Tödliche Ehre: Wenn Männer Frauen ermorden

Seite 3: 6. "Ehrenmorde" in Deutschland treten selten auf

"Fast jede Woche ein ‚Ehrenmord‘", titelt dieser Tage die Bild und beruft auf die Liste einer Bloggerin im Netz. Mit seriösen Untersuchungen hat das nichts zu tun. Auch die Bild selbst gibt später im Text zu, ob es sich bei all den aufgelisteten Taten wirklich um "Ehrenmorde" handle, "steht noch nicht genau fest."

Kasselt und Oberwittler, die "Ehrenmorde" im Auftrag des Bundeskriminalamtes untersucht haben, gehen hingegen von drei bis zwölf Fällen pro Jahr aus - versuchte Delikte eingeschlossen. Damit bilden "Ehrenmorde" nur einen Bruchteil der polizeilich erfassten "Beziehungstaten" in Deutschland.

Nach den jüngsten Zahlen des Bundeskriminalamtes wurden im Jahr 2019 exakt 141.792 Fälle von "Partnerschaftsgewalt" polizeilich erfasst. 117 Frauen haben infolge der Gewalt ihr Leben verloren.

7. "Ehrenmorde" sind vor allem ein Medienphänomen

Dass "Ehrenmorde" trotz ihrer geringen Zahl öffentlich so präsent sind, liegt vor allem an der Art und Häufigkeit, wie Medien über sie berichten. Zählt man die Fälle, in denen Medien über "Ehrenmorde" in Deutschland, berichten, kommt man auf eine weit höhere Zahl als jene, die sich kriminalistisch belegen lassen.

Der Grund: Die meisten "Ehrenmorde" sind gar keine. Ob Medien eine Tat als "Familiendrama" oder "Ehrenmord" bezeichnen, entscheidet sich meist nicht an der Tat selbst, sondern an der (gemutmaßten) Herkunft des Täters. "Wenn ein Ausländer der Täter ist, wird das schnell als ‚Ehrenmord‘ kategorisiert, obwohl es oft ein klassischer Fall von Partnertötung ist", sagt Julia Kasselt. Die Forscherin kritisiert: "Ehrenmorde" seien "ein seltenes Phänomen, das durch die Medienberichterstattung sehr verzerrt dargestellt wird."

Wie groß die mediale Verzerrung von Gewalttaten durch ausländische gegenüber deutschen Tätern ist, hat vor zwei Jahren auch der Medienwissenschaftler Thomas Hestermann untersucht. Er kam zum Ergebnis: Ausländische Tatverdächtige werden in Fernsehberichten 19-mal so häufig erwähnt, wie es ihrem statistischen Anteil entspricht. In Zeitungsberichten sei es sogar das 32-fache.

8. Auch "Familiendramen" haben kulturelle Gründe

Viele Medien und Politikerinnen begründen ihre erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber "Ehrenmorden" mit dem Argument: Bei diesen handle es sich um ein kulturelles Phänomen, dass man beispielsweise durch eine bessere Integrationspolitik eindämmen könnte. Klassischen Partnertötungen seien hingegen individuelle "Beziehungstaten", gegen die man nicht viel machen könnte. Aber auch das stimmt nicht.

Ob "Familiendramen", "Ehrenmorde", "häusliche Gewalt" oder Vergewaltigungen, ein Tätercharakteristikum ist bei fast all diesen Phänomenen und dasselbe: Über 90 Prozent aller Gewalttaten werden von Männern begangen.

Das dies kein Zufall ist, sondern kulturelle Gründe hat, haben zahlreiche Studien belegt. Problematische Rollenbilder sind der Grund, warum weltweit Frauen sterben müssen, wenn Männer sich in ihrer "Männlichkeit", ihrem "Stolz" oder ihrer "Ehre" verletzt fühlen. Auch Ehrenmord-Forscherin Julia Kasselt sagt: "Die Tatmotivation ist bei Deutschen und Ausländern letztlich dieselbe: Eifersucht und Besitzdenken."

"Ich habe leider keine Idee, wie man Männer besser integrieren kann", erklärte Berlins Sozial- und Integrationssenatorin Elke Breitenbach von den Linken, als sie danach gefragt wurde, was man tun könne, um Taten wie die Ermordung von Maryam H. in Zukunft zu verhindern.

Viele Psychologen, Geschlechterforscherinnen und Kulturwissenschaftler haben zum Glück längst eine: Die Vermittlung neuer aufgeklärter Ideale von Männlichkeit jenseits von Dominanz, Gewalt, Ehre und sexueller Potenz sind der beste Weg, um in Zukunft Menschen vor "Ehrenmorden" und allen anderen Formen männlicher Gewalt zu schützen.

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