Tödlicher Frieden
Bilanz vier Jahre nach Friedensvertrag in Kolumbien verheerend. Einst großspurige Bundesregierung schweigt – und setzt schon das nächste Lateinamerika-Projekt in den Sand
In Kolumbien wurde diese Woche der vierte Jahrestag des Friedensabkommens mit der Guerillaorganisation Farc begangen, besser gesagt: betrauert. Denn die historische Vereinbarung mit der einst größten und ältesten Guerillagruppe Lateinamerikas, den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens – Armee des Volkes, ist zu einem Fiasko verkommen. Seit der endgültigen Unterzeichnung am 24. November 2016 wurden in dem südamerikanischen Staat 243 politische Morde begangen, weite Teile des Landes, aus denen die Guerilla als Ordnungsmacht verschwunden ist, sind heute rechtsfreie Räume, in denen kriminelle Banden plündern und morden.
Das Scheitern des Friedens in Kolumbien ist auch ein Fehlschlag für das Auswärtige Amt, das den Prozess großspurig begleitet und über Jahre hinweg zu einem Schwerpunkt seiner Lateinamerika-Politik gemacht hat. Zugleich wird das kolumbianische Fiasko auch die Beilegung laufender Konflikte in anderen Weltregionen erschweren.
Der ehemalige Guerilla-Kommandant Rodrigo Granda, der heute der gleichnamigen Linkspartei Farc angehört, bezeichnete die eskalierende Gewalt gegen ehemalige Rebellen und soziale Aktivisten als eine Haupthypothek des Friedensprozesses. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen.
Am 24. November 2016 hatten die damalige Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und die Farc-Guerilla im Teatro Colón in Bogotá den bis dahin 52 Jahre währenden Konflikt zwar offiziell beigelegt. Vorangegangen war eine feierliche Erstunterzeichnung zwei Monate zuvor in Cartagena de Indias.
Zudem waren der gesamte Verhandlungsprozess und vor allem die Waffenabgabe der Guerilla von der UNO begleitet worden. Die Garantenstaaten Norwegen und Kuba standen den Konfliktparteien während der Gespräche zur Seite, involviert waren auch Chile und Venezuela.
Die Bundesregierung gründete ein Deutsch-kolumbianisches Friedensinstitut, das vor allem deutschen Regionalwissenschaftler seither ein festes Einkommen sichert, und ernannte den ehemaligen UN-Funktionär und Grünen-Abgeordneten Tom Koenigs zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den Friedensprozess in Kolumbien.
Friedensabkommen wurde abgewickelt
Vier Jahre später aber stehen alle diese Akteure vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Ein Hauptgrund dafür ist der fehlende Wille, sich mit den Interessen der kolumbianischen Oberschicht anzulegen, die von Anfang an gegen das Friedensabkommen war und in Santos-Nachfolger Iván Duque einen prominenten Fürsprecher gefunden hat. Auch wurden lieber eigene Fachleute bezahlt und entsandt, statt soziale Bewegungen und etwa Landarbeiterorganisationen vor Ort zu unterstützen.
Hinzu kommt: Das am 26. September 2016 erstmals unterzeichnete Abkommen wurde von den Kolumbianern in einer umstrittenen Volksabstimmung am 2. Oktober desselben Jahres unter dem Eindruck massiver Propaganda rückwirkend knapp angelehnt. Dadurch erzwangen die Friedensgegner die Wiederaufnahme von Verhandlungen und eine nachträgliche Veränderung der Vereinbarungen.
Am schwersten aber wiegt die politisch motivierte Gewalt gegen demobilisierte Ex-Guerilleros und Vertreter sozialer Bewegungen. Granda, der heute für die internationalen Beziehungen der Farc-Partei verantwortlich ist, erinnert zum Jahrestag an Proteste ehemaliger Mitkämpfer gegen politisch motivierte Mordanschläge, hinter denen traditionelle Großgrundbesitzer und rechtsextreme Milizen stehen. Die Ex-Guerilleros waren vor diesem Hintergrund Ende Oktober aus allen Teilen des Landes in die Hauptstadt Bogotá gekommen, um "Für Frieden und für das Leben" zu demonstrieren.
Die Farc-Partei ist indes nicht nur von Mordanschlägen bedroht. Die Regierung Duque greift auch die sogenannte Sondergerichtsbarkeit für den Frieden an, eine Art Sonderstaatsanwaltschaft, die explizit dafür geschaffen wurde, die im Zuge des Konfliktes begangenen Verbrechen aufzuarbeiten.
"Wir haben keine Rechtssicherheit", so Granda, "weil die Angriffe gegen die Sonderjustiz für den Frieden zunehmen und dieses Instrument just eingerichtet wurde, um den bewaffneten Konflikt in Kolumbien vollständig zu überwinden." Der ehemalige Guerillero versicherte zugleich, dass die Farc trotz aller Probleme bei der Umsetzung des Friedensabkommens nicht zu den Waffen zurückkehren werde. Es bestehe auf staatlicher Seite jedoch ein andauernder Unwille, das 2016er Abkommen vollständig umzusetzen.
Politischer Schaden wird noch sichtbar werden
Dazu trage auch die Corona-Pandemie bei, die in Lateinamerika zu einem massiven Abbau der Demokratie geführt hat. Granda beklagte, dass "die Demokratie von Tag zu Tag mehr eingeschränkt wird und unter Ausnutzung der Coronavirus-Pandemie etwa 187 Dekrete und Präsidialgesetze erlassen wurden". Zuvor schon hatte sich die Duque-Regierung geweigert, das kolumbianische Wahlsystem zu reformieren, um mehr demokratische Mitbestimmung zu gewährleisten.
Nun könnte man all das als Lokalkolorit abtun. Doch das Scheitern des Friedensprozesses in Kolumbien schürt nicht nur den Argwohn der noch bestehenden ELN-Guerilla in dem Land. Irreguläre bewaffnete Gruppen, vor allem in Asien und Afrika, werden sich fortan zweimal überlegen, ob sie unter UN-Ägide ihre Waffen abgeben. Dieser Schaden, der erst nach und nach sichtbar werden wird, geht auch auf das Konto der deutschen Außenpolitik.
Denn als der Friedensprozess mit der Farc in Kolumbien initiiert wurde, benannte der damalige SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Grünen-Politiker Tom Koenigs großspurig zum "Sonderbeauftragten für den kolumbianischen Friedensprozess"; ein Prozess, der Deutschland "sehr am Herzen" liege.
Koenigs sei "Ansprechpartner für die kolumbianische Regierung und soll die Beiträge Deutschlands zum Friedensprozess koordinieren und bündeln", hieß es damals.
Vier Jahre später schied der Beauftragte sang- und klanglos aus dem Amt aus, in Kolumbien wurden ehemalige Farc-Mitglieder und ihre Familien massenhaft ermordet und das Abkommen von der Rechtsregierung Duque Stück für Stück demontiert.
In Berlin kommentiert man das freilich nicht mehr. Dort ist man inzwischen zum nächsten großen Lateinamerika-Projekt übergegangen: der völkerrechtswidrigen Anerkennung des selbsternannten "Übergangspräsidenten" in Venezuela, Juan Guaidó. Auch dieses Vorhaben ist, wie man sich dieser Tage in Berlin wie in Brüssel eingestehen muss, inzwischen politisch gescheitert.