Vom Westen unterstützte syrische "Rebellen": Große Taliban-Fans
Das afghanische Emirat als Vorbild. Terror-Experte fürchtet Möglichkeit eines neuen Zustroms von Dschihadisten nach Afghanistan
Dschihadisten, die dichten "Ich liebe die Taliban, weil in ihnen die Festigkeit eines freien, authentischen Muslims lebt/Weil die Verherrlichung der Scharia eine Investition ist." Der Originaltext ist in Arabisch gefasst, das lässt ahnen, dass das Gedicht in dieser Sprache wenigstens besser klingt und funkelt als diese öde Bekenntnis-Lyrik, zu der sie die auf den Inhalt konzentrierte englische Übersetzung entblößt.
Das interessante an dieser Fan-Hymne ist, dass sie aus Syrien stammt, aus dem Mini-Emirat Idlib. Dort feiert die herrschende Hayat Tahrir asch-Scham (HTS), ein al-Qaida-Ableger, die Machtübernahme der Taliban. Es gab Bonbons und offizielle, amtliche Gratulationen an die Adresse der wiedergekehrten Idole der Dschihadisten-Welt (auch die Pop-Affinen finden im Taliban-Bildmaterial Inspirationen).
Die Glückwünsche der Taliban-Bewunderer in der Scharia-Enklave Idlib finden sich gut dokumentiert bei Aymenn Jawad Al-Tamimi. Das offizielle Statement der HTS hat einen ganz ähnlichen Kern wie das Gedicht:
In der Erklärung werden die jahrelangen Kämpfe der Taliban als Inspiration für die eigene "Standhaftigkeit" hervorgehoben. Gleichzeitig wird die internationale Gemeinschaft aufgefordert, anzuerkennen, dass sie keine unterdrückerischen Regime gegen den Willen der Völker, die sie ablehnen, unterstützen sollte. Die Erklärung schließt mit der Hoffnung auf einen Sieg zur Befreiung Syriens und zur Durchsetzung des islamischen Rechts.
Statement der Hayat Tahrir asch-Scham
Dass die Taliban in Afghanistan jetzt neu im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Dschihadisten stehen, könnte in der Realität für die bewaffnete Opposition, die in Syrien ein Emirat erreichen wollen, unerwünschte Konsequenzen haben.
Obwohl der "Erfolg" in Afghanistan ähnlich stark wie in Sieg in Syrien gefeiert wird, könnte sich die Situation negativ für die syrischen Islamisten entwickeln. Sollten die Taliban zum Status Quo der Jahrtausendwende zurückkehren, könnte das Land im Mittleren Osten zum Hort und Rückzugsort internationaler dschihadistischer Kräfte werden. Eine Rolle, die bisher Syrien bzw. die Provinz Idlib einnehmen konnte.
Philip Klaus, Syrische Opposition feiert Sieg der Taliban
Klaus nennt als Beispiel die chinesisch-uigurische Terrormiliz Islamische Turkestan Partei, die wegen der Angriffe der US-Militärs in Afghanistan nach Syrien "migriert" sei. Der Krieg in Syrien habe ähnliche Effekte auch auf "relevante al-Qaida-Kader und insbesondere Islamisten aus Zentralasien, z.B. Usbekistan" gehabt.
Sollten die nun nach Afghanistan zurückkehren, würden in Idlib wichtige Kräfte fehlen, nimmt er an. Dass mit dem Nato-Mitgliedsstaaat Türkei verbundene islamistische Milizen - die HTS kann in Idlib nur regieren, weil sie die Türkei gewähren lässt - den Taliban gratuliert haben, bestätigt die Nähe der "syrischen Rebellen" zur "islamischen Mission" der Taliban. Auch die mit der Türkei verbundene und lange Zeit von Saudi-Arabien finanzierte, oft als "moderate Rebellengruppe" bezeichnete Ahrar asch-Scham waren die Taliban viele Jahre lang Vorbilder. Zuletzt machte die Miliz, die im Bündnis mit der Türkei ist, Schlagzeilen durch Abspaltungen. Da bleibt keine Zeit für hymnische Gedichte an das Emirat in Afghanistan.
