zurück zum Artikel

Transatlantisches Fellstreicheln: Worüber Scholz nicht spricht

Olaf Scholz und Joe Biden bei einem Treffen am 15. November 2022 auf Bali. Bild: White House

Themen des Tages: Von Schäumen und Eifer. Klimaaktivisten, Ernährungspädagogik und der Besuch des deutschen Kanzlers bei US-Präsident Biden.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. wie Klimaaktivisten eifrig Ärger in Deutschlands Hauptstadt der Behaglichkeit machen und sich freuen

2. wie Ernährungsminister Cem Özdemir eifrig Ernährungs-Pädagogik durchsetzen will

3. und auf Seite 2 lesen Sie über den Biden-Besuchs-Eifer von Kanzler Scholz.

Doch der Reihe nach.

Bayerns Innenminister schäumt wie schlecht eingeschenktes Bier

In München sind die Klimaaktivisten besonders eifrig bei der Sache. In der Stadt, wo Grant und Geld nach möglichst viel Ungestörtheit verlangen, hat die Initiative "Antikapitalistisches Klimatreffen" ein Busdepot blockiert. Ausgerechnet dann, wenn der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) bestreikt wird. Heute mobilisiert Fridays for Future zum Klimastreik.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat für diesen Eifer wenig übrig, wie Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin berichtet [1]. Er spricht von Wirrköpfen, die "inzwischen ganz offensichtlich die Orientierung verloren", haben. Es sei absurd, "dass Klimaaktivisten den ÖPNV blockieren".

Das freut wiederum die andere Seite:

"Wenn Innenminister Herrmann sich aufregt, macht man alles richtig", erklärte dazu die Aktivistin Lisa Poettinger. "Die streikenden Beschäftigten fanden die Blockade jedenfalls toll."

Klimastreik trifft ÖPNV-Streik – und Bayerns Innenminister schäumt [2]

Der grüne Bundesernährungsminister schäumt ein Verbot ein

So gar nichts Richtiges kann Telepolis-Autor Rüdiger Suchsland an Cem Özdemirs austeritärem Eifer finden, gezielt an Kinder gerichtete Werbung zu verbieten, die ungesunde Lebensmittel propagiert.

"Mit unseren Regelungen werden wir Kinder besser schützen und Eltern in ihrem stressigen Alltag entlasten und stärken", sagte Bundesernährungsminister Cem Özdemir, "pünktlich zur Fastenzeit" vor der Presse.

Wir verbieten nicht die Werbung an sich und auch nicht die Herstellung dieser Lebensmittel, aber die Werbung darf sich nicht mehr gezielt an Kinder richten.

"Aber auch wenn Özdemir sagt, er wolle niemandem etwas verbieten – was er vorhat, ist genau das", kommentiert Suchsland. In den Plänen des Bundesernährungsministers stecke Zensur, die als Schutz deklariert, und Verbote, die als Entlastung präsentiert werden:

Das ist die Rhetorik einer Orwellschen Staates, der es besser weiß als die Menschen selbst, was für die Menschen gut ist. Und der immer nur das Beste für sie will: nämlich Kinder und Eltern schützen und stärken.

Grünes Erziehungsregime [3]

Schäumende Stille: Scholz besucht Biden. Warum schon wieder?

Der deutsche Kanzler trifft wieder einmal US-Präsident Biden, diesmal ganz ohne Pressebegleitung. Ein "kurzer Arbeitsbesuch", der CDU-Chef Friedrich Merz zur Frage ermuntert hat, "welchem Zweck das dient" [4]: "Eine persönliche Begegnung muss doch auch einen besonderen Grund haben. Ich kenne ihn nicht."

Damit ist Merz nicht allein. Also schäumen die Spekulationen. So titelt die New York Times etwas reißerisch, dass es um ein "End Game" im Ukraine-Krieg [5] gehen könnte. Anlass sind Vermutungen darüber, dass die Unterstützung für die Ukraine doch ihre Grenzen habe und hier Gesprächsbedarf unter den engen Verbündeten bestehe.

Am deutlichsten berichtet die FAZ aktuell von Anzeichen für einen solchen möglichen Hintergrund. "Es könnte über rote Linien gehen bei Waffenlieferungen, auch um einen möglichen Ausweg aus dem Krieg, der, so schätzen beide Seiten, militärisch in nächster Zukunft nicht entschieden werden kann", spekulieren Markus Wehner und Majid Sattar in der gestrigen Print-Ausgabe der Zeitung über den "Besuch in ungewöhnlichem Format".

