Tod statt Restaurant? Polen und Litauen wollen mehr Ukrainer in Krieg schicken
Beide Staaten kündigen neue Regelungen an. Länder sollen keine Zuflucht mehr für Wehrfähige aus der Ukraine sein. Doch wie viel ist Druck möglich und nötig?
Polen und Litauen haben angeboten, den Behörden der Ukraine zu helfen, ukrainischen Männern, die in ihrem Einflussbereich leben, habhaft zu werden. Das Ziel sei, diese Männer der Armee zuzuführen. Viele Ukrainer im wehrfähigen Alter sind aus dem Land geflohen, um nicht an die Front zu müssen.
Die Ankündigung in Polen und Litauen erfolgte, nachdem die Ukraine kürzlich ihre konsularischen Dienste für solche Männer im Ausland ausgesetzt hat. Dies berichtet der polnische Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz gegenüber dem Fernsehsender Polsat.
Ukraine kämpft mit Ausrüstungs- und Personalmangel
Die Ukraine kämpft derzeit mit einem erheblichen Ausrüstungs- und Personalmangel im Vergleich zu den russischen Truppen an der Frontlinie. Das Parlament hat kürzlich ein neues Mobilisierungsgesetz verabschiedet, das das Mindestalter für die Einberufung von Männern von 27 auf 25 Jahre senkt.
Am Mittwoch kündigte das Außenministerium an, dass es die konsularischen Dienste für wehrpflichtige Männer, die im Ausland leben, aussetzen werde. Daraufhin gab es wütende Szenen in den Konsularbüros und Agenturen, etwa in Polen, wo Männer, die Termine zur Abholung von Dokumenten vereinbart hatten, informiert wurden, dass Ihnen diese Unterlagen verweigert werden.
Ukrainischer Außenminister fordert Fairness
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte der britischen Tageszeitung Guardian am Mittwoch, es sei inakzeptabel, dass ukrainische Männer außerhalb des Landes "in Restaurants sitzen", während andere sterben.
Kuleba betonte, dass es auch darum gehe, Fairness gegenüber denen zu demonstrieren, die an der Front sind. Aber offenbar haben viele ukrainische Männer mehr Lust im Restaurant zu sitzen, als zu sterben – wobei die Formulierung, andere würden sterben, womöglich vom Guardian stammt und nicht gesichert Teil des wörtlichen Zitats ist.
Abschiebung in den Krieg? Das wird Gerichte befassen
Dennoch mach die Formulierung der britischen Tageszeitung deutlich: Es ist juristisch schwierig, Männer mit der Perspektive abzuschieben, dass sie ihr Leben verlieren oder verkrüppelt von der Front wiederkommen.
Viele solcher Fälle werden die Gerichte in den jeweiligen Ländern fortan vermutlich befassen. In Deutschland jedenfalls hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) im Dezember bereits Aufforderung der Ukraine eine Absage erteilt, wehrfähige Männer aus der Ukraine abzuschieben.
Viele Ukrainer leben schon lange im Ausland
Tausende von Männern sollen seit Beginn des Krieges illegal die westlichen Grenzen der Ukraine überschritten haben, manchmal sogar Bestechungsgelder zahlend, um dies zu erreichen.
Viele andere ukrainische Männer leben jedoch bereits seit Jahren außerhalb des Landes. Einige kehrten nach Kriegsbeginn zurück, doch viele haben Familien und ein Leben außerhalb des Landes und möchten nicht zurückkehren.
Polen erwägt neue Regulierungen
Der polnische Anwalt Tadeusz Kołodziej von der Ocalenie Foundation, einer polnischen NGO, erklärte, dass es derzeit keinen Mechanismus gebe, mit dem die polnischen Behörden ukrainische Männer in die Ukraine abschieben könnten.
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Allerdings wird das polnische Parlament in der kommenden Woche neue Regulierungen in Betracht ziehen, die von allen Ukrainern verlangen, einen gültigen Pass vorzuweisen, um Leistungen in Polen in Anspruch nehmen zu können. Eine solche Forderung hatte für Deutschland auch der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter gestellt.
NGO-Vertreter: Unklarheit führt zu Angst
Igor Lisin, Vizepräsident der Stiftung Ukraine, die mit Ukrainern in Polen arbeitet, sagte, dass die jüngsten Ankündigungen bei vielen Ukrainern in Polen Stress und Ängste provoziert. Vielen von ihnen setze die Unsicherheit darüber zu, was die neue Praxis für sie bedeute. "Je weniger die Leute wissen, desto mehr fürchten sie", sagte er.
Polen wurde für die Art und Weise gelobt, wie es seine Grenzen für ukrainische Flüchtlinge in den ersten Kriegsmonaten geöffnet hat, und die polnische Regierung bleibt einer der lautstärksten Unterstützer der Ukraine in der EU. Allerdings gibt es Anzeichen für eine zunehmende "Ukraine-Müdigkeit" in der polnischen Gesellschaft.