Taiwan, Ukraine: Wie Diplomatie und Krieg zusammenpassen

Seite 2: Wirtschaftliche Übermacht wird mit militärischer abgesichert

In der Regel funktioniert das. Auch weil sich die Staaten der zweiten oder dritten Liga in der Welt nicht nur einer ökonomischen Übermacht der bestimmenden Staaten gegenübersehen und ihnen nichts anderes übrigbleibt, als vom Benutztwerden für die Geschäfte der Unternehmen der "Ersten Welt" möglichst viel an Benutzungsgebühr zu erhoffen. Sondern auch weil diese "erste Welt" ihre Geschäfte mit einer überlegenen militärischen Macht absichert, die ernsthafte Gegenwehr zum Scheitern verurteilt.

Es ist eben gar nicht zufällig, welche Staaten regelmäßig die größten Ausgaben für Rüstung tätigen. Sie müssen es, und sie können es:

Wie das Friedensforschungsinstitut Sipri (…) in Stockholm mitteilte, investierten die Staaten im vergangenen Jahr 2.240 Milliarden US-Dollar (etwa 2.040 Milliarden Euro) in ihre Armeen – und damit so viel wie nie zuvor. (…) Mit Ausgaben von 877 Milliarden US-Dollar führen die USA die Sipri-Liste wie auch im Jahr zuvor an, gefolgt von China (etwa 292 Milliarden US-Dollar) und Russland (etwa 86,4 Milliarden US-Dollar).

Zusammengerechnet machen die Ausgaben der drei Länder mehr als die Hälfte der weltweiten Investitionen aus. Deutschland investierte den Angaben zufolge 2022 knapp 56 Milliarden US-Dollar in die Aufrüstung und liegt damit auf Platz sieben der Rangliste. Für Europa verzeichnen die Friedensforscher einen starken Anstieg bei den Militärinvestitionen um 13 Prozent.(...)

Auch in den Ländern Asiens und Ozeaniens beobachten die Friedensforscher einen konstanten Aufwärtstrend. Chinas Militärausgaben seien zum 28. Mal in Folge gestiegen. Die japanischen Ausgaben hätten mit 46 Milliarden US-Dollar ebenfalls den höchsten Stand seit 1960 erreicht. Den einzigen Rückgang bei den Rüstungsausgaben weltweit beobachten die Fachleute in Afrika. Dort lagen die Militärausgaben den Angaben zufolge bei knapp 40 Milliarden US-Dollar.

ZDF

Die Spitzenreiter der Aufrüstung benötigen ihre Gewaltmittel weniger, um die kleineren Staaten in Schach zu halten. Weit mehr geht es um die Konkurrenz unter ihresgleichen: zwischen den USA, Russland und China, um nur die größten Gegner zu nennen.

Auch die EU gehört in die Reihe, mit Deutschland als deren Führungsmacht. Schließlich gilt es für die Union, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten – nicht nur gegen China, sondern auch gegen die USA.

Denn spätestens seit dem US-amerikanischen "Inflation Reduction Act" (IRA) kämpfen die Europäer um die Attraktivität ihres Standorts für das Kapital.

Große Konzerne wie beispielsweise VW und BMW überlegen sich, wie sie unter den Bedingungen des IRA ihre Produkte noch in den USA absetzen können: Indem sie ihre Herstellung soweit dorthin verlagern, dass sie als lokal gelten kann – und damit auch in den Genuss nationaler Subventionen kommt.

Denn ohne sie sind die Waren sonst nicht mehr wettbewerbsfähig gegenüber den US-amerikanischen Angeboten. Einstweilen jedenfalls müssen die deutschen Hersteller einen Rückschlag verkraften. Sie erhalten keine Zuschüsse mehr für ihre Elektroautos.

Der mittlerweile für die EU und Deutschland ähnlich bedeutende Handelspartner China hat zwar kein eigenes "IRA" aufgelegt. Aber Peking sorgt mit diversen Auflagen für die Beteiligung ausländischer Unternehmen und deren Produktion im Land seit langem dafür, dass die heimische Wirtschaft nicht in der globalen Konkurrenz unter die Räder gerät.

In einigen wichtigen Branchen hat sich die chinesische Ökonomie so über die Jahre weg entwickelt von der billigen Werkbank westlichen Kapitals hin zu einem führenden Anbieter und ernst zu nehmenden Konkurrenten. Bekannte Fälle sind die Solarindustrie, Telekommunikation (Huawei) und neuerdings auch Elektroautos.

Der Westen, USA und EU, betrachten diese Entwicklung mit Argwohn. Einerseits aus Sorge um den Erfolg des eigenen Kapitals auf dem Weltmarkt. Von unzulässigen staatlichen Subventionen ist dann meist die Rede, die den chinesischen Unternehmen nicht vertretbare Wettbewerbsvorteile verschafften.