Dort findet sich die Insider-Information, wonach Biden Selenskyj zuletzt in Kiew darauf hingewiesen haben soll, "wie viel Geld des amerikanischen Steuerzahlers Washington inzwischen investiert habe" und dass dies auch seine Grenzen habe: "Die Botschaft des amerikanischen Präsidenten an Selenskyj lautete aber: Er sei als Präsident angetreten, um Amerika zu heilen, was kräftige Investitionen verlange."

Gemeint sind Investitionen ins Homeland, wo die Präsidentschaftswahlen anlaufen.

So sehr Biden seine Reise nach Kiew auch nutzte, um sich der eigenen Bevölkerung als starker Führer der freien Welt zu präsentieren, so weiß das Weiße Haus doch, dass Wahlen nicht mit Außenpolitik gewonnen werden. Teile der - intern in der Ukrainepolitik - gespaltenen Republikaner nutzen Putins Krieg, um Biden vorzuwerfen, er vertrete nicht die Interessen des amerikanischen Volkes.

Markus Wehner und Majid Sattar, FAZ

"Die Häufung der Reisen nach Washington lässt aufhorchen", schreibt auch der EU-Beobachter Eric Bonse. Er fragt in eine ähnliche Richtung wie die große US-Zeitung: Ob es darum gehe, "eine neue Phase des Krieges vorzubereiten [6] – oder kommen endlich Verhandlungen? Zuletzt war von Gesprächen hinter den Kulissen die Rede – aber auch von mehr Waffenlieferungen …".

Bonse berichtet, dass auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in die USA reist. Sehr wahrscheinlich ist damit, dass es bei den deutsch-amerikanischen Gesprächen nicht nur um den Ukraine-Krieg geht, sondern auch um die Subventionspolitik der USA, die die transatlantischen Beziehungen mit einer ganz eigenen Spannung aufladen.

EU-Mitgliedsländer, besonders Frankreich ("Das wahre Risiko für Europa ist der industrielle Absturz" [7]) und Deutschland, äußerten gegenüber dem Inflation Reduction Act (IRA) der Biden-Regierung größere Probleme: EU-Kommissar warnt: Handelsstreit mit USA könnte Europäer in Richtung China treiben [8].

Es gebe auch noch andere Streitpunkte, etwa im Zusammenhang mit den Panzerlieferungen – Stichwort "Junktim ja oder nein" [9], berichtet ntv.

Dort weist man mit einem kleinen Seitenhieb auf einen früheren Konflikt hin: den um Nord Stream 2.

Auch dazu gibt es einige Fragen, keine soliden Antworten und viele Spekulationen. Die Öffentlichkeit kann sich aber sicher fühlen. Aus dem früheren Konflikt zwischen den USA und Deutschland hat sich ein grundsätzliches transatlantisches Einverständnis entwickelt: Schaum drüber [10].

Früher betonte Scholz noch eine eigene Position zur Pipeline.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7534835

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Klimastreik-trifft-OePNV-Streik-und-Bayerns-Innenminister-schaeumt-7534252.html
[2] https://www.telepolis.de/features/Klimastreik-trifft-OePNV-Streik-und-Bayerns-Innenminister-schaeumt-7534252.html
[3] https://www.telepolis.de/features/Gruenes-Erziehungsregime-7534280.html
[4] https://www.n-tv.de/politik/Merz-will-Scholz-Reisegruende-wissen-article23958067.html
[5] https://www.nytimes.com/2023/03/03/world/europe/scholz-biden-ukraine-war.html
[6] https://lostineu.eu/mehr-krieg-oder-endlich-verhandlungen-scholz-und-von-der-leyen-in-washington/
[7] https://www.telepolis.de/features/Schreckgespenst-Handelskrieg-zwischen-den-USA-und-der-EU-7337449.html
[8] https://www.telepolis.de/features/EU-Kommissar-warnt-Handelsstreit-mit-USA-koennte-Europaeer-in-Richtung-China-treiben-7444654.html
[9] https://www.n-tv.de/politik/Scholz-trifft-Biden-aber-Fragen-darf-keiner-stellen-article23957485.html
[10] https://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/nordstream-gasleck-101~_v-gross20x9.jpg