UN-Bericht: Israelische Soldaten haben offenbar gezielt Journalistin Akleh erschossen
Die Al-Jazeera-Journalistin ist "offenbar gezielt" von israelischem Militär erschossen worden, so eine UN-Untersuchung. Regierungen und Medien im Westen schauen weg.
Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen bestätigte nun die Ergebnisse mehrerer umfangreicher journalistischer Untersuchungen und erklärte, dass die israelischen Streitkräfte die Schüsse abgegeben haben, durch die die renommierte und beliebte Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh getötet und ihr Kollege im vergangenen Monat bei einer Razzia im besetzten Westjordanland verwundet wurde.
Ravina Shamdasani, eine Sprecherin des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, sagte in einer Erklärung, es sei
zutiefst beunruhigend, dass die israelischen Behörden in den sechs Wochen seit der Ermordung von Abu Akleh, die internationale Empörung auslöste, keine strafrechtliche Untersuchung durchgeführt haben.
"Wir vom Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen haben unsere unabhängige Untersuchung des Vorfalls abgeschlossen", sagte Shamdasani.
Alle Informationen, die wir gesammelt haben – einschließlich offizieller Informationen des israelischen Militärs und des palästinensischen Generalstaatsanwalts – stimmen mit der Feststellung überein, dass die Schüsse, die Abu Akleh töteten und ihren Kollegen Ali Sammoudi verletzten, von israelischen Sicherheitskräften kamen und nicht von wahllosen Schüssen bewaffneter Palästinenser, wie ursprünglich von israelischen Behörden behauptet.
"Wir haben keine Informationen gefunden, die darauf hindeuten, dass bewaffnete Palästinenser in der unmittelbaren Umgebung der Journalisten aktiv waren", fügte Shamdasani hinzu.
Die Ergebnisse des UN-Gremiums kamen einige Tage nach der Veröffentlichung der New York Times, die zeigt, dass die "Kugel, die Frau Abu Akleh tötete, von der ungefähren Position des israelischen Militärkonvois abgefeuert wurde, höchstwahrscheinlich von einem Soldaten einer Eliteeinheit".
Die von der Times geprüften Beweise zeigten, dass sich keine bewaffneten Palästinenser in ihrer Nähe befanden, als sie erschossen wurde. Das widerspricht den israelischen Behauptungen, dass ein Soldat sie versehentlich erschossen habe, weil er auf einen bewaffneten Palästinenser geschossen habe.
Letzten Monat, zwei Wochen nach der Ermordung, kam CNN ebenfalls zu dem Schluss, dass "es in den Momenten vor dem Tod von Abu Akleh weder ein aktives Gefecht noch militante Palästinenser in der Nähe gab".
"Von CNN beschaffte Videos, die durch Aussagen von acht Augenzeugen, einem Audioforensiker und einem Sprengstoffexperten bestätigt werden, legen nahe, dass Abu Akleh bei einem gezielten Angriff der israelischen Streitkräfte erschossen wurde", berichtete der Sender.
Die Ergebnisse der großen Publikationen bestätigten die erste Reaktion von Al Jazeera auf die Ermordung von Abu Akleh. In einer Erklärung, die kurz nach dem Kopfschuss auf den Palästina-Korrespondenten veröffentlicht wurde, beschuldigte das Al Jazeera Media Network Israel, "unseren Kollegen absichtlich ins Visier genommen und getötet zu haben".
Die Menschenrechtsorganisation der Vereinten Nationen erklärte am Freitag, dass "in Übereinstimmung mit unserer globalen Menschenrechtsüberwachungsmethodik unser Büro Foto-, Video- und Audiomaterial gesichtet, den Tatort besucht, Experten konsultiert, offizielle Mitteilungen überprüft und Zeugen befragt hat".
Die UN-Organisation rekonstruierte den Ablauf der Tötung im Einzelnen:
Am 11. Mai 2022, kurz nach 6 Uhr, trafen sieben Journalisten, darunter Shireen Abu Akleh, am Westeingang des Flüchtlingslagers Jenin im nördlichen besetzten Westjordanland ein, um über eine laufende Verhaftungsaktion der israelischen Sicherheitskräfte und die anschließenden Zusammenstöße zu berichten.
Die Journalisten sagten, sie hätten eine Seitenstraße gewählt, um bewaffnete Palästinenser innerhalb des Lagers zu meiden, und sie seien langsam vorgegangen, um ihre Anwesenheit für die israelischen Streitkräfte auf der Straße sichtbar zu machen. Unseren Erkenntnissen zufolge gab es zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort keine Warnungen und keine Schießerei.
