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Taiwan-Wahl: Entscheidet sich die Insel für eine weitere Konfrontation mit China?

Die Präsidentin von Taiwan Tsai Ing-wen besichtigt im Juli 2020 ein Bataillon des Marinekorps in Kaohsiung. Bild: Präsidentenbüro / CC BY 2.0 Deed

USA und China eskalieren im Streit um Inselrepublik. Wahl dort am Samstag könnte Weichen für Weltfrieden stellen. Was zu erwarten ist. Gastbeitrag.

Diesen Samstag, am 13. Januar, gehen die Einwohner von Taiwan, einer Insel vor der Küste Chinas, an die Urnen, um einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Diese Wahlen ziehen mehr internationale Aufmerksamkeit auf sich, als man bei einem Land mit nur 24 Millionen Einwohnern erwarten könnte.

Taiwan als geopolitisches Schachbrett

Das Ergebnis wird Auswirkungen auf die Entwicklung des Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und China und damit möglicherweise auch auf den Weltfrieden haben.

Ich habe vor den Wahlen mit Wu Rong-yuan, dem Vorsitzenden der Arbeiterpartei Taiwans, in der Hauptstadt Taipeh gesprochen. Seine Partei bewirbt sich um Sitze in drei Bezirken.

Wim De Ceukelaire ist Journalist und im Vorstand des People's Health Movement.

Aufgrund des Mehrheitswahlsystems ist dies ein harter Kampf. Außerdem ist die Arbeiterpartei aufgrund ihrer Haltung zur Wiedervereinigung mit China marginalisiert. Um das besser zu verstehen, lasse ich mir von einem Veteranen des Arbeitskampfes noch einmal die Geschichte erklären.

Kuomintang-Diktatur bis zur Demokratisierung 1987

Taiwan lebte bis 1987 unter der Diktatur der Kuomintang [1], der Partei von Chiang Kai-shek. Die Wurzeln der Kuomintang liegen auf dem chinesischen Festland, wo sie bis zum Sieg der sozialistischen Revolution im Jahr 1949 an der Macht war.

Auch nach dem Ende der Diktatur regierte die Partei in Taiwan, das offiziell immer noch Republik China heißt, weiter und leitete einen Demokratisierungsprozess ein. In der Zwischenzeit formierte sich die wichtigste Opposition um die Demokratische Fortschrittspartei (DPP).

Lange Zeit war die Politik auf der Insel ein Zweikampf zwischen der Kuomintang und der DPP. Fast alle anderen, viel kleineren politischen Kräfte standen entweder auf der Seite der blauen oder der grünen Koalition, entsprechend den jeweiligen Farben der beiden Parteien. Während die Kuomintang die Insel als Teil Chinas betrachtet, spricht sich die DPP eindeutig für ein unabhängiges Taiwan aus.

Aufstieg der Demokratischen Fortschrittspartei

Im Jahr 2000 kam die DPP zum ersten Mal an die Macht. Nach einer achtjährigen Unterbrechung gelang ihr dies im Jahr 2016 erneut.

Sie stellte nicht nur die Präsidentin Tsai Ing-wen, sondern regierte auch mit einer Mehrheit im Parlament. Unter Tsai nahmen die Spannungen mit China weiter zu [2], angeheizt durch die Vereinigten Staaten.

Wu erklärte mir, dass sich die wirtschaftlichen Positionen der beiden Parteien nicht wesentlich unterscheiden. Beide orientieren sich an den USA. Wu stellt fest:

Außerdem teilen sie auch gemeinsam den Antikommunismus gegen die Machthaber in Beijing (Peking), aber während es bei der Kuomintang heißt, dass die Bewohner Taiwans und des chinesischen Festlandes eine chinesische Nation bilden, die durch das Meer und unterschiedliche Ideologien getrennt ist, hat die DPP den taiwanesischen Nationalismus erfunden: Seit sie vor 23 Jahren an die Macht kam, ist es ihr gelungen, aus dem Nichts eine eigene taiwanesische Identität zu schaffen.

Militarisierung und Energiekrise

Das bedeutet nicht, dass alle Taiwaner den Kurs der DPP unterstützen. Im Gegenteil, die Popularität der regierenden DPP ist deutlich gesunken [3].

Normalerweise würde die Opposition die anstehenden Wahlen haushoch gewinnen. Die Bevölkerung ist in der Frage der richtigen Haltung gegenüber China gespalten. Die Verlängerung des Militärdienstes [4] von vier auf zwölf Monate macht die drohende militärische Eskalation plötzlich sehr konkret.

Die Energiekrise [5] hingegen ist ein Symbol für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Bevölkerung ist mit der Politik der Regierung alles andere als zufrieden.

Parteipolitische Zerfledderung

Ein sicherer Sieg für die Kuomintang also? Nicht ganz, denn dieses Mal gibt es eine dritte Partei, die einen bedeutenden Teil der Wähler überzeugen kann. Die kürzlich gegründete Volkspartei Taiwans präsentiert sich als Alternative zu den blauen und grünen Bündnissen und stellt mit dem ehemaligen Bürgermeister von Taipeh einen glaubwürdigen Kandidaten für das Präsidentenamt.

Kurzzeitig sah es so aus, als würde diese Partei mit der Kuomintang auf einem gemeinsamen Präsidententicket laufen wollen, doch im November entschieden sie sich schließlich für eine getrennte Kandidatur [6].

Mit einer gespaltenen Opposition könnte die DPP die Wahlen dennoch gewinnen. Die Präsidentschaftskandidaten der DPP und der Kuomintang liegen in den Umfragen Kopf an Kopf [7].

Konfrontationspolitik der USA

Niemand kann vorhersagen, wer gewinnen wird. Der Aufstieg einer dritten Partei hat jedoch eine wichtige Konsequenz: Unabhängig davon, wer die Präsidentschaftswahlen gewinnt, die siegreiche Partei wird wahrscheinlich keine Mehrheit im Parlament erhalten. Das bedeutet, dass Kompromisse geschlossen werden müssen.

Nach Ansicht von Wu Rong-yuan sind diese Wahlen entscheidend für die Beziehungen zwischen Taiwan und China. Die Kuomintang tritt für den Status quo ein, was bedeutet, dass beide Seiten anerkennen, dass es nur ein China gibt, aber unterschiedliche Interpretationen darüber haben, was dies bedeutet.

Die DPP will Taiwans Status als unabhängiges Land durchsetzen und kann dabei auf die Unterstützung der USA zählen. "Die Konfrontationspolitik der USA macht den Status quo unmöglich", sagt Wu, "während die Unabhängigkeit, die die DPP anstrebt, uns vom Festland isoliert und den Interessen der Arbeiter zuwiderläuft."

Vorbild Hongkong?

Wu erläutert schließlich die Vision der Arbeiterpartei:

Die Wiedervereinigung zwischen Taiwan und China ist der einzige Weg zu Frieden und Wohlstand: "Ein Land, zwei Systeme", ist eine realistische Formel.

Auf die Frage, ob dies auf der Grundlage der Vereinbarung mit Hongkong geschehen würde, lautet die Antwort nein:

China hat eindeutig erklärt, dass Taiwan mehr Autonomie haben würde, und dafür gibt es gute Gründe: Hongkong war eine Kolonie Großbritanniens, als es an China übertragen wurde, während Taiwan schon seit Jahrzehnten als autonome wirtschaftliche und politische Einheit existiert.

Obwohl die beiden traditionellen Parteien im Moment wenig gesprächsbereit zu sein scheinen, hofft die Arbeitspartei, dass nach den Wahlen Raum für einen Dialog zwischen Taipeh und Beijing besteht: "Es gibt kein Modell für die Wiedervereinigung, und nur durch Dialog und Austausch können wir Lösungen finden."

Der Artikel erscheint in Kooperation mit der Medienplattform Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original [8]. Übersetzung: David Goeßmann [9].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9594351

Links in diesem Artikel:
[1] https://after-dictatorship.org/en/continents/asia/taiwan/the-country.html
[2] https://www.scmp.com/news/china/diplomacy/article/3137231/timeline-cross-strait-relations-under-taiwans-president-tsai
[3] https://taiwaninsight.org/2022/10/27/does-the-public-still-trust-the-tsai-administration/
[4] https://thediplomat.com/2023/01/the-politics-behind-taiwans-military-draft-extension/
[5] https://english.cw.com.tw/article/article.action?id=3156
[6] https://www.scmp.com/news/china/diplomacy/article/3242022/taiwan-elections-kmt-tpp-joint-presidential-ticket-talks-break-down-over-technicality
[7] https://www.economist.com/interactive/2024-taiwan-election
[8] https://www.eurasiareview.com/08012024-elections-in-taiwan-does-the-island-choose-further-confrontation-with-china-oped/
[9] https://www.telepolis.de/autoren/David-Goessmann-7143590.html