US-Angriffe in Afghanistan und Syrien: Tod, Straffreiheit und Hirngespinste
Auslöschung einer Familie in Kabul bleibt ungesühnt. Bombardierung von Staudamm in Syrien durch US-Kommando enthüllt
Im Schatten der Krise zwischen der Nato und Russland geraten die laufenden Militäreinsätze der USA leicht aus dem Blickfeld. So fanden zwei Nachrichten über das Vorgehen der westlichen Führungsmacht kaum Verbreitung in deutschsprachigen Medien: Zum einen bleiben US-Militärs nach einem tödlichen Drohnenangriff auf eine Familie in Kabul vergangenen August straffrei. Zum anderen berichtet die New York Times, dass ein Angriff auf einen Staudamm in Syrien vor fast fünf Jahren wohl doch auf das Konto der US-Armee geht.
Afghanistan: Tote Kinder als Bedrohung durch IS ausgeben
Ende August war bei einem US-Drohnenangriff eine zehnköpfige Familie in Kabul getötet worden. Es handelte sich um einen Vergeltungsschlag der US-Armee nach einem Selbstmordattentat am Internationalen Flughafen der afghanischen Hauptstadt, auf dem durch den fluchtartigen Rückzug der US-Kräfte Chaos herrschte. Bei dem Terroranschlag am 26. August 2021 waren auch US-Militärs getötet worden.
Der folgende Drohnenangriff am 29. August kostete Zemari Ahmadi sein Leben (US-Centcom: Schäbige, mörderische Geheimdienstarbeit). Getötet wurden neben ihm neun weitere Familienmitglieder, darunter sieben Kinder.
Ahmadi war bei einer in Kalifornien ansässigen humanitären Organisation beschäftigt und hatte ein Visum für die USA beantragt, ebenso wie sein Neffe Nasser, der beim Angriff starb.
Nasser hatte, wie der US-Aktivist Brian Terrell in Telepolis schrieb, mit US-Spezialkräften in der afghanischen Stadt Herat gearbeitet und war zudem als Wachmann für das dortige US-Konsulat tätig gewesen.
"Was auch immer die überlebenden Mitglieder von Ahmadis Familie und Freunde mit den USA verband, löste sich an diesem Tag in Rauch auf", so Terrell.
Die Verantwortlichen für das mutmaßliche Kriegsverbrechen müssen in den USA jedoch keine Konsequenzen fürchten: Das Pentagon bestätigte Mitte Dezember, dass keine US-Militärs für den tödlichen Drohnenangriff bestraft werden. Pentagon-Sprecher John Kirby führte dazu aus:
Was wir hier gesehen haben, waren Fehler in Prozess und Ausführung des Einsatzes, nicht das Ergebnis von Fahrlässigkeit, nicht das Ergebnis von Fehlverhalten, nicht das Ergebnis schlechter Führung.
John Kirby
Das Pentagon hatte zunächst behauptet, durch den Angriff sei eine unmittelbare Bedrohung durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" abgewendet wurden