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Syrien-Treffen in Astana: Kaum Chancen auf Erfolg

Am Sonntag veröffentlichtes Bild vom IS, das die Zerstörungen nach einem russischen Luftangriff auf Deir ez-Zor zeigen soll.

Für eine schnelle Lösung sind zu viele konfligierende Interessen und Akteure im Spiel, auch zwischen Russland, der Türkei und Iran knirscht es

Heute beginnen die von Russland und der Türkei organisierten Gespräche über Syrien in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan. Im wesentlichen soll [1] es darum gehen, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet, den zwischen einigen Oppositionsgruppen und der syrischen Regierung Ende des Jahres vereinbarten Waffenstillstand zu sichern. Das Ziel wird also zumindest von russischer Seite schon einmal tief gehängt. Teilnehmer sind überdies Vertreter von Russland, dem Iran und der Türkei sowie der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura.

Die USA werden so kurz nach dem Amtsantritt der Trump-Regierung nicht mit einer offiziellen Delegation teilnehmen, aber der US-Botschafter in Kasachstan wird die USA vertreten. Donald Trumps Amtsantritt wurde von der Türkei und Russland begrüßt, die beide auf veränderte Beziehungen hoffen, und die neue US-Regierung zu den Verhandlungen ausdrücklich eingeladen haben. Zunächst hatte Iran versucht, eine Beteiligung der USA zu verhindern, wurde aber offenbar überstimmt, vielleicht auch im Deal damit, dass Saudi-Arabien und Katar nicht teilnehmen, was Syrien ablehnte. Der russische Regierungschef Medwedew stellte [2] jedoch gestern klar, dass man trotz Hoffnung auf Annäherung in Moskau nicht mit einem schnellen Ende der Sanktionen rechnet. Als Zeichen des Entkommens haben vielleicht US-Flugzeuge erstmals wieder Stellungen von Jabhat Fateh Al Sham bombardiert (Späte Einsicht: US-Luftwaffe greift Ausbildungslager der al-Nusra an [3]).

Die Gespräche in Kasachstan werden überschattet von neuen Aktionen des Islamischen Staats, dessen Kämpfer das schon einmal von syrischen Truppen mit russischer Hilfe eroberte Palmyra im Dezember 2016 wieder einnehmen konnten. Wie schon zuvor, lenken sie mit Zerstörungen von antiken Kulturdenkmälern, die zum UN-Weltkulturerbe gehören, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich. So haben sie u.a. die Bühne des römischen Amphitheaters zerstört, offensichtlich eine symbolische Racheaktion und Drohung gegenüber Russland. Moskau hatte sich als Befreier von Palmyra und Retter des Weltkulturerbes gefeiert und eben in dem Theater im Mai des letzten Jahres ein russisches Symphonieorchester ein Konzert geben lassen.

Schwierigkeiten sind bei den Gesprächen abzusehen, an denen nun das von Saudi-Arabien unterstützte Hohe Verhandlungskomitee (HNC) nach einigem Zögern doch teilnehmen will. Angeführt werden die Oppositionsgruppen, bestehend aus al-Sham Brigade, Sultan Murad Brigade, al-Shamiyyeh Front, Jaysh al-Ezzeh, Jaysh al-Nasr, First Coastal Division, Fastaqim, al-Islam Märtyrerbrigade und Jaysh al-Islam, von Muhammad Alloush von der islamistischen und salafistischen Gruppe Jaysh al-Islam, die von den Saudis unterstützt wird. Einige bewaffnete Gruppen wollen hingegen nicht teilnehmen, auch Ahrar al-Sham hat abgesagt, allerdings gibt es hier verschiedene Fraktionen, so dass es über Verbindungen hinaus zu "gemäßigten" bewaffneten Gruppen nicht nur Nähen mit al-Qaida, sondern auch mit dem Islamischen Staat gibt. Zudem ist die Gruppe geschwächt, nachdem einige Fraktionen sich im Dezember zusammengeschlossen und eine neue Gruppe geformt haben.

Vergangene Woche flammten [4] in Idlib Kämpfe zwischen der von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar [5] unterstützten Islamistengruppe und Jabhat Fateh Al Sham, früher al-Ansar, auf. Die mächtige al-Qaida-Gruppe mit undurchsichtigen Beziehungen zum IS hat Sorge, nun doch isoliert zu werden und drängt auf einem Zusammenschluss mit Ahrar al-Sham bzw. deren Unterordnung. Auch die mit Fateh al-Sham verbundene Gruppe Jund al-Aqsa ist in der Region in Kämpfe gegen Ahrar al-Sham verstrickt, der Experten langfristig wenig Chancen geben, wodurch die Türkei und die Golfstaaten hier an Einfluss verlieren könnten.

Islamischer Staat keineswegs auf dem Rückzug

Dass ausgerechnet Fateh al-Sham ein Hauptquartier von Ahrar al-Sham angegriffen hat, nachdem diese in einer Schwäche bereits die Teilnahme an den Gesprächen in Astana abgesagt und damit die enge Bindung an die Türkei revidiert hat, weist auch auf die unübersehbare Verflochtenheit der Machtlinien im syrischen Chaos, in dem die Groß- und Regionalmächte teils zusammen, teils gegeneinander ihre Interessen verfolgen und der Islamische Staat noch weit entfernt von einer Niederlage ist, wie die Rückeroberung von Palmyra, die Offensive in Deir Ez-Zor (Über 100.000 Bewohner und syrische Armee vom IS eingekesselt [6])und der anhaltende Widerstand in al-Bab (Al-Bab - türkische Mission gescheitert [7]) offenbart.

