Teilchenforschung unter Druck: Der Preis der Politisierung
Das DESY in Hamburg steht für zivile Grundlagenforschung. Doch politischer Druck gefährdet dieses Prinzip, meint der emiritierte Physiker Hannes Jung. Ein Telepolis-Interview.
Der Kongress "Zeitenwende in Bildung und Hochschulen" der Informationsstelle Militarisierung (IMi e.V.) setzt sich mit Folgen der Zeitenwende im Bildungs- und Wissenschaftsbereich auseinander.
Im folgenden Interview geht es um militärisches Interesse an Teilchenforschung, die Aufkündigung internationaler Wissenschaftskooperationen, politische Einflussnahme auf Grundlagenforschung und Widerspruch gegen politische Bevormundung.
Hannes Jung ist emeritierter Teilchenphysiker am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg.
▶ Sie nehmen am Kongress "Zeitenwende in Bildung und Hochschulen" der Informationsstelle Militarisierung teil. Herr Jung, was bewegt Sie zur Teilnahme?
Jung: Im Sommer 2024 wurde vom Direktorium des DESY eine Zeitenwende in der Wissenschaftspolitik angekündigt und überlegt, ob das Leitbild bei DESY, wonach die Forschung zivilen und friedlichen Zwecken dienen soll, noch zeitgemäß sei. Daraufhin gab es von Mitarbeitern des DESY eine Unterschriftenaktion NotInOurName.
Sehr schnell haben sich viele gegen eine Öffnung des Instituts für Militärforschung ausgesprochen. Das DESY war seit seiner Gründung 1959 ein herausragendes Beispiel für zivile und friedliche Grundlagenforschung in Deutschland und auch Vorbild für viele Universitäten und andere Forschungseinrichtungen.
Die Bestrebung, die Trennung von ziviler und militärischer Forschung aufzuheben, wie sie im Papier des BMBF und in einem Weißbuch der EU-Kommission angeregt wird – und durch die Hochschulrektorenkonferenz kritisiert wurde – sind ein weiterer Versuch, Wissenschaft und Grundlagenforschung für politische Ziele zu instrumentalisieren.
Es ist wichtig, im Kontakt mit anderen Universitäten und Einrichtungen zu diskutieren, wie eine Trennung von ziviler und militärischer Forschung beibehalten werden kann.
Aufkündigung internationaler Wissenschaftskooperationen
▶ Sie referieren über die Frage, ob Teilchenbeschleuniger zu zivilen und friedlichen Forschungszwecken genutzt werden. Seit über 20 Jahren arbeiten Sie am DESY in Hamburg. Im Leitbild hat es sich zivilen und friedlichen Zwecken verpflichtet. Inwieweit konstatieren Sie einen wachsenden Militarisierungsdruck auf die Forschung mit Teilchenbeschleunigern?
Jung: Die Grundlagenforschung an Teilchenbeschleunigern wie beim DESY oder am CERN hat immer nur zivilen Zwecken gedient. Schon bei der Gründung des CERN war der Gedanke maßgeblich, wonach die Wissenschaft Brücken bauen kann und man im Gespräch mit Kollegen ist, während politisch noch Eiszeit herrscht.
Gerade die Zusammenarbeit mit russischen, chinesischen und anderen Wissenschaftlern war immer fruchtbar für alle Seiten. Die Diskussion um die Zivilklauseln im Leitbild des DESY steht im Zusammenhang mit der restriktiven Ab- und Ausgrenzung russischer Wissenschaftler nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine.
Hier hat DESY eine sehr negative Vorreiterrolle gespielt, sämtliche Kooperationen aufgekündigt, jeglichen Kontakt mit russischen Kollegen – auch per Email – untersagt, gemeinsame Publikationen verboten und sich in den Experimenten bei CERN dafür stark gemacht, russische Autoren in Publikationen gesondert zu behandeln.
Man könnte fast sagen: zu diskriminieren. Es wurde begonnen, nationale politische Ziele in der Wissenschaft durchzusetzen. Damit wurde ein Grundsatz, Politik aus der Grundlagenforschung herauszuhalten, leichtfertig aufgegeben. Die Folgen dieses Verhaltens sind schwer abzuschätzen, aber schon jetzt enorm schädigend.
▶ Welche militärischen Potenziale liegen in der Forschung mit Teilchenbeschleunigern? Welche zivilen Forschungspotenziale würden durch eine weitere Militarisierung vergeben?
Jung: Teilchenphysik und Teilchenbeschleuniger waren bis zu US-Präsident Reagans SDI-Projekt 1985 nicht in militärische Forschung eingebunden. Dann gab es Überlegungen, Teilchenbeschleuniger und vor allem Free-Elektron-Laser als Waffen einzusetzen.
Eine sehr große Mehrheit der Physiker sprach sich sofort gegen jegliche Beteiligung und Nutzung aus. Heute haben wir Free-Elektron-Laser bei DESY und bei XFEL, dem europäischen Free-Elektron-Laser Projekt. Es gibt immer noch großes Interesse der Militärs an deren Nutzung. Noch wird allerdings jegliche militärische Nutzung ausgeschlossen.
Es gibt – abgesehen von der direkt militärischen Nutzung von Teilchenbeschleunigern – auch Interesse von Militär und Rüstungsunternehmen, die Geräte des DESY für Materialuntersuchungen zu benutzen, etwa um die Strahlenfestigkeit von Materialien oder gar Sprengstoffen zu untersuchen.
Diese Forschungen werden oft als Dual-Use Forschung behandelt. Natürlich lassen sich Forschungsergebnisse so oder so verwenden, wenn sie einmal veröffentlicht sind. Aber es macht einen Unterschied, ob Forschung zu militärischen Zwecken durchgeführt wird – oder ob Ergebnisse ziviler Forschung, veröffentlicht und für alle zugänglich, für militärische Zwecke angewandt werden kann.
Durch die Militärforschung werden Kooperationen mit verschiedenen Ländern unmöglich gemacht. Es besteht große Gefahr, dass finanzielle Mittel von ziviler Forschung auf Militärforschung umgewidmet werden.
Grundlagenforschung vor kurzsichtigen Vorgaben schützen
▶ Als Sprecher von Science4Peace setzen Sie sich für friedensbewegte Wissenschaften ein. Welche Handlungsmöglichkeiten haben Wissenschaftler und Studierende in Zeiten von stärkerer zivil-militärischer Forschungsverflechtung und Drittmittelabhängigkeit?
Jung: Wir wenden uns gegen politische Bevormundung. Wir möchten, dass das wissenschaftliche Interesse an erster Stelle steht und nicht fragwürdigen, kurzsichtigen politischen Vorgaben untergeordnet wird. Das ist besonders in der Grundlagenforschung essentiell.
Während des Kalten Krieges, seit der Gründung des CERN, gab es Kooperationen und Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus der damaligen Sowjetunion. Bei DESY wurde lange vor 1989 mit Wissenschaftlern aus Polen, DDR und anderen Ländern des damaligen Ostblocks zusammengearbeitet. Mit der "Zeitenwende" war dies nicht mehr möglich, die Zusammenarbeit mit Russland wurde aufgekündigt. Im Sinne der Wissenschaft ist das fatal, weil Gesprächskanäle abgebrochen werden und eine Blockbildung entsteht. Aber wir brauchen die Zusammenarbeit, etwa in der Klimaforschung, wie auch in allen anderen Bereichen.
Wir müssen uns stark dafür machen, dass Drittmittelvergabe nicht an politische Vorgaben geknüpft wird. Universitäten und Forschungseinrichtungen müssen frei davon forschen können, sich nur der Humanität und dem Frieden verpflichtet fühlen und zum Wohle der gesamten Menschheit und für eine Zukunft des gesamten Planeten forschen.
Angesichts der Kriege, der Zerstörung, des Leides und der immensen Umweltzerstörung muss zivile Wissenschaft für ein friedliches, gerechtes Miteinander eintreten.
Es gibt die Hochschule der Bundeswehr, die Wehrforschung betreibt, und es gibt die Rüstungsindustrie, die mit sehr guter finanzieller Ausstattung Forschung betreibt. Es darf nicht sein, dass die zivilen Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie die gesamte Gesellschaft dem Militär und der Aufrüstung untergeordnet werden!
▶ Welche Impulse für zivile Forschung erhoffen Sie sich vom IMi-Kongress?
Jung: Ich erhoffe mir, Informationen über die verschiedenen Kampagnen zum Erhalt ziviler Forschung zu bekommen. Ich hoffe, dass sich die Naturwissenschaften mit den Sozial- und Geisteswissenschaften zusammenschließen.
Und dass die Angriffe, die zurzeit gegen die physikalische Grundlagenforschung bei DESY, CERN und anderen Instituten stattfinden, bekannt werden; dass mehr Menschen über die Konsequenzen dieser falschen politischen Einflussnahme Bescheid wissen; dass wir eine Blockbildung in der Wissenschaft verhindern können und dass wir Solidarität unter verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen erreichen.
Und natürlich, dass unsere Petition weitere Unterstützung erfährt.
Benjamin Roth sprach mit Hannes Jung. Hannes Jung ist Teilchenphysiker. Als Emeritus am Deutschen Elektronen-Synchrotron und Mitglied des Compact-Muon-Solenoid-Experiment am CERN nahm und nimmt er an Experimenten vor allem der Quantenchromodynamik teil. Seit Februar 2022 ist er Sprecher des Forums Science4Peace.