Todesursache: Materieschauer
Neue Spekulationen über das Ende der Dinosaurier
Selbst die mächtigsten Beherrscher des blauen Planeten sind nicht unverwundbar. Das beweist neben der neueren Menschheitsgeschichte auch das Zeitalter der Dinosaurier, die vor rund 65 Millionen Jahren plötzlich von der Erdoberfläche verschwanden. Die Ursachen für deren Massensterben sind bis heute umstritten, doch an mehr oder weniger plausiblen Erklärungsversuchen, die von einer Verdrängung durch die anpassungsfähigeren Säugetiere bis zu Meteoriteneinschlägen reichen, herrscht in der wissenschaftlichen Welt kein Mangel. Der neueste kommt aus dem Bonner Institut für Astrophysik und Extraterrestrische Forschung. Er deutet darauf hin, dass die Dinos einem gewaltigen Materieschauer aus dem Weltraum zum Opfer gefallen sein könnten.
Im Normalfall verhindert der Sonnenwind, eine Flut elektrisch geladener Teilchen, die unser Zentralgestirn mit einer Geschwindigkeit von bis zu 800 Kilometern pro Sekunde ausstößt, dass die Erde mit einer unverträglichen Menge energiereicher Partikel beschossen wird. Wenn die Funktion dieses kosmischen Regenschirmes, der einen Großteil unseres Planetensystems durchströmt, gestört wird, treffen bis zu hundertmal mehr Hochgeschwindigkeits-Teilchen auf die Erdatmosphäre, zersetzen dort die Luftmoleküle in elektrisch geladene Fragmente und dienen so als Kondensationskeime, die zur Ausbildung von Wassertropfen, sprich: Regen führen.
Dieses Szenario spielt sich nach Ansicht der Bonner Wissenschaftler, die seit 1997 im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft das Phänomen des Sonnenwindes untersuchen, alle 60 Millionen Jahre ab. Dann nämlich durchquert unser Sonnensystem, das alle 250 Millionen Jahre einmal das Zentrum der Milchstraße umkreist, eine Reihe dichter Materiewolken, die den Schutzschild der Erde nachhaltig beeinflussen.
Als unmittelbare Folge rechnet das Forscherteam um den Physiker Prof. Hans Jörg Fahr mit "einer dichten Wolkendecke, mehr Niederschlag und sinkenden Temperaturen". Diese dramatischen Klimaveränderungen hätten im Abstand von 60 Millionen Jahren weitreichende Auswirkungen auf lebende Organismen: "Etwa in diesen Zeitabständen starben in der Vergangenheit auch plötzlich zahlreiche Tierarten aus."
Als weiteres Indiz für die Beeinflussung des irdischen Klimas durch den sogenannten Weltraumeffekt benennt Fahr vergleichende Untersuchungen über das Verhältnis von Wolkenbedeckung und Sonnenaktivität: "Je geringer die Sonnenaktivität und damit die Schirmwirkung des Sonnenwindes, desto mehr kosmische Teilchen dringen bis zur Erde vor, und desto mehr irdische Wolken entstehen." Die letalen Konsequenzen für die zu allerlei Film- und Merchandising-Ehren gekommenen Dinosaurier wären unter diesen Umständen sehr viel prosaischer als vielfach angenommen: "Vielleicht wurde es den Dinosauriern zu dieser Zeit einfach zu feucht und zu kalt auf dem Blauen Planeten."
Freilich geht es der Bonner Forschergruppe eigentlich nur am Rande um das Ende der Dinosaurier, denn die DFG-Geförderten wollen vor allem klären, "wie der Sonnenwind seine hohen Geschwindigkeiten erreicht". Diese sind nämlich nicht ausschließlich durch die große Hitzeentwicklung unseres Zentralgestirns zu erklären, sondern hängen möglicherweise mit exotischen Magnetfeldwellen in der Korona zusammen, die durch die Ausbreitung weiter verstärkt werden.
Noch interessanter dürften die möglichen Konsequenzen des Weltraum-Wetters für die hiesige Evolution sein. Nicht nur in Bonn geht man nämlich davon aus, dass die kosmische Strahlung die genetische Struktur sämtlicher Organismen verändern könnte. Bei einer Schwächung des Sonnenwindes würde sich diese Wirkung potenzieren, so dass innerhalb kürzester Zeit mit der Entwicklung unkalkulierbarer Mutationen gerechnet werden müsste.