Es wird dieser Tage von Experten und Beobachtern viel darüber spekuliert, welche Konsequenzen die Machtübernahme der Taliban auf eine Neuorientierung der Dschihadisten besonders im Nahen Osten, in Nordafrika, in Zentralasien sowie anliegender Regionen haben wird. Eine aktuelle Einschätzung dazu liefert der in Fachkreisen bekannte Think-Tanker (Washington Institute of Near East Policy) und Dschihad-Experte Aaron Y. Zelin.
Auch er zitiert hymnische Lobgesänge aus Idlib (mit klangvolleren Beispielen) und auch er schreibt wie Klaus von der Möglichkeit eines neuen Zustroms von Dschihadisten nach Afghanistan.
Zelin fängt mit einer Bilanz aus dem Jahresende 2018 an. Damals soll ein ranghoher Taliban-Kommandeur gegenüber NBC News erklärt haben, dass sich etwa 2.000 bis 3.000 ausländische Kämpfer den Taliban angeschlossen hatten. Die meisten würden aus Pakistan, Xinjiang, Tadschikistan, Usbekistan, dem Kaukasus, Tunesien, Jemen, Saudi-Arabien oder Irak stammen.
Auch der IS in Afghanistan habe eine breite Palette an ausländischen Kämpfern: "Aus Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Russland, Xinjiang, Jordanien, Iran, Türkei, Indonesien, Bangladesch, Indien, Malediven, Algerien oder Frankreich."
Zelin geht von der Annahme aus, dass viele Gruppen, die aus anderen Ländern kommen, weiterhin in Afghanistan operieren. Er nennt vorneweg al-Qaida, die Islamische Bewegung Usbekistan, Katibat Imam al Bukhari und die hier bereits erwähnte chinesisch-uigurische Terrormiliz Islamische Turkestan-Partei.
Afghanistan könnte für Washington und Peking "ein Ansporn sein, gemeinsam gegen die Bedrohung durch externe dschihadistische Operationen vorzugehen", schließt Zelin daraus.
Die Taliban und die Extremisten
Sein Hauptaugenmerk richtet er auf al-Qaida. Bislang gebe es weder von der "Zentrale" noch von ihren Zweigstellen eine offizielle Äußerung zum Taliban-Erfolg in Afghanistan. Die bisherigen Online-Reaktionen einzelner al-Qaida-Anhänger und der Hilfsorganisation Thabat News Agency würden jedoch darauf hindeuten, dass der Sieg noch offiziell gefeiert werden würde.
Möglicherweise, das aber schreibt Zelin nicht, hängt dies damit zusammen, dass es noch ungeklärt ist, wie die Talibanführung gegenüber den extremistischen Gruppen verhalten wird. Wie gestern berichtet, sehen Ortskenner da einen Unterschied zum Taliban-Emirat von 1996 bis 2001 (Afghanistan: "Die Taliban 2021 sind ein völlig anderes Lebewesen als die Taliban 2001").
Jetzt stehen die Taliban im Wort nicht nur mit den USA, was nun vielleicht weniger relevant erscheint, im Zuge einer von ihnen angestrebten Konsolidierung des Landes wichtig bleibt, aber auch mit Russland und China. Schlechte Beziehungen zu diesen beiden Großmächten werden nicht im Interesse der Taliban liegen, ebenso wenig wie Ärger mit Iran, der auf gemeinsame Interessen setzt.
"Die Taliban wissen sehr genau, dass jede Verbindung zu den Überbleibseln von Al-Qaida, ISIS/Daesh, ISIS-Khorasan und ETIM kontraproduktiv ist - wie ihre Gesprächspartner bei der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit sehr deutlich gemacht haben", so die Einschätzung von Pepe Escobar.
Zelin hat bei seiner Lagebeschreibung im Auge, was in Medienberichten noch nicht genau dargestellt wurde, weil es dazu wenig Informationen gibt: die Freilassung Tausender Gefangener aus dem Gefängnis in Bagram durch die Taliban.
Da sich dort die wichtigsten Gefangenen der al-Qaida befanden, so Zelin, könnte dies die Bemühungen der Terrorgruppe um den Wiederaufbau ihrer lokalen Infrastruktur "wahrscheinlich beschleunigen".
Das ist allerdings derzeit ebenso Spekulation wie auch der Zuzug dschihadistischer Kämpfer nach Afghanistan.