UN-Bericht belastet venezolanische Führung schwer

Als Mall geplant, zur Haft benutzt: El-Helicoide-Komplex in Caracas. Bild: Damián D. Fossi Salas, CC BY-SA 2.0

Ein Bericht des Menschenrechtsrats zu Venezuela erhebt schwere Vorwürfe. Gegner der Maduro-Regierung drohe Folter, Willkür und Tod. Warum sich die USA dennoch annähern.

Elektroschocks, das gezielte Einprügeln auf Geschlechtsteile, Drohungen genitaler Verstümmelung, über den Kopf gestülpte Plastiktüten: Gegner des Maduro-Regimes erleben ein Guantánamo im eigenen Land. Denn Menschenrechtler, Journalisten oder Bürgerrechtler leben gefährlich im autoritär regierten Andenstaat. Das belegt abermals ein neuer Bericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen.

Der dritte Report seiner Art, verfasst von einem UN-Rechercheteam (Fact Finding Mission), bemängelt die "anhaltende Menschenrechtskrise" im Land.

Zugang zu venezolanischem Boden gewährte man dem dreiköpfigen Team nicht. Reisen in Grenzregionen, Gespräche mit Opfern und ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeitern sowie Interviews via Telefon und Videochat bilden die Basis des Berichts.

Insgesamt 246 Interviews führten die UN-Menschenrechtler. Darunter befinden sich etwa 122 dokumentierte Fälle von Opfern des Militärgeheimdienstes DGCIM und 51 Fälle von Folter und Misshandlung durch Agenten des Inlandsgeheimdienstes Sebin.

Gewalt und Unterdrückung als politische Strategie

Dabei wurde mit Deutlichkeit nicht gegeizt: Ehemalige Mitarbeiter des Sebin sollen dem Team erzählt haben, dass Folter in manchen Fällen "direkt von Maduro" angeordnet worden sei. Explizite schriftliche Beweise für diese Aussage existieren jedoch nicht.

Zu den Foltermethoden des Sebin sowie des DGCIM gehören neben den bereits genannten auch Vergewaltigungen, Schläge mit Gegenständen wie Tischen oder Baseballschlägern, das Treiben von Stecknadeln unter die Fingernägeln von Häftlingen sowie die Androhung der Verhaftung oder Vergewaltigung weiterer Familienmitglieder der Festgehaltenen.

Wenig überraschend sind auch die Haftbedingungen: Der Bericht erwähnt Zellen, in die kaum Tageslicht dringt; nur ein erlaubter Toilettengang pro Tag – oder das Verrichten des Stuhlgangs in Plastikbeutel.

In den meisten Fällen werden die willkürlichen Verhaftungen mit anschließender Folter in der Hauptstadt Caracas im Gebäude "El Helicoide" durchgeführt. Zudem betreibe der DGCIM im ganzen Land geheime Gefängnisse.

Das futuristisch anmutende Gebäude "El Helicoide" hatte der damalige Diktator Marcos Pérez Jiménez (1952-1958) als Prestigeprojekt bauen lassen. Es war als weltweit erstes "Drive-thru"-Einkaufszentrum geplant, wurde jedoch nie fertiggestellt. Es sollte als Symbol einer reichen und prosperierenden Nation wirken – doch heute werden dort Regime-Gegner gefoltert, Studierende und kritische Geister willkürlich festgehalten. Gerichtsbeschlüsse zur Freilassung Inhaftierter werden mehrheitlich einfach ignoriert.

Der UN-Bericht konstatiert, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela – von den Geheimdiensten verübt – "als Teil einer staatlichen Politik zur Unterdrückung von Regierungsgegnern" ausgeübt wird. Nicolás Maduro sowie weitere hochrangige Regimeanhänger seien direkt involviert, etwa beim "Auswählen von Zielen" für Geheimdienstmitarbeiter, darunter viele politische Gegner.

