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Tulsi Gabbard: Schlag vor den Bug der Demokraten

Bild: Gage Skidmore/CC BY-SA 2.0

Austrittserklärung kurz vor den US-Zwischenwahlen. Kritik an "Kriegs-Kabale" in der Partei des Präsidenten und zu viel "wokeness". Will sie nur Aufmerksamkeit für den Neustart ihrer politischen Karriere?

Rapper Kanye West präsentierte sich in einem "White Lives Matter"-Shirt [1] auf der Paris Fashion Week, verteidigte sich später in einem (im Nachhinein editierten [2]) Interview mit Tucker Carlson auf Fox-News und bereitet sich, vielen Anzeichen nach, auf eine politische Karriere im konservativen Sektor der US-Politik vor.

Vorausgesetzt, die Aufmerksamkeitsspanne der Pop-Ikone reicht aus, hätte Kanye wahrscheinlich tatsächlich eine Chance, nach der Musikbranche und der Modewelt auch die US-Politik zu erobern. Doch lohnt es sich überhaupt, zwischen diesen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu unterscheiden?

"Coming-out" als Konservative

Auch die ehemalige Demokratische Kongressabgeordnete für Hawaii und Ex-Präsidentschaftskandidatin 2020, Tulsi Gabbard, nutzt die Gunst der Stunde für ihr wenig überraschendes politisches "Coming-out" als Konservative. Am Dienstag gab sie ihren Austritt aus der Demokratischen Partei bekannt [3].

Zyniker könnten jetzt behaupten, Gabbard hätte den Zeitpunkt absichtlich so kurz vor den Zwischenwahlen am 8. November gewählt, um ihrer Ex-Partei maximalen politischen Schaden zuzufügen und sich damit die Gunst des Republikanischen Partei-Establishments zu sichern.

Denn, egal, ob Donald Trump oder Ron DeSantis das Rennen in den Vorwahlen der Republikaner macht, beide werden in Bälde ein "Running Mate" für die Präsidentschaftswahlen 2024 benötigen. Mike Pence kommt wohl nicht mehr infrage, seit ihn die "MAGA"-Bewegung während des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2020 als Verräter aufknüpfen wollte [4].

"Vollständige Kontrolle einer elitären Kabale"

Nach eigenen Angaben, veröffentlicht in einer Videobotschaft, verlässt Gabbard die Demokratische Partei, da diese "unter der vollständigen Kontrolle einer elitären Kabale von Kriegstreibern [5] steht, die von feiger 'wokeness' getrieben werden". In klassisch populistischer Manier werden hier Wahrheiten mit falschen Prämissen verknüpft, um eigentlich sinnvolle Argumente mit Gewalt in ein konservatives Weltbild einzupassen.

Denn eigentlich äußert Tulsi Gabbard hier eine legitime Besorgnis bezüglich der aktuellen Außenpolitik des Weißen Hauses. Erst kürzlich haben Präsident Joe Biden und Außenminister Antony Blinken verlauten lassen, ihre künftige Außenpolitik würde sich vorwiegend durch zwei Aufgabenbereiche definieren lassen: "China zu übertreffen und Russland im Zaum zu halten" [6].

"Feige wokeness"

Dass diese aggressiv klingende Ausrichtung des außenpolitischen Kurses der USA offensichtlich nicht von "cowardly wokeness" angetrieben ist – sollte eigentlich klar sein. Bisher wurde kaum ein Krieg aus Gründen der "Political Correctness" geführt.

Für Gabbard scheinen solche Kausalitäten keine Rolle zu spielen. Schade eigentlich, hätte sie ihre Plattform doch nutzen können, um zu thematisieren, wie die aktuelle Regierung sich hinter Begriffen wie "wokeness" versteckt, während sie den imperialistischen Unterton hinsichtlich der außenpolitischen Ziele und Ansprüche der USA weiter verstärkt.

Doch darum geht es der ehemaligen Kongressabgeordneten aus Hawaii leider nicht. An wen sich Gabbards Erklärung eigentlich richtet, zeigen ihre weiteren Ausführungen: "Die Demokratische Partei schürt anti-weißen Rassismus", untergrabe die verfassungsmäßigen Freiheiten und sei "feindlich gegenüber Menschen mit Glauben und Spiritualität".

Diese Rhetorik weist deutlich auf eine gewisse Zielgruppe ihrer Videobotschaft hin, nämlich die politische Kabale "on the other side oft the aisle" [7].

Bewerbung für die andere Seite des Flügels

Die Stellungnahme ist weniger eine ernst gemeinte Kritik an der Demokratischen Partei, als vielmehr eine Bewerbung für eine Karriere auf der anderen Seite des "Zwei-Parteien-System".

Deshalb vermischt Gabbard gerechtfertigte Kritik am außenpolitischen Kurs ihrer Ex-Partei mit Begrifflichkeiten des konservativen Kulturkampfes, und das ist auch nötig, wenn sie sich bei der "anderen" Seite der politischen Elite anbiedern möchte.