Die Handelsdiplomatie zwischen West und Fernost prägen die wechselseitigen Vorwürfe – und ebenso das wechselseitige Interesse, die Handelsbeziehungen weiter aufrecht zu erhalten. Denn sie sind einfach zu gedeihlich für beide Seiten. Entprechend wird stets betont, dass man – bei aller verschiedenen Ansicht und der einen oder anderen Handelssanktion – an den Beziehungen festhalten möchte.

Neue Handelsdiplomatie: weniger Abhängigkeiten, viele Geschäfte

Dennoch hatte eine Zeitlang das westliche Lager mit dem Abkoppeln ("De-Coupling") vom chinesischen Markt geliebäugelt. Irgendwie sollte das eigene Kapital nicht mehr so abhängig von den chinesischen Zulieferungen und dem dortigen Absatzmarkt sein – und trotzdem weiter ordentlich Geschäfte machen. Die allerdings profitieren nun einmal zu bedeutenden Teilen von eben diesen Zulieferungen und dem chinesischen Absatzmarkt.

Die entsprechenden Hinweise einschlägiger Konzerne haben nun zu einem Umdenken geführt: Jetzt geht es um das Minimieren von Risiken ("De-Risking"). Die chinesische Wirtschaft irgendwie kleinhalten, nichtsdestotrotz sie für gedeihliche weitere Ausbeutung und Exporte benutzen.

Unter anderem geht das so: Die US-Regierung hat Technik und Geräte des chinesischen Herstellers Huawei verboten.

Die USA werfen Huawei enge Verbindungen zu chinesischen Behörden vor und warnen vor Spionage und Sabotage.

Handelsblatt

Und auch die deutsche Regierung plant ein Verbot von Huawei-Technik.

Auf der anderen Seite gibt es gegenläufige Tendenzen. So baut BASF ein großes Werk für zehn Milliarden Euro in der südchinesischen Provinz Guandong. Wirtschaftlich gesehen sehr nachvollziehbar, wie BASF-Chef Martin Brudermüller auf der Konzern-Hauptversammlung am 27. April erläuterte:

Der Wachstumsmarkt für die Chemiebranche ist Asien, und dort vor allem China. China steht für rund die Hälfte der weltweiten Umsätze in der Chemie. Bei BASF steht China aber nur für weniger als 15 Prozent des Gesamtumsatzes. Wir wollen weiterhin hochprofitabel wachsen in China. Und deshalb investieren wir.

Und doch stößt diese Entscheidung auf Kritik, "De-Risking" sieht anders aus: "Die China-Strategie Brudermüllers werde am Kapitalmarkt als Hochrisikostrategie gesehen, da ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan zu einem Totalverlust des China-Geschäfts führen könnte", zitiert die Süddeutsche Zeitung den Fondsmanager Arne Rautenberg von Union Investment (vgl. "BASF und der riskante Weg in China", SZ, 28.04.2023).

Natürlich hat der BASF-Chef dies abgewogen und kommt zu dem Schluss:

Macht sich BASF damit zu abhängig von China? Vernachlässigen wir die geopolitischen Risiken? (…) Unsere Antwort lautet nach intensiver und verantwortungsvoller Abwägung: Nein. Wir haben die Chancen und Risiken unserer Investitionen in China tiefgehend analysiert. (...) Im Ergebnis bewerten wir die Chancen für BASF deutlich höher als die Risiken.

So schließt sich der Kreis zur "großen Politik", in diesem Fall zum eingangs geschilderten Konflikt zwischen den USA und China bezüglich Taiwan. Die "vaterlandslosen Gesellen" von der Kapital-Fraktion wollen möglichst überall und zu möglichst überall optimalen Bedingungen ihre Geschäfte machen.

Dafür benötigen sie "stabile Verhältnisse". Sprich, es muss im Ausland für sie gewährleistet sein, dass sie dort problemlos ausbeuten und produzieren können sowie ihre Gewinne sicher sind. Insofern denken sie auch national: Ihr Staat sollte dafür bitteschön sorgen.

Schließlich profitiert er von dem sich dann weiter einstellenden weltweiten Erfolg seiner Unternehmen mit Hauptsitz hierzulande. Die Steuern auf die Gewinne füllen die Haushaltskasse. Und in der Diplomatie bekommt ein solcher Staat entsprechend mehr Gewicht, wenn er mächtige Konzerne hinter sich weiß – die erwähnten Waffen der Konkurrenz.

In den Beziehungen zwischen USA, EU und China bleibt es einstweilen dabei. Wenngleich die Konfliktthemen zunehmen und ein Krieg wegen Taiwan nicht mehr ausgeschlossen wird.