Trotz Nawalnys Tod sollten die USA weiter GesprÀche mit Putin suchen

Empörung reicht nicht. Es braucht auch Verhandlungen mit dem russischen Staatschef. Wie Biden der Spagat gelingen kann. Ein Gastbeitrag.
US-PrĂ€sident Joe Biden hatte mit dem ersten Teil seines Urteils ĂŒber den Tod von Alexej Nawalny völlig recht: "Putin ist verantwortlich, ob er es nun angeordnet hat oder ob er fĂŒr die UmstĂ€nde verantwortlich ist, in die er diesen Mann gebracht hat."

Auch wenn Nawalny letztendlich eines "natĂŒrlichen Todes" gestorben ist, mĂŒssen seine vorherige Vergiftung und die UmstĂ€nde seiner Inhaftierung offensichtlich als entscheidende Faktoren fĂŒr seinen Tod angesehen werden.
FĂŒr seinen ungeheuren Mut, nach seiner medizinischen Behandlung im Westen nach Russland zurĂŒckzukehren â wohl wissend, welchen Gefahren er sich aussetzte â sollte das Andenken an Nawalny in Ehren gehalten werden. Er reiht sich ein in die lange Liste von Russen, die fĂŒr ihre Ăberzeugungen durch die Hand des Staates gestorben sind.
Tod von Alexej Nawalny: Was kann Biden noch tun?
Ăffentliche ĂuĂerungen von Wut und Abscheu ĂŒber die Art und Weise seines Todes sind gerechtfertigt und richtig.
Problematisch ist der andere Teil von Bidens ErklÀrung: "(Nawalnys Tod) ist ein Spiegelbild dessen, was [Putin] ist. Und das kann einfach nicht toleriert werden". Wenn er "gebilligt", "gerechtfertigt" oder "verteidigt" gesagt hÀtte, wÀre das absolut richtig gewesen. Aber "toleriert"? Was kann Biden als Antwort darauf tun, was er nicht schon getan hat?
US-Sanktionen und Kontrolle der Weltwirtschaft
Der US-PrĂ€sident hat umfangreiche neue Sanktionen versprochen, um Russland "von der Weltwirtschaft abzuschneiden" â aber dazu muss Washington die Weltwirtschaft kontrollieren.
Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland als Reaktion auf den Einmarsch in der Ukraine sind gescheitert und haben die russische Wirtschaft und den Einfluss des Staates auf sie sogar noch gestĂ€rkt. Sie können nicht wesentlich ausgeweitet werden, denn das wĂŒrde LĂ€nder schĂ€digen und verĂ€rgern, die von russischen Energieexporten abhĂ€ngig sind, darunter Indien, ein wichtiger Partner der USA.
Wirtschaftssanktionen gescheitert
Was die Sanktionen gegen russische Einzelpersonen angeht, die Teil des russischen Regimes sind oder mit ihm in Verbindung stehen, so gibt es bereits Tausende von ihnen, und sie haben keinerlei Wirkung gezeigt.
ErklĂ€rungen wie die von Biden sind sowohl sinnlos als auch gefĂ€hrlich. Denn sie implizieren, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, dass es unmöglich ist, mit Putin umzugehen. Aber ob es einem nun gefĂ€llt oder nicht, Putin ist der PrĂ€sident von Russland. Allem Anschein nach wird er das auch noch eine ganze Weile bleiben und sein Amt an einen von ihm selbst gewĂ€hlten Nachfolger ĂŒbergeben.
Die Regierung Biden hat erklĂ€rt, sie wolle einen ukrainischen Sieg (was auch immer das jetzt heiĂen mag), aber sie hat auch gesagt, sie glaube, dass der Krieg durch Verhandlungen beendet werden könne, und nach dem Scheitern der ukrainischen Offensive im letzten Jahr scheint sie sich nun in diese Richtung bewegen.
Mit wem will Biden gegebenenfalls verhandeln?
Mit wem glaubt Biden verhandeln zu können, wenn nicht mit Putin? GesprĂ€che ĂŒber die Beendigung des Ukraine-Krieges zu suchen, bedeutet nicht, Putins Verbrechen oder seine Invasion in der Ukraine zu billigen. Die Verhandlungen der Eisenhower-Regierung ĂŒber die Beendigung des Koreakrieges haben ja auch keine Billigung des nordkoreanischen Regimes und seiner Invasion in SĂŒdkorea bedeutet.
Nach eigenen Angaben hat die Biden-Administration die Förderung der Demokratie in der ganzen Welt zu einem zentralen Bestandteil ihrer Diplomatie gemacht. Das wĂŒrde bedeuten, dass nur demokratische Regierungen, die die Menschenrechte achten, wirklich legitim wĂ€ren.
