Bootsunglück mit vielen Toten: Aufklärung unerwünscht

Die Mehrzahl der 750 bis 800 Passagiere wird noch vermisst. Symbolbild: Pexels / Pixabay Licence

Mehr als 600 Menschen könnten vor Pylos ertrunken sein. Welche Rolle spielte die griechische Küstenwache? Was Zweiflern vorgeworfen wird.

47 Seemeilen vor Pylos kamen beim Kentern eines vollkommen überladenen Fischkutters am vergangenen Mittwoch in internationalen Gewässern mehrere hundert Geflüchtete ums Leben. Laut der griechischen Küstenwache waren 750 Menschen an Bord des 30 Meter langen Kutters.

Die Überlebenden stammen aus Syrien, Pakistan und Ägypten. Aus Pakistan, wo mittlerweile 14 mutmaßliche Schlepper im Zusammenhang mit der Havarie verhaftet wurden, kommen behördliche Schätzungen, die von 800 Menschen ausgehen. Pakistan hatte am Montag eine Staatstrauer für die Opfer ausgerufen.

Nur 104 Personen, darunter neun mutmaßliche Schleuser, konnten gerettet werden. Am Dienstag wurden, knapp eine Woche nach dem Unglück, weitere Leichen im Meer gefunden. Die genaue Zahl der Toten kann nur geschätzt werden.

Mit 82 bestätigten Toten und etwa 564 Vermissten übertrifft die Havarie in der Opferzahl die Katastrophe vor Lampedusa im Jahr 2013. Dort waren am 3. Oktober 2013 insgesamt 355 Geflüchtete ums Leben gekommen.

Unglück im Schatten des Wahlkampfes

Früh kamen Zweifel an der Rolle der griechischen Küstenwache auf. Griechenland wählt am 25. Juni zum zweiten Mal in diesem Jahr ein neues Parlament. Aktuell ist eine Interimsregierung im Amt. Diese besteht aus Richtern, Technokraten und Uniformierten, wobei zum Teil auch Mitarbeiter der Regierung von Kyriakos Mitsotakis zum Zuge kamen.

Mitsotakis verteidigt sowohl das Vorgehen der Küstenwache als auch das der Interimsregierung. Geschlossene, gesicherte Grenzen sind auch nach dem Unglück ein Wahlkampfversprechen der Nea Dimokratia.

Die von der Opposition geäußerten Zweifel werden von Mitsotakis wie Landesverrat bewertet. "Wir werden dem Urteil der Bürger diejenigen überlassen, die bei jeder Gelegenheit, anstatt das Land zu verteidigen, das Land ins Visier nehmen und letztendlich der türkischen Propaganda Argumente liefern", sagte Mitsotakis.

Es sei "sehr traurig, was in den letzten Tagen passierte, als Syriza wegen des tragischen Schiffbruchs von Pylos die Küstenwache ins Visier nahm", fuhr er fort. "Und es ist wirklich, wirklich traurig zu sehen, dass genau die gleichen Argumente von der offiziellen Türkei und der türkischen Propaganda wiederholt werden."

Mitsotakis bezog sich darauf, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Unglück für einen Rundumschlag gegen die Asylpolitik Griechenlands und der EU genutzt hatte. Erdogan warf dem Westen dabei erneut Islamophobie und Nazi-Methoden vor.

Neun Ägypter als Schleuser verhaftet

Die neun mutmaßlichen Schleuser wurden am Dienstag dem Staatsanwalt und dem Untersuchungsrichter in Kalamata vorgeführt. Nach einer dreizehnstündigen Verhandlung wurde Untersuchungshaft angeordnet. Bei der Identifikation der Ägypter verließen sich die Ermittler auf Zeugenaussagen der Überlebenden.

Diese sagten aus, dass die mutmaßlichen Mitglieder des Schleuserrings an Bord Befehle erteilt hätten und die übrigen Passagiere eingeschüchtert hätte. Zudem rekrutiert sich die Besatzung ähnlicher Flüchtlingsboote meist aus Ägyptern, die selbst kein Geld für ihre Dienste erhalten, sondern vielmehr danach streben, nach drei bis vier erfolgreichen Überfahrten ihre eigene Passage kostenlos zu erhalten.

Die neun Inhaftierten beteuerten allerdings, dass sie mit den Schleusern nichts zu tun hätten und für ihre Überfahrt bis zu 7.000 Euro bezahlt hätten. Sie hätten sich an Bord um die Sicherheit des Bootes gesorgt und aus Angst vor dem Kentern versucht, die Übrigen zu disziplinieren.