Als vier der Journalisten, die kugelsichere Helme und Splitterschutzwesten mit der Aufschrift PRESSE trugen, gegen 6.30 Uhr in die Straße einbogen, die zum Lager führte, wurden mehrere einzelne, scheinbar gezielte Schüsse aus Richtung der israelischen Sicherheitskräfte auf sie abgefeuert. Eine einzelne Kugel verletzte Ali Sammoudi an der Schulter, eine weitere einzelne Kugel traf Abu Akleh in den Kopf und tötete sie auf der Stelle. Als ein unbewaffneter Mann versuchte, sich der Leiche von Abu Akleh und einem anderen unverletzten Journalisten zu nähern, der hinter einem Baum Schutz suchte, wurden mehrere weitere Einzelschüsse abgefeuert. Es fielen weitere Schüsse, als es dieser Person schließlich gelang, die Leiche von Abu Akleh wegzutragen.
In der UN-Erklärung heißt es weiter.
Die internationalen Menschenrechtsnormen verlangen eine rasche, gründliche, transparente, unabhängige und unparteiische Untersuchung jeder Gewaltanwendung, die zum Tod oder zu schweren Verletzungen führt. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Am Donnerstag forderten zwei Dutzend US-Senatoren Präsident Joe Biden auf, dafür zu sorgen, dass die Regierung der Vereinigten Staaten direkt in die Ermittlungen zur Ermordung von Abu Akleh, einem amerikanischen Staatsbürger, einbezogen wird. Die Biden-Regierung bezeichnet den Fall als nicht geklärt und hat es Israel überlassen, Ermittlungen einzuleiten. Auch in Europa wird kein Druck auf die israelische Regierung ausgeübt, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten.
Zugleich werden die Ergebnisse in der medialen Öffentlichkeit hierzulande mehr oder weniger ausgeblendet bzw. relativiert. Deutsche Medien erwähnen die UN-Untersuchungsergebnisse zur Tötung der Journalisten durch israelisches Militär wenn überhaupt nur beiläufig. Spiegel Online beließ es bei einer kurzen Agenturmeldung im unteren Bereich der Homepage.
In der Meldung wird lediglich von "Hinweisen" gesprochen, dass es sich bei der tödlichen Kugel "wohl" um eine von israelischen Sicherheitskräften gehandelt haben soll. Zudem wird dem UN-Ergebnis die israelische Position gegenübergestellt:
Nach Darstellung der israelischen Armee ist nicht eindeutig geklärt, von wo der tödliche Schuss kam. Israel bestritt kategorisch, dass israelische Soldaten auf Journalisten schießen, und bot den Palästinensern an, den Vorfall gemeinsam zu untersuchen.
Die Medien in Deutschland hatten nach Bekanntwerden der Tötung zuerst die israelische Position übernommen, dass palästinensische Schützen für den Tod von Abu Akleh verantwortlich seien. Als sich diese Behauptung als nicht haltbar herausstellte, betonte man gemäß der geänderten Linie Israels, dass unklar sei, wer es gewesen sei und man den Fall untersuchen werde.
Telepolis hatte schon früh über die Tötung berichtet und auf die Befunde hingewiesen, die belegten, dass es sich bei den Schützen mit hoher Wahrscheinlichkeit um israelische Soldaten gehandelt haben muss.
Jetzt wird der detaillierte UN-Bericht von vielen Medien weiter als Fußnote abgetan und der Faktenstand im Unklaren belassen. Nicht mitgeteilt werden die von verschiedenen Seiten bestätigten Befunde, die Tatsache, dass "offenbar gezielt" auf die Pressevertreterin geschossen wurde und dass das UN-Menschenrechtskommisariat seine Empörung darüber ausdrückt, dass die israelische Regierung bisher, anders als versprochen, keine Untersuchung des Falls eingeleitet hat. Keine Erwähnung findet auch die Forderung der UN, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Die israelische Zeitung Haaretz hatte zuvor bereits berichtet, dass eine interne Untersuchung zu den Polizeiattacken auf den Trauerzug beim Begräbnis Aklehs kein Fehlverhalten der Beamten feststellen konnte. Der Polizeibericht kommt danach zu dem Schluss, dass niemand für den gewaltsamen, nicht provozierten Übergriff zur Verantwortung gezogen werden soll.
Bei der Attacke wurden die Sargträger mit Knüppeln geschlagen, sodass der Sarg mit Abu Akleh fast zu Boden fiel. Der Vorfall fand vor laufenden Kameras statt und löste internationale Empörung aus.