The Sound of Europe
Österreichische EU-Präsidentschaft: Mozart soll die EU-Verfassung wiederbeleben
Neues Jahr, neues Glück, denken sich die Politiker, die Europa und seine Verfassung voranbringen wollen. Dazu gehören an vorderster Front Bundeskanzlerin Angela Merkel und auch Wolfgang Schüssel, der Bundeskanzler Österreichs. "Die Verfassung ist nicht tot. Sie befindet sich mitten im Ratifizierungsprozess", sagte Schüssel zu Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Damit nähert sich auch jene Phase des stillen Nachdenkens ihrem Ende, die sich die Staatschefs nach den "Nein" zum Verfassungsvertrag bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden auferlegt hatten.
Was kam bisher heraus beim Nachdenken? Ein bemerkenswertes Maß an Uneinsichtigkeit. Die meisten Politiker führen das "Nein" bei den Referenden auf ein Vermittlungsproblem zurück. Die Bürger hätten nicht verstanden, dass die Verfassung ihnen die beste aller möglichen EU-Welten liefern werde. Freiheit des Unternehmertums, offene Marktwirtschaft, hohes Beschäftigungsniveau bei niedrigeren Lohnkosten, Konkurrenzfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie und sogenannte Friedensmissionen, das seien Europas Grundlagen. Sie gelte es umzusetzen – mit oder ohne Verfassung. Der französische Präsident Chirac will nur noch einzelne Teile des Vertrags ratifizieren. Nur für die niederländische Regierung "ist die EU-Verfassung tot". Zur Kritik der Verfassungsgegner, sie sei undemokratisch, neoliberal, unsozial und militaristisch, schweigt sich das offizielle Europa weiter aus. Stattdessen kommen von bundesdeutscher Seite Vorschläge auf den Tisch, wie die alte Verfassung neu belebt werden kann.
Mitte Dezember schlug Angela Merkel, euphorisiert durch den Erfolg bei den Finanzverhandlungen der EU-Mitgliedsstaaten, ihren Kollegen eine "Erklärung zur sozialen Dimension Europas" vor. Sie soll als Ergänzung zum unveränderten Verfassungstext den Franzosen und Niederländern das Vertragswerk wieder schmackhaft machen. Kosten darf die Sozialerklärung nichts. Sie wird rechtlich nicht bindend sein, beteuert Merkel. Politische Lyrik also.
Auch der Vizechef der EU-Kommission, Günther Verheugen, der extra zur Klausurtagung der Bundesregierung ins Schloss Genshagen reiste, erteilt einer verbindlichen europäischen Sozialpolitik eine unmissverständliche Absage. Die behauptete soziale Kälte der EU sei nur eine gefühlte Kälte, die nichts mit der Realität gemein habe, konstatierte der Sozialdemokrat Anfang der Woche in einem Interview.
Schon seit Jahren ist es eine Große Koalition, die de facto die europäische Politik beherrscht. Die Verfassung ist das gemeinsame Produkt sozialdemokratischer, konservativer und liberaler Kräfte in Europa. Ihr Markenzeichen ist der große Lärm um die angebliche Alternativlosigkeit. Feinere Musik soll nun die österreichische Ratspräsidentschaft liefern. The Sound of Europe – der Klang Europas – heißt ein großer Kongress am 27.Januar in Salzburg, pünktlich zum 250. Geburtstag Mozarts. Er soll die EU und eine EU-Identität den Bürgern wieder näher bringen. Hochkarätige Teilnehmer aus allen EU-Staaten wollen an diesem geschichtsträchtigen Tag – immerhin auch Jahrestag der Befreiung von Auschwitz - die kulturhistorischen und philosophischen Grundlagen Europas diskutieren. Allerdings vor einem ausgewählten Publikum. Einfache Bürger können keine Eintrittskarten für das Kongresscenter in Salzburg kaufen.
Warum sprechen wir eigentlich über “europäische Identität”?
Vielleicht sollten wir anstatt von “europäischer Identität” über das “Wir-Bewusstsein” der Europäer sprechen, um so der Falle einer “negativen Identität” zu entgehen, die durch Begriffe und Schlagwörter wie “antiamerikanisch”, “antijüdisch”, “antiislamisch”, usw. definiert wird. Da jedoch der Terminus der “europäischen Identität” weithin bekannt ist, macht es auch Sinn, ihn hier zu verwenden.
Es scheint manchmal, dass die Wiedergeburt eines europäischen Geistes und einer europäischen Identität am stärksten außerhalb Europas, besonders unter Intellektuellen in den USA wahrgenommen wird.
The Sound of Europe
Und was sagen die "einfachen" Europäer? Die, über die in Brüssel, Genshagen und Salzburg diskutiert, deren Motivlagen abgewogen, denen die Fähigkeit des Erkennens und Reflektierens abgesprochen wird?
Nach den jüngsten Erhebungen des Eurobarometers wollen mittlerweile 49 Prozent der Europäer, dass die EU-Verfassung neu verhandelt wird. Nur 22 Prozent sind damit einverstanden, dass die Mitgliedsstaaten mit der Ratifizierung fortfahren. Lediglich 13 Prozent können sich vorstellen, dass Projekt einer Verfassung für Europa ganz fallen zu lassen. Die Euphorie über den Zustand der EU hält sich also in Grenzen, die Europäer melden Veränderungsbedarf an. Ein positives Bild von der derzeitigen EU hat nur knapp die Hälfte der 30.000 Befragten. Nur ein Viertel der Bevölkerung ist es in Österreich, dem Land, dessen Regierung laut Kanzler Schüssel nach dem Krisenjahr 2005 den Klimawandel in Europa herbeiführen will.
In der ersten Hälfte des Jahres 2007 übernimmt Merkel mit ihrer Regierungstruppe die EU-Ratspräsidentschaft. In der Koalitionsvereinbarung heißt es schlicht "Wir stehen zum Europäischen Verfassungsvertrag".