Juristisch ist unklar, ob sie in Griechenland letztinstanzlich als Schleuser, die illegale Migranten nach Griechenland brachten, verurteilt werden können. Auch der weitere Anklagepunkt, die "Bildung einer kriminellen Vereinigung" hat gegebenenfalls nicht in griechischem Hoheitsgebiet stattgefunden.

Hier kommt das Völkerrecht ins Spiel. Denn gekentert ist das Boot in internationalen Gewässern. Es gibt einige allgemeine internationale Rechtsrahmen, aber wenn es um in internationalen Gewässern begangene Verbrechen geht, die nicht ungestraft bleiben können, sind die Gerichtsbarkeiten des Herkunftsstaates des Schiffes, der Täter und Opfer involviert. Das gilt auch in Griechenland.

So urteilte ein Gericht auf den Dodekanes, dass es für mutmaßliche Schleuser, die in internationalen Gewässern vor Kreta aufgegriffen wurden, nicht zuständig sei. Sie mussten in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

Die Wahrheit wird zum Opfer der Havarie

Während die Zeugenaussagen der Überlebenden gegen die Ägypter vor Gericht als glaubwürdig eingestuft wurden, scheint dies nicht für die Aussagen gegen die Küstenwache zu gelten.

Der Vorwurf, dass das Kentern und Sinken des hoffnungslos überladenen Bootes maßgeblich durch einen verunglückten, nicht abgesicherten Schleppversuch der Küstenwache ausgelöst worden sei, wurde von mehreren unabhängig verhörten oder von Journalisten befragten Überlebenden geäußert.

Zunächst bestritt die Küstenwache, überhaupt ein Seil zum Fischkutter geworfen zu haben. Eigene von der Küstenwache veröffentlichte Fotos belegten aber das Gegenteil. Zudem behauptete die Küstenwache, sie habe nicht eingegriffen, weil das Boot in internationalen Gewässern auf konstantem Kurs unterwegs gewesen wäre. Eine Seenot habe somit nicht vorgelegen.

Auch dies wird mittlerweile widerlegt. Den aktuellen Erkenntnissen zufolge war das Boot über mindestens elf Stunden manövrierunfähig und bewegte sich kaum von der Stelle. Der Vorwurf der Opposition ist, dass offenbar versucht wurde, den Fischkutter in italienische Gewässer zu schleppen oder dorthin fahren zu lassen. Dann wäre Italien für die Geflüchteten verantwortlich gewesen. Für diese Annahme spricht, dass ein unweit des Unglücksort im Hafen von Gythio vor Anker liegendes modernes Rettungsschiff der Küstenwache nicht zum Einsatz kam.

Der Pressesprecher der Küstenwache, Lieutenant Commander Nikos Alexiou erklärte: "Wir wurden von der italienischen Küstenwache auf die Existenz des Schiffes aufmerksam gemacht, wir haben alles getan, was wir tun mussten. Das Schiff wurde geortet, von Frachtschiffen angefahren, sie erhielten Proviant und Wasser und lehnten dann weitere Hilfen ab. Später kam unser eigenes Küstenwachboot, ein 25 bis 30 Meter langes Boot. Sie erklärten uns gegenüber, dass sie keine Rettung wollten und nicht nach Griechenland kommen wollten.

Als wir die Situation sahen, fuhren wir nicht weg, sondern blieben auf parallelem Kurs. Am Morgen setzte ihr Motor aus, die Menschen gerieten in Panik. Das Boot verlor seinen Schwerpunkt und kenterte."

Zudem betonte er: "Wir dürfen in internationalen Gewässern kein Schiff betreten, das nicht am Drogenschmuggel oder einer anderen besonderen Straftat beteiligt ist. Das Boot transportierte – illegal – Menschen."

Auch das wirft Fragen auf: Hatte sich die Küstenwache mit den Aussagen der Besatzung, die nun als Schleuser angeklagt sind, zufriedengegeben? Ist der lebensgefährliche Menschenschmuggel unter Missachtung sämtlicher Sicherheitsvorschriften im Gegensatz zum Drogenhandel keine "besondere Straftat"? Die Menschenschlepper verdienen pro Fahrt mit dem Fischkutter eine Summe von zwei bis drei Millionen Euro.