Denn die Kandidatinnen und Kandidaten der Republikaner verbergen ihre wahren politischen Ziele im gleichen Maße hinter einem Deckmantel aus Begrifflichkeiten des sogenannten "Kulturkampfes" wie die Demokraten. Auch Gabbard geht es daher nicht um eine ehrliche Kritik am existierenden politischen System, sondern um eine politische Attacke.

Plattitüden

Da behauptet man schnell, die Demokraten würden "die Polizei verteufeln, schützten aber Kriminelle auf Kosten gesetzestreuen Amerikaner". Diese Aussage ist absoluter Blödsinn, haben doch ein ganzer Sommer voller "Black Lives Matter"-Proteste im Grunde nur dazu geführt, dass Biden während seiner State of the Union Address [8] verkündete, man müsse noch mehr Geld in die Institution, mit teilweise mehr als zweifelhaften Erfolgsraten [9], investieren.

Solch klassisch konservativen Plattitüden lässt Gabbard dann wieder legitime Kritik [10] an der Demokratischen Partei und den liberalen Eliten folgen:

Und vor allem treiben sie uns immer näher an einen Atomkrieg heran. Ich glaube an eine Regierung, die vom Volk, durch das Volk und für das Volk ist. Leider tut die heutige Demokratische Partei das nicht.

Tulsi Gabbard

Damit hat Gabbard schlicht recht. Eigentlich ist es tragisch, dass sie zu glauben scheint, sich in ihrem Wunsch nach einer bevölkerungsnäheren, repräsentativeren und demokratischeren Regierungsform ausgerechnet an die Republikanischen Partei wenden zu können.

Selbst wenn es sich bei Tulsi Gabbards Stellungnahme nur um die schnöde Bewerbung um das Amt der Republikanischen Vize-Präsidentin handelt, wer kann es ihr verübeln. Immerhin sind die Republikaner ihrer Wählerschaft bis zu einem gewissen Grad hörig – allerdings nur in Form von Lippenbekenntnissen.

Biden hingegen fängt gerade an, in Ansätzen, politischen Forderungen seiner potenziellen Wählerschaft Folge zu leisten. Biden und Vize-Präsidentin Kamala Harris brachten ihre Version des Student Debt Relief Plan [11] auf den Weg.

Verzerrtes Bild

Mehr noch, zuletzt machte der Präsident sogar Schlagzeilen durch seine Begnadigung von Tausenden Personen [12], die wegen Marihuana-Besitzes verurteilt wurden und derzeit im Gefängnis sitzen. Er ordnete eine Überprüfung der Bundesgesetze über Marihuana an.

Hierbei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Biden und Harris keine kleine Teilschuld [13] am Elend dieser Opfer im Drogenkrieg [14] tragen. Für viele kommen diese weitgehend populären Maßnahmen zu spät und reichen nicht weit genug.

Tulsi Gabbards Medienauftritt spiegelt das verzerrte Bild der politischen Realität in den USA wider: In der sich die Wählerschaft zwischen Kulturkrieg, echten politischen Forderungen und einer immer realer werdenden Bedrohung durch die Folgen aggressiver US-Außenpolitik hin- und hergerissen fühlt.

Kurz gesagt, Gabbard ist in und mit ihrer Verwirrung so kurz vor den Vorwahlen sicher nicht allein.


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https://www.heise.de/-7309538

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.rnd.de/promis/white-lives-matter-kanye-west-verteidigt-t-shirt-slogan-im-tv-D5BTMRX7F3JWEUMMUIGHFMAGQI.html
[2] https://www.vice.com/en/article/3ad77y/kanye-west-tucker-carlson-leaked-footage-antisemitism-fake-children
[3] https://thehill.com/homenews/house/3682396-gabbard-says-she-cant-stay-in-todays-democratic-party/
[4] https://www.cnbc.com/2022/06/28/jan-6-hearing-trump-thought-pence-deserved-chants-to-hang-him-aide-says.html
[5] https://www.youtube.com/watch?v=2UeyV6qGcK8
[6] https://www.theguardian.com/us-news/live/2022/oct/12/jan-6-hearing-trump-evidence-biden-midterms-election-latest?page=with:block-6347187e8f08253e9d65a0d8
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Aisle_(political_term)#:~:text=In%20the%20United%20States%2C%20the,two%20sides%20of%20the%20aisle
[8] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-03-02/biden-calls-to-fund-the-police-in-state-of-the-union
[9] https://www.texastribune.org/2022/05/27/uvalde-school-shooting-police-errors/
[10] https://thehill.com/homenews/house/3682396-gabbard-says-she-cant-stay-in-todays-democratic-party/
[11] https://studentaid.gov/debt-relief-announcement/
[12] https://www.cnbc.com/2022/10/06/biden-to-pardon-all-prior-federal-offenses-of-simple-marijuana-possession-.html
[13] https://www.vox.com/policy-and-politics/2019/4/25/18282870/joe-biden-criminal-justice-war-on-drugs-mass-incarceration
[14] https://www.vox.com/future-perfect/2019/1/23/18184192/kamala-harris-president-campaign-criminal-justice-record