Ein Klima "fast völliger Straflosigkeit"

Die Vorsitzende der Untersuchungskommission, die Portugiuesin Marta Valiñas, kommentiert den Bericht folgendermaßen:

Unsere Untersuchungen und Analysen zeigen, dass sich der venezolanische Staat bei der Unterdrückung abweichender Meinungen im Land auf die Geheimdienste und ihre Agenten stützt. Dabei werden schwere Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter Folter und sexuelle Gewalt. Diese Praktiken müssen sofort eingestellt werden, und die Verantwortlichen müssen strafrechtlich verfolgt werden.

Kommissionsmitglied Francisco Cox kritisiert scharf, dass besagte Menschenrechtsverletzungen "von höchster Ebene orchestriert" und "in einem Klima fast völliger Straflosigkeit stattgefunden haben". Juristische Konsequenzen wird das Papier nicht nach sich ziehen – allerdings könnte die gesammelte Evidenz eines Tages vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC dienlich sein, um Menschenrechtsvergehen in Venezuela strafrechtlich zu verfolgen.

Abseits der Verbrechen durch Agenten der Nachrichtendienste kritisierte die Untersuchungskommission die Menschenrechtslage in der Goldminenregion Orinoco im südlichen Bundesstaat Bolívar. Die Zone sei stark militarisiert, der illegale Bergbau habe zudem kriminelle Gruppen angezogen – zulasten der vulnerablen indigenen Bevölkerung dort. Auch dort seien Tötungen, Entführungen, Folter und andere menschenverachtende Praktiken keine Seltenheit.

Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen?

Knapp 6,8 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner haben ihre Heimat seit 2015 verlassen. Der beispiellose Exodus überrascht kaum, ist die Politik des südamerikanischen Staates doch in einer Art paralysiertem Zustand. Während Maduro über die Verfassung hinweg regiert, brachte auch der vom Westen als Hoffnungsträger inszenierte, selbsternannte "Interimspräsident" Juan Guaidó keine Wende.

Die Zivilbevölkerung versucht nur noch, über die Runden zu kommen. Auch jegliche Vorhaben wie eine "Beseitigung" des vom Westen nicht anerkannten Präsidenten Nicolás Maduro scheiterten.

Als Guaidó im Februar 2020 im Weißen Haus zu Besuch war, sprach er im Kreise seiner engsten Mitarbeiter mit dem damaligen US-Präsident Donald Trump. Diskutiert wurde damals auch die Tötung Maduros durch das US-Militär, oder zumindest der Durchführung einer solchen Aktion durch venezolanische Streitkräfte nach dem Training durch US-Personal.

Das enthüllte der ehemalige US-Verteidigungsminister Mark Esper in seinem Buch Ein heiliger Schwur. Er war bei den Gesprächen damals anwesend.

Die gescheiterte "Operation Gideon" zum Sturz der Maduro-Regierung im Mai 2020, also nur wenige Monate später, könnte durch die damalige Diskussion inspiriert gewesen sein. Zwei Ex-Mitglieder von US-Spezialeinheiten instruierten knapp 60 venezolanische Migranten aus Kolumbien. Sie sollten Maduro töten oder ihn gefangen nehmen. Die Aktion scheiterte noch auf See und an der Landestelle.

Die politische Isolation Maduros hat jedoch schon schlimmere Zeiten gesehen: Seit Kolumbien mit Gustavo Petro nun den ersten linken Präsidenten in der Geschichte des Landes hat, näheren sich die Nachbarstaaten wieder an. Mit herzlicher Umarmung und Lächeln begrüßte der kolumbianische Botschafter Armando Benedetti kürzlich Nicolás Maduro.

2019 hatte Venezuela die diplomatischen Beziehungen abgebrochen – seitdem herrschte Eiszeit. Doch die USA, die 2018 ihre Beziehungen zu Venezuela beendeten, ließen das diplomatische Eis seit dem Ukraine-Krieg wieder auftauen – ein vorhersehbarer Opportunismus der USA; auch wenn die ARD den Besuch einer hochrangigen US-Delegation im März damals als "überraschend" bezeichnete.

Mit dem akuten Bedarf nach Öl ist Maduro auf einmal wieder eine nützliche Spielfigur geworden; die USA lockerten die Sanktionen gegen Venezuela.

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