To be Shakespeare, or not to be Shakespeare

Wissenschaftler scharen sich um das möglicherweise einzige authentische Bild von William Shakespeare

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Ist er es? 200 Experten treffen sich in wenigen Monaten in Toronto, um ihre Analysen zusammenzutragen und ihr Urteil zu fällen. Das Objekt ihres Interesses ist ein Portrait, das dem Maler John Sanders zugeschrieben wird. Falls die Erwartungen zutreffen, handelt es sich um das einzige Bild, das zu Lebzeiten des Dichters entstanden und auf uns gekommen ist.

Alexandra Johnston, Direktorin der University of Torontos Records of Early English Drama Project, betreibt allerdings vorsichtiges Understatement:

We will be talking about the nature of evidence, because at the end of the day, unless you get in a time machine, you can never prove it is Shakespeare.

Weltweites Aufsehen erhielt die Entscheidung der Art Gallery der kanadischen Provinz Ontario, als sie im Mai 2001 das Bild ausstellte und erklärte, es handle sich um das Portrait des jungen Shakespeare. Ein im Ruhestand lebender Ingenieur hatte das Bild als Leihgabe angeboten und behauptet, das Prortrait befinde sich seit 10 Generationen im Familienbesitz. Der Maler, sein Urahn, sei John Sanders gewesen, und in seiner Jugendzeit ein Mitspieler in Shakespeares Theatergruppe. Auf der Rückseite des Bildes lässt sich der handschriftliche Vermerk "Shakspere ... age ... 39 ys" ausmachen.

Kein Wunder also, dass sich die Experten um das Bild schaaren. Von außen und von innen werden alle Fasern auf Authentizität geprüft. Röntgentechniken, Fluoreszphotographie und die Infrarot-Reflektographie sind bisher bereits der einhelligen Meinung: Es handelt sich um ein Original. Der Entstehungszeitra um wird aus den Analysen zur Farbe, Beschriftung am rechten oberen Bildrand sowie zur Beschaffenheit des Holzes für die Jahre 1590-1640 geschätzt. Das Erscheinungsbild passt zweifelsfrei in die Zeit der Königin Elisabeth I.. Weitere Aufschlüsse erhofft man sich von William Ingram, Fachmann für englische Literatur an der University of Michigan. Er reiste am letzten Weihnachtstag nach England mit brisanten Unterlagen. Der Besitzer des Bildes konnte nämlich noch mehr vorweisen: Die Geburtsurkunde (1575) sowie die Sterbeurkunde von John Sanders aus Worcester. Jetzt wollen Kirchenbücher und Gerichtsjournale durchforstet werden.

Mir geht es nicht nur um Sanders. Ich möchte wissen, wer zu den Theaterleuten gehörte und in welcher Beziehung sie zueinander standen. Ich habe bisher 600-700 Namen zusammengetragen, aber John Sanders gehört nicht dazu. Er ist nicht nur mir entgangen, sondern allen, die auf diesem Gebiet arbeiten.

William Ingram wurde allerdings zuvor noch von Ian Lancashire, dem Spezialisten von der Universität von Toronto, instruiert. Der hat nämlich einen "Saunder" in Burbage's Company aus dem Jahr 1591 gefunden, und zwar als Schauspieler, der zwei Frauenrollen in "The Second Part of the Deadly Sins" spielte. "Saunder" und "Sanders" können identisch sein. Sicher ist, dass Sanders Kinder in Worcester geboren wurden, unweit von Stratford, der Stadt Shakespeares.

Das Portrait ist nicht vom Himmel gefallen und steht nicht zum ersten Mal in der öffentlichen Diskussion. 1909 brachte der Großvater des heutigen Besitzers das Bild zu A.M. Spielmann, dem damaligen Experten für die Ikonographie Shakespeares in London. In seinem Artikel in "The Connoisseur" interpretierte Spielmann das Portrait als ein Produkt des 17. Jahrhunderts. Er stützte seine Ansicht vor allem auf das Label auf der Bildrückseite:

Shakspere / Born April 23, 1564 / Died April 23, 1616 / Aged 52 / This likeness taken 1603 / Age at that time 39 ys.

Das Papier schien Spielmann zwar aus der Zeit zu stammen, nicht aber die Handschrift. Deren Stil, so erklärte er, begann sich erst im 18. Jahrhundert zu verbreiten und durchzusetzen. Andere Experten hielten auch die Notiz selbst, so wie sie formuliert ist, für neuzeitlich. Erst jetzt wird die Vermutung diskutiert, der handschriftliche Eintrag könne später erneuert oder überhaupt erst eingefügt worden sein.

Der zweite Anlauf bietet guten Grund, an die Authentizität zu glauben. In den letzten 100 Jahren hat sich in der Bildanalyse viel getan. Überspitzt formuliert: Die äußere Erscheinungsform ist nahezu zweitrangig geworden. Die fachkundige Analyse greift mittlerweile auf Methoden zu, die aus der forensischen Medizin stammen. Röntgenuntersuchungen entkleiden die Struktur von Farbflächen und Leinwand. Die Fluoreszenzfotographie verrät Veränderungen an den Farbschichten. Infrarot-Techniken helfen, den Farbgrund zu bewerten. Dazu kommen die Mikroskopie zur Bewertung des Faseraufbaues und chemische Verfahren, in denen bis hin zu den Farbpigmenten die typischen Charakteristika ermittelt und verglichen werden mit den Ergebnissen, die aus Bildern derselben Epoche gewonnen wurden. Natürlich machen nicht nur Fasern und Kleckse das Portrait aus.

Die inhaltliche Bildbewertung bleibt auch weiterhin ein Hauptelement.

Die kompositorische Ähnlichkeit zum Portrait von Königin Elisabeth I. überzeugt selbst den Laien. Auch sonst hat sich seit Spielmann viel getan, weil unabhängig von Shakespeare sehr viel mehr Bilder aus dieser Zeit zum Vorschein gekommen sind. So erregt die Bekleidung, in der sich der junge Shakespeare präsentiert, besondere Aufmerksamkeit. Handelt es sich um modischen Chic oder ein Theaterkostüm? Robert Tittler, ein renommierter Historiker von der Concordia Universität von Montreal stellt dazu eine Sammlung der aus der Zeit stammenden Portraits zusammen. Und noch eine Überlegung ist aufgekommen. Da gibt es nämlich ein bereits länger bekanntes Portrait, das den älteren Shakespeare zeigen soll. Den Wissenschaftlern sind in beiden Bildern bis ins Detail gehende Übereinstimmungen am Ohr aufgefallen. Wer "morphing" in der elektronischen Bildverarbeitung kennt, ist nicht überrascht, wenn heute gefragt wird: Könnte es sein, dass Sanders Vorlage benutzt und auf alt getrimmt wurde?

Shakespeare ist nach wie vor die dominierende Kultfigur in der englischsprachigen Welt. Kein Wunder also, dass die Wissenschaftler alle Mühe aufwenden, ihre Expertise so sicher wie möglich zu machen. Hinter diesen Bemühungen steht nicht zuletzt die akademische Abneigung gegen alles, was als Surrogat vermarktet werden könnte. Wenn das Portrait von Sanders echt ist?

If it is him, there is the question of the kind of image the portrait creates in our mind and how this could potentially shape our respons to the plays,

so der Shakespeare Forscher Alexander Leggatt von der Universität von Toronto. Wenn das Portrait nicht echt ist? Ist es dann so etwas wie das Schnupftuch der Desdemona?