Die tatsÀchliche US-Diplomatie funktioniert nicht so und hat nie so funktioniert; nicht wegen US-amerikanischer imperialistischer oder kapitalistischer Bosheit, sondern weil die Welt so nicht funktioniert.
Niemand sollte verpflichtet sein, die Regierungen von Abdel Fatah Al-Sisi, Mohammed bin Salman oder Narendra Modi zu mögen oder zu bewundern (auch wenn wir uns wĂŒnschen wĂŒrden, dass US-Vertreter in ihrem Lob weniger ĂŒberschwĂ€nglich wĂ€ren).
Mehr UnterstĂŒtzung fĂŒr die russische Opposition
Wie Putin sind sie jedoch die Regierungschefs ihrer LĂ€nder und werden es wahrscheinlich auch bleiben. Wenn man mit Saudi-Arabien und Indien zu tun hat - und mit Saudi-Arabien und Indien muss man zu tun haben - dann hat man es mit MBS und Modi zu tun.
Der andere Punkt, vor dem man sich bei der Empörung ĂŒber den Tod von Nawalny in Acht nehmen sollte, ist, dass sie bereits dazu benutzt wird, eine Strategie mit einer wesentlich nachdrĂŒcklichere offizielle UnterstĂŒtzung des Westens fĂŒr die russische Opposition zu entwickeln.
Viele (nicht alle) Personen und Gruppen in der russischen liberalen Opposition sind persönlich und politisch bewundernswert. Einige, wie Nawalny, haben enormen Mut bewiesen. Dies zu sagen ist etwas ganz anderes, als zu glauben, dass sie jemals die Regierung Russlands bilden werden und die USA ihre Politik gegenĂŒber Russland auf die Hoffnung stĂŒtzen sollten, dass dies der Fall sein wird.
Russische Opposition auf westliche UnterstĂŒtzung angewiesen
Die traurige Wahrheit ist, dass der Ukraine-Krieg die russische liberale Opposition in eine politisch unmögliche Lage gebracht hat. Da sie von Putin weitgehend ins Exil gejagt wurde, ist sie auf westliche UnterstĂŒtzung angewiesen. Das bedeutet jedoch, dass ihre prinzipielle Opposition gegen die russische Invasion von der russischen Regierung als Verrat in Kriegszeiten dargestellt werden kann - und von vielen einfachen Russen als solcher angesehen wird.
Wie bei der iranischen, chinesischen und anderen Oppositionsbewegungen erlaubt die offizielle UnterstĂŒtzung aus Washington den herrschenden Regimen, die Bezeichnung "VerrĂ€ter" noch stĂ€rker herauszustreichen.
Eine (individuell unterschiedliche) Kombination aus Idealismus, AbhĂ€ngigkeit vom Westen und Hass auf Putin fĂŒhrt dazu, dass sich viele russische Oppositionelle - gewollt oder ungewollt - mit ukrainischen und westlichen Positionen identifiziert haben, die ausdrĂŒcklich eine vollstĂ€ndige russische Niederlage fordern, anstatt fĂŒr einen Kompromissfrieden in der Ukraine einzutreten.
Nicht viele Russen wollen Russland besiegt sehen
Und obwohl nicht viele Russen den Krieg wollten, wollen auch nicht viele Russen Russland besiegt sehen. Wie ich bereits erwÀhnt habe, waren selbst viele US-Amerikaner, die den Krieg in Vietnam entschieden ablehnten, empört, als Jane Fonda nach Hanoi ging. Wenn sie vor dieser Reise eine Chance hatte, in ein Amt in den USA gewÀhlt zu werden, so hatte sie diese danach sicher nicht mehr.
Jede Hoffnung auf einen Wiederaufbau des Liberalismus in Russland (und in der Tat auch in der Ukraine, wenn auch in viel geringerem MaĂe) setzt daher ein Ende des Krieges voraus. Denn ein gewisses MaĂ an Autoritarismus ist eine natĂŒrliche Begleiterscheinung jedes Krieges, und Regime auf der ganzen Welt haben dies ausgenutzt, um ihre eigene Macht zu vergröĂern.
Ebenso wichtig: Die MassenunterstĂŒtzung fĂŒr Putin hĂ€ngt entscheidend von der weitverbreiteten Ăberzeugung ab, dass der Westen Russland nicht nur besiegen, sondern auch als Staat zerstören will. Um das zu verhindern, ist es demnach unerlĂ€sslich, die Regierung zu unterstĂŒtzen.
Zumindest im Moment hat dies den zuvor weitverbreiteten Unmut ĂŒber die Korruption des Regimes - den Nawalny kanalisierte - in den Hintergrund gedrĂ€ngt. Keine noch so groĂe westliche oder russische Oppositionspropaganda kann dieses russische Bild Ă€ndern. Der Frieden könnte es Ă€ndern, wenn man ihm eine Chance gibt.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original [1] finden Sie hier. Ăbersetzung: Uwe Kerkow [2].
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