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Trauer für die Queen – und was ist mit den Opfern der Monarchie?

Queen Elisabeth II mit den Staats- und Regierungschefs des Commonwealth auf der Commonwealth-Konferenz 1960. Bild: Public Domain

Milliarden von TV-Zuschauer:innen, Milliarden für eine Trauerzeremonie. Was wie ein globales Märchen erscheint, ist es nicht für alle. Was hinter Empire und Commonwealth steckt.

Die britische Queen Elizabeth II. lebte ein langes und erfülltes Leben. Sie hinterlässt Familie und Freunde, die um sie trauern. Aber nicht nur die, die sie umgaben, trauern, sondern eine ganze Nation. Viele Menschen überall auf der Welt nehmen Anteil an ihrem Tod – vor allem in den reichen Industriestaaten.

Dass Elizabeth mehr repräsentiert als eine Person, die ein Amt in Großbritannien innehatte, lässt sich allein an einigen Eckdaten erkennen: Die Trauerfeier kostet nach Angaben der Economic Times in Indien rund 6 Milliarden Pfund [1]. Man rechnet zudem damit, dass rund vier Milliarden Menschen auf der ganzen Welt [2] das Staatsbegräbnis am Fernseher mitverfolgen werden. Es wäre damit das größte TV-Ereignis aller Zeiten.

Man kann sicherlich lange darüber diskutieren, warum Elizabeth II. so viel Aufmerksamkeit, Neugier und Anteilnahme auslöst. Die 96 Jahre alt gewordene Monarchin wurde schon zu Lebzeiten verehrt. Sie galt als höflich und verbindlich, pflichtbewusst bis zur Selbstvergessenheit, dem Amt treu ergeben und in ihrer Ausstrahlung positiv, wenn auch in ihrer Haltung streng und zuweilen kompromisslos.

Zugleich wurde das britische Königshaus und die Königsfamilie unter ihrer Regentschaft zu einer gigantischen, buchstäblich endlosen Boulevard- und Medienserie [3], die schließlich in einer Netflix-Serie ihre Entsprechung fand. Die Massenmedien machten die Queen erst zu dem, wofür sie heute steht: Eine über den Wirren der Zeiten stehende "besonnen, wohlmeinende Königin", wie sie uns eigentlich nur aus Märchenerzählungen vertraut sind.

Aber hinter den menschlich-allzumenschlichen Familiendramen im Buckingham Palace, dem Pomp und der Etikette, den Erinnerungen an die "guten alten Zeiten" des britischen Empire und der Aura einer Superlativ-Queen, liegt eine Erzählung, die in den Ländern, in denen nun am meisten getrauert und Anteil genommen wird, selten Raum gegeben wird. Und wenn, dann nur in homoöpathischen Dosen.

Denn die britische Queen ist ja nicht Vorsitzende eines wohltätigen Vereins gewesen oder repräsentierte, wie im Fall von Nelson Mandela, dessen Tod ebenfalls weltweit betrauert wurde, eine gesellschaftliche Bewegung, die Unrecht mit Mut und Opferbereitschaft beseitigte. Elizabeth II. steht für ein monarchisches Erbe, das sie übernahm und in den letzten Jahrzehnten vertrat: das britische Empire und den Commonwealth.

Daher sind die Reaktionen in den Ländern, die unter der Herrschaft des Empires zu leiden hatten, etwas anders als im reichen Westen. So reagierte Dorbrene O’Marde [4], Vorsitzende der Wiedergutmachungskommission der Karibikinseln Antigua und Barbuda, die Teil des Commonwealth sind, mit folgenden Worten auf den Tod der Queen:

Ich fühle mich nicht verpflichtet dazu, ihren Tod zu betrauern. Und das liegt einfach an meinem Geschichtsverständnis, an meinem Verständnis der Beziehungen der britischen Monarchie zu afrikanischen und asiatischen Völkern. Es liegt an meinem Wissen über die Rolle, die Königin Elizabeth II. gespielt hat, wie es ihr gelungen ist, die historische Brutalität des Imperiums mit einer Fassade von Größe, Prunk und sicherlich auch Anmut zu verdecken. Wir müssen uns jetzt mit dieser Geschichte viel genauer befassen.

Wie viel wusste die Queen über KZs und Folter in Kenia in den 50er Jahren?

Zu dieser Geschichte gehört auch und vor allem der britische Sklavenhandel. König Charles I startete Mitte des 17. Jahrhunderts zuerst den Handel mit Gold und Mineralien zwischen Afrika und England. Damit wurde das Fundament für den späteren Menschenhandel gelegt, die Versklavung und die Verschiffung von Afrikaner:innen. Die Könige Charles II. und James I. transportierten mit ihrer Royal African Company mehr Afrikaner:innen nach Amerika als irgendein Unternehmen in der Geschichte.

Auch wenn bei der Thronbesteigung von Elizabeth II. 1952 die Sklaverei bereits abgeschafft war, wurde die britische Herrschaft in Form von dem, was in den betroffenen Ländern Kolonialismus oder Neokolonialismus genannt wird, weitergeführt. Das lässt sich zum Beispiel ablesen an der Unterdrückung der Mau-Mau-Bewegung in Kenia [5]. Die Menschen erhoben sich in den 50er Jahren in dem afrikanischen Land gegen die brutale britische Herrschaft. Auf den kenianischen Widerstand reagierte die britische Regierung mit der Erklärung eines Notstands. Es wurden darauf hin insgesamt 1,5 Millionen Kenianer:innen in Konzentrationslager verschleppt.

Die Harvard-Historikerin Caroline Elkins, eine der führenden Wissenschaftlerinnen des britischen Kolonialismus, sagt, dass es zwar unklar sei, wie viel Queen Elizabeth persönlich von Konzentrationslagern, Folter und anderen Missbräuchen in Kenia während ihrer frühen Regierungszeit wusste [6], die Monarchie sich aber mit diesem Erbe auseinandersetzen muss.

Schwere Verbrechen geschahen unter der kaiserlichen Aufsicht der Königin. Tatsächlich hing ihr Bild in jedem Gefangenenlager in Kenia, als Gefangene geschlagen wurden, um ihre Loyalität gegenüber der britischen Krone einzufordern.

Der Premierminister des Karibikstaats Antigua und Barbuda, eine ehemalige britische Kolonie, hat angekündigt, in Kürze ein Referendum abhalten zu lassen [7], damit das Land den Commonwealth verlassen und zu einer Republik werden kann. Auch die regierende Arbeiterpartei von Jamaika plant eine Abstimmung dazu. Einst bildete die Karibik das Herz von Englands kolonialer Herrschaft in Nordamerika, bei der Millionen von versklavten Afrikaner:innen dort hin verschleppt wurden, wo viele sich zu Tode arbeiteten.

Aus der Karibik kommen auch immer wieder Forderungen nach einer Entschuldigung und Reparationen für den Missbrauch, den die britische Krone zu verantworten hat. Der bekannte jamaikanische Dichter und Musiker Mutabaruka sagt, dass die britische Monarchie "kriminelle Aktivitäten" repräsentiert [8] und dass der Staat ehemalige Kolonien wie Jamaika entschädigen muss, um die Geschichte des Missbrauchs wiedergutzumachen.

Taten sprechen lauter als Worte,

fordert Mutabaruka angesichts der royalen PR, mit der die kolonialen Verbrechen als historische Randnotiz abgetan werden.

Wir sollten im Hinterkopf behalten: Märchen sind oft nicht wahr, auch wenn Menschen sich vor allem in unsicheren Zeiten gerne in sie flüchten. Dass Märchen nicht die ganze Wahrheit mitteilen, gilt im Fall der Queen nicht nur bezüglich der kolonialen Verbrechen. Denn wie der Journalist Richard Eskow in Hinsicht auf die schwere soziale Krise in Großbritannien kommentiert [9]:

Großbritannien hat nicht nur eine Monarchin verloren. Auch der britische Sozialstaat, einst ein leuchtendes Vorbild für westliche Demokratien, liegt im Sterben. Auf menschlicher Ebene ist jeder Tod ein Anlass zum Trauern. Aber wer trauert um die unnötig Verstorbenen oder um ein System, das sie hätte retten können? Wenn die Menschen bereit wären, sich um jedes Opfer von Armut oder unzureichender medizinischer Versorgung nur halb so viel zu kümmern, wie um eine einzige bekannte Persönlichkeit, dann könnten wir eine gerechte Gesellschaft aufbauen. In den kommenden Tagen werden sie noch oft "God Save the Queen" und "God Save the King" spielen. Aber wer schützt das Volk?


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.democracynow.org/2022/9/12/queen_elizabeth_dead_british_colonialism_africa
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/abschied-queen-105.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Charles-der-Letzte-7258690.html
[4] https://www.democracynow.org/2022/9/13/british_colonialism_caribbean_antigua_barbuda_jamaica
[5] https://www.democracynow.org/2022/9/12/queen_elizabeth_dead_british_colonialism_africa
[6] https://www.democracynow.org/2022/9/12/queen_elizabeth_dead_british_colonialism_africa
[7] https://www.democracynow.org/2022/9/13/british_colonialism_caribbean_antigua_barbuda_jamaica
[8] https://www.democracynow.org/2022/9/13/british_colonialism_caribbean_antigua_barbuda_jamaica
[9] https://www.commondreams.org/views/2022/09/09/mourn-queen-god-save-people