Taurus-Debatte: Zwischen Kriegseintritt und Kalkül

Luca Schäfer
Ein Kampfflugzeug feuert hoch über den Wolken Taurus-Marschflugkörper ab.

Eurofighter mit Taurus. Illustration: Mike Mareen, Shutterstock.com

Die Ukraine fordert seit Jahren vehement deutsche Marschflugkörper. Doch Berlin zögert, bedeutet ihr Einsatz doch eine direkte Kriegsbeteiligung. Und welchen Zweck dient er eigentlich?

Am 25. April 2022 verkündete der damalige US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland zu ihren Gunsten wenden könne. "Der erste Schritt zum Sieg ist der Glaube daran, dass man gewinnen kann", ließ sich der General der US-Armee und ehemalige Kommandeur des US-Central Command zitieren.

Inzwischen drängt die US-Trump-Administration mit Hochdruck auf einen "Deal" mit Russland. In Verhandlungen, ohne Beteiligung Berlins, Brüssels oder Kiews, wird Weltpolitik gemacht und ganz nebenbei ein großer Teil der ukrainischen Bodenschätze als eine Art Wiedergutmachung Washington zugeschanzt.

Aber: Noch tobt der Krieg ohne Pause und Kiew, die EU und die meisten europäischen Länder werden versuchen, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Dazu passt die Lieferung von immer schwereren Waffen, seit Jahren Top-Thema und erklärter Wunsch der ukrainischen Armee: Taurus-Raketen. Bald wird sich Bundeskanzler Merz mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Riskiert er eine direkte deutsche Kriegsbeteiligung?

Forderungen von der Copa Cabana

Andrij Melnyk ist der Mann fürs Grobe im Kiewer Politzirkus. Keine Forderung ist ihm zu abwegig, kein Auftritt zu pikant. Melnyk tingelt durch Fernsehshows und war sieben Jahre lang Botschafter in Berlin. Heute posaunt Melnyk via X seinen Unmut über die angeblich mangelnde deutsche Unterstützung für die Ukraine in die Welt, plädiert für mehr Waffen, mehr Geld und verharmlost faschistische Verbrechen.

"Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen", sagt der Diplomat freimütig. Die Geschichtswissenschaft sieht das freilich anders: Stepan Bandera, Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), war ab 1943 in Kollaboration mit den deutschen Invasoren für die politisch-ethnisch motivierte Vertreibung Zehntausender Juden und Polen verantwortlich.

Nach Jahren in Deutschland und als stellvertretender ukrainischer Außenminister wurde der untragbare Melnyk schließlich von Kiew als Botschafter nach Brasilien abgeschoben. Vom Zuckerhut meldete sich Melnyk Mitte April via Gastbeitrag in der Welt: "Die Zukunft der Ukraine hängt jetzt auch von Friedrich Merz ab." Darin forderte er nicht weniger als die sofortige Entsendung von 150 Taurus-Raketen am Tag nach der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler am 6. Mai.

Doch damit nicht genug: Melnyk forderte auch 30 Prozent der verfügbaren deutschen Kampfflugzeuge – etwa 45 Eurofighter und 30 Tornados.

Bereits 9,3 Mrd. Euro

Fakt ist, dass Deutschland seit Beginn des Krieges laut einer Antwort der Bundesregierung von August 2024 auf eine Kleine Anfrage der AfD fast 34 Milliarden Euro für "Hilfen in der Ukraine" ausgegeben, davon 9,3 Milliarden für Rüstungsgüter.

Völkerrechtliche Grauzone ist hingegen die Frage, wann eine Macht direkt in einen bewaffneten Konflikt eingreift. Der Kreml wertet auch die bereits seit 2022 laufende Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschen US-Stützpunkten als direkte Beteiligung. Und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages veröffentlichte 2022 ein Gutachten, wonach zwar Waffenlieferungen "nicht als Kriegseintritt" gelten.

Der schmale Grat würde aber überschritten, "wenn neben der Lieferung von Waffen auch die Ausbildung Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde". Daran kann aber nach dem Taurus Leak im Frühjahr 2024 kein Zweifel mehr bestehen.

Völkerrechtliche Grauzone

Russland wird die Lieferung der Taurus-Raketen als direkte Kriegsbeteiligung Deutschlands werten. Damit befände sich Deutschland aus russischer Sicht im Krieg mit Russland, ein Gegenschlag auf deutsches Territorium mit massivem Eskalationspotenzial könnte theoretisch folgen.

Doch zurück zum Anfang: Welchen militärischen Nutzen verspricht sich die Ukraine von der Lieferung der Marschflugkörper? Taurus KEPD-350 hat zwei entscheidende Vorteile: Er findet sein Ziele selbst und kann, autark und im Tiefflug, nach dem Start bis zu 500 Kilometer zurücklegen. Die Rakete fliegt unter dem Radar in einer durchschnittlichen Höhe von 50 Metern. Vor zwanzig Jahren betrug der Stückpreis übrigens rund eine Million Euro.

Mit den Marschflugkörpern könnten bei richtiger und technisch äußerst anspruchsvoller Programmierung die russischen Logistikketten und Nachschubwege tief im Hinterland empfindlich getroffen werden ohne mit Flugzeugen in den feindlichen Luftraum eindringen zu müssen und Dank bunkerbrechender Munition mit durchschlagendem Erfolg. Folgt man dem ukrainischen Präsidentenberater Michailo Podoljak gibt es "keine andere Möglichkeit, (...) die Ressourcen der Besatzer zu zerstören".

Dem US-Friedensdiktat unterwerfen

Entscheiden über die etwaige Lieferung des Kriegsgeräts werden letztlich Friedrich Merz und die CDU. Merz wird darüber befinden müssen, wie weit sich Deutschland dem US-Friedensdiktat zu unterwerfen bereit ist. Sucht Berlin weiterhin sein Heil unter den Fittichen Washingtons oder tritt man gegen Russland an, um weiterhin als Mittelmacht reüssieren zu dürfen?

Klar ist dabei allemal, dass sämtliche Waffenlieferungen an die Ukraine von deutschen Steuerzahlern bezahlt werden, weshalb die sozialen und wirtschaftlichen Verteilungskämpfe künftig noch verschärft werden.