Syrien: Dschihadisten-Chef will Afrin und Idlib unter einer gemeinsamen Verwaltung
Die Türkei wird diesem Vorschlag keine Chance geben. Er zeigt, dass islamistische Extremisten wie der al-Qaida-Sprößling HTS nach dem Taliban-Erfolg ein größeres politisches Gewicht reklamieren
Der Führer der syrischen Dschihadisten-Miliz Hayat Tahrir asch-Scham (HTS), die das syrische Gouvernement Idlib zu einem de-facto-Emirat macht, landet immer wieder mal einen Überraschungscoup. Neuerdings schlägt er vor, dass die türkischen Protektorate in Syrien, Afrin und das besetzte Gebiet östlich des Euphrats, bei Ras al-Ain und Tell Abayd, zusammen mit Idlib unter eine "gemeinsame Verwaltung" gestellt werden.
Den Vorschlag äußerte Abu Muhammad al-Jolani (deutsch: al-Dschaulani) während einer Zusammenkunft in Idlib Anfang August. Ein Video der HTS-nahen Amjad Media Agency mit diesem Vorschlag kam in Umlauf und erreichte dann über das Internetportal Global Comment auch den gut vernetzten US-Syrien-Experten Joshua Landis und damit auch Zirkel, die politischen Einfluss haben.
Die türkische Regierung wird den Vorschlag nicht beim Buchstaben nehmen. Die türkische Verwaltung in den besetzten Zonen in Afrin und weiter östlich in Syrien ist mittlerweile derart fest installiert, dass Beobachter gute Gründe haben, von Protektoraten zu sprechen. Diese Verwaltung braucht keine Hilfe der HTS.
Aufhorchen lässt der Vorschlag von al-Jolani, der früher eng mit al-Qaida zusammenarbeitete und Zawahiri einen Treueschwur leistete, weil dies der nächste Schritt ist zu seinem politischen Ziel ist, sich als Verhandlungspartner in Syrien zu etablieren, an dem kein Weg vorbeiführt.
Das ist eine beachtliche Entwicklung, wenn man sich vor Augen hält, dass er seit 2013 von den USA als "Terrorist" gelabelt ist, auf den eine 10-Millionen-US-Dollar-Belohnung ausgesetzt ist - und vor allem, wenn man bedenkt, dass HTS beim Höhepunkt des russisch-syrischen Kampfes gegen die dschihadistische Opposition um ihr Überleben fürchten musste.
Sämtliche Abkommen über Idlib sahen auf längere Frist einen Abzug der Extremisten vor. Stattdessen übt Hayat Tahrir asch-Scham seit längerer Zeit eine unangefochtene Herrschaft über Idlib aus und al-Jolani ist deren Emir.
Al-Jolani kann sich - im Gegensatz zu anderen bekannten Dschihadisten-VIPs, die von US-Drohnen in Idlib getötet wurden - immer wieder ungezwungen unter (drohnen-) freien Himmel in Idlib zeigen. Anfang des Jahres zog er sich einen westlichen Anzug an, um mit einem US-Reporter ein Interview zu führen, das weithin für Aufmerksamkeit sorgte und die Kern-Botschaft des al-Qaida-Sprößlings unter das englisch-sprachige große Publikum brachte: "Wir sind Syrer, wir sind die Opposition zu Baschar al-Assad, wir sind keine Terroristen, von unserem Boden aus werden keine Anschläge auf andere Länder geplant."
Wem hier eine aktuelle Parallele auffällt, der liegt richtig. Das große Vorbild für HTS sind die Taliban, das islamische Emirat Afghanistan mit der Scharia als Rechtsgrundlage. Der Deal der Taliban mit den USA hatte zur Voraussetzung, dass die Taliban dafür sorgen, dass Afghanistan keine Basis mehr für Anschläge von al-Qaida sind. Genau damit positioniert sich al-Jolanis politische Öffentlichkeitsarbeit und die US-Medien liefern ihm immer wieder gute Gelegenheiten dazu. Dass al-Jolanis Dschihadistengruppe ein Gegner al-Assads und der syrischen Regierung ist, ist da kein Nachteil.
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ändert sich das Verhältnis westlicher Staaten zu den radikalislamischen Extremisten. Deutschland setzt auf gute diplomatische Beziehungen mit den Taliban - anders als im Fall Baschar al-Assad.
In Idlib feierte HTS den Sieg der Taliban in Afghanistan mit Gratulationen und Gedichten. Es wachsen die Hoffnungen auf ein neues politisches Standing auch der Dschihadisten in Syrien, da sie doch für "geordnete Verhältnisse und Ruhe" sorgen.