über die Risiken auf hoher See.

Wir wissen, dass die sogenannten privaten Seenotretter in Verbindung mit den Sozialleistungen vor allem in Deutschland als Pull-Effekt dienen und die Migranten gen Europa locken.


Bernhard Zimniok, AfD-Europaabgeordneter, 15. März 2023

Mit Argumenten wie diesen erteilt sich auch Italiens rechte Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die moralische Absolution – sie hat Ende letzten Jahres ein Dekret verabschiedet, das die zivile Seenotrettung im Mittelmeer deutlich einschränkt.

Es sieht unter anderem vor, dass die Schiffe der Hilfsorganisationen nach einer ersten Rettung sofort einen dann zugewiesenen Hafen ansteuern müssen, ohne eventuell weiteren Booten in Seenot Hilfe leisten zu können.

Die Lage im Herkunftsland ist entscheidend

Was an der Argumentation der Rechten dran ist, war Gegenstand einer Studie, die diese Woche in den Scientific Reports des Nature-Magazins veröffentlicht wurde. Ergebnis: Es gibt keine Verbindung zwischen lebensrettenden Aktionen im Meer und der Zahl der Menschen, die auf diesem Weg versuchen, nach Europa zu kommen.

Ein internationales Team von Forschenden hat dazu Daten aus den Jahren 2011 bis 2020 – sie stammen von der EU-Grenzschutzagentur Frontex, der libyschen und der tunesischen Küstenwache, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und einer Nichtregierungsorganisation, die die Identität von Migranten ermittelt, die im Mittelmeer sterben.

Zugleich wurden Daten zu den "Push-Faktoren" aus den Herkunftsländern analysiert und Zeitreihen zu gewaltsamen Konflikten, zur jeweiligen wirtschaftlichen Lage und zu Umweltkatastrophen erstellt, um Korrelationen feststellen zu können.

Im Zweifel reichen Menschenrechte

Ob Menschen ihre Heimat verlassen, hängt laut Studienautoren maßgeblich von der Lage in den jeweiligen Herkunftsländern ab. Damit decken sich die Ergebnisse mit vorhergehenden Studien, die – Überraschung – bereits darauf hindeuteten, dass Menschen aufgrund von Konflikten und Gewalt, einer schlechten, Wirtschaftslage, Umweltzerstörung oder solche Faktoren in Kombination fliehen – auch wenn die Wege lebensgefährlich sind.

Bessere Lebenschancen im Zielland werden dagegen durchaus als Pull-Faktor gesehen – die Möglichkeit, Sozialleistungen zu erhalten, ist hier aber nur ein Faktor. Vor allem nennen die Studienautoren um den Konfliktforscher Prof. Julian Wucherpfennig von der Hertie School of Governance. "die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Möglichkeiten" sowie "Sicherheit und Achtung der Menschenrechte".

Zum Teil sind es Menschen, die vor der gefährlichen Überfahrt noch nie am Meer waren und nicht schwimmen können.

Wir bergen Flüchtende von seeuntauglichen, überfüllten Schrottbooten und nehmen sie auf. Manchmal zu spät. Tagelang fuhr ich mit einem zweijährigen toten Jungen in der Tiefkühltruhe in internationalen Gewässern auf und ab, weil kein europäisches Land ihn retten wollte, als es noch möglich war und sie uns dann einen Hafen verwehrten.

Seine Mutter war auch bei uns an Board – lebendig. Was sage ich einer traumatisierten Frau, deren Kind da in meinem Gefrierschrank liegt über den Friedensnobelpreisträger EU?

Pia Klemp, Seenotretterin der Organisation Sea-Watch und Buchautorin, 2019

Dem Sterben im Mittelmeer ist auch ein Teil der vielgestaltigen Ausstellung "un endlich. Leben mit dem Tod" im Berliner Humboldt-Forum gewidmet. In einem Videobeitrag werden die Toten eines besonders verheerenden Schiffsunglücks allerdings nicht gezeigt. Stattdessen teils durchnässte Fotos ihrer Angehörigen und Briefe, die sie bei sich trugen – und die Gesichter der Gerichtsmedizinerinnen bei der Arbeit.

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