Vom IS bei al-Bab erbeuteter Panzer.

Angeblich soll [8] der IS Kämpfer und Führungspersonal von der Stadt Raqqa, der sich die kurdischen YPG vom Osten her nähern, nach Deir- ez-Zor verlegt haben. Die vom IS eingeschlossene Zone, in der sich um die 100.000 Menschen aufhalten sollen, kann nach dem WFP seit dem 15 Januar auch nicht mehr von der Luft aus mit Lebensmitteln versorgt [9] werden, da die Abwurfstelle in der Nähe des Flugplatzes nicht mehr von der syrischen Armee kontrolliert wird. Obgleich russische Flugzeuge Ziele in Deir ez-Zor und gemeinsam mit türkischen in al-Bab bombardieren, sind nach der Zurückeroberung von Aleppo und dem Waffenstillstand russische Erfolge eher ausgeblieben.

Und auch die türkischen Bodentruppen mit den Milizen kommen in al-Bab nicht voran, wo der Islamische Staat es geschafft, einige Leopard-Panzer der türkischen Armee zu zerstören. Das türkische Militär führt [10] das Scheitern der Offensive darauf zurück, dass man trotz intensiver Bombardierung angeblich durch die Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung in der Stadt, in der sich noch mehr als 30.000 Menschen aufhalten sollen, behindert werde. Unklar ist, inwiefern der IS hier mit anderen bewaffneten Gruppen zusammenarbeitet. Zudem besteht ein Konflikt zwischen türkischen Interessen, die den Korridor sichern und eine kurdische Kontrolle verhindern wollen, nicht nur mit den syrischen Kurden, sondern auch mit Damaskus. Richtung al-Bab sind auch syrische Truppen vorgerückt und haben ebenfalls mit russischer Luftunterstützung einige Dörfer in der Nähe eingenommen.

Kaum entwirrbares Geflecht

Russland steht hier zwischen den unterschiedlichen Interessen, man munkelt [11], es habe einen Deal zwischen Damaskus und der Türkei gegeben, gemeinsam mit Russland al-Bab einzunehmen. Allerdings opponiert [12] hier ebenso wie in Astana der Iran, der die syrischen Bodentruppen mit Kampfverbänden und schiitischen Milizen entscheidend verstärkt, den türkischen Vormarsch in al-Bab und überhaupt in Syrien verhindern will. Auch im Irak treffen türkische und iranische Interessen beim Kampf um Mosul oder Tal-Afar aufeinander. Schwer vorstellbar, wie sich in Astana in dieser Konstellation alleine der drei Staaten eine anhaltende Lösung für Syrien finden lassen könnte. Gut möglich, dass man nun in Russland darauf hofft, mit einer Kooperation mit den USA die Lage in Syrien besser in den Griff zu bekommen.

Dazu kommt, dass im Unterschied zu Russland, das einen schwierigen Spagat auch im Hinblick auf die syrischen Kurden vollzieht und Gespräche zwischen diesen und Damaskus unterstützt, die Türkei wohl die unverhandelbare Position bezogen hat, dass es keine Verhandlungen mit der YPG bzw. der PYD geben darf und diese ebenso wie der Islamische Staat als Terroristen bekämpft werden müssen. Die Türkei bestand auch darauf, die syrischen Kurden der YPG bzw. die SDF nicht nach Astana einzuladen. Damit konnte sich Ankara durchsetzen. Allerdings soll [13] der Kurdische Nationalrat (KNC), ein kleineres Bündnis von kurdischen Parteien aus Syrien, teilnehmen. Das Bündnis kam durch Vermittlung von Masud Barzani, des Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, zustande, mit der auch die Türkei kooperiert. Die Einbeziehung des KNC und der Ausschluss der YPG wird die Spannungen zwischen den beiden Gruppen verstärken. Die YPG lassen Peschmerga des KNC, die im Nordirak ausgebildet wurden, nicht nach Rojava, solange sie sich nicht den YPG unterstellen. Der KNC lehnt die multiethnischen und multikulturellen Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava ab. Während der KNC der YPG eine Kooperation mit Assad vorwirft, wirft diese dem KNC eine Zusammenarbeit mit der Türkei vor.


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https://www.heise.de/-3604650

Links in diesem Artikel:
[1] http://tass.com/world/926520
[2] https://www.rt.com/news/374687-russia-sanctions-medvedev-elections/
[3] https://heise.de/-3604296
[4] http://www.thenational.ae/opinion/comment/why-ahrar-al-sham-will-soon-rip-itself-into-pieces
[5] https://www.heise.de/-3603363.html
[6] https://www.heise.de/-3598933.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Nordsyrien-Al-Bab-tuerkische-Mission-gescheitert-3588636.html
[8] http://english.aawsat.com/2017/01/article55366023/isis-mass-exodus-raqqa-deir-ezzor
[9] http://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/syria-arab-republic-deir-ez-zor-flash-update-no-1-20-january-2017
[10] http://www.dailysabah.com/war-on-terror/2017/01/21/daesh-receives-biggest-blow-in-syria-from-turkey-since-summer
[11] https://southfront.org/syra-russia-turkey-agree-on-joint-military-operation-to-recapture-al-bab-city-reports/
[12] http://www.hurriyetdailynews.com/iran-does-not-favor-turkeys-al-bab-offensive-prefers-regime-operation.aspx?PageID=238&NID=108514&NewsCatID=352
[13] http://aranews.net/2017/01/knc-participation-astana-talks-aimed-defending-kurdish-rights-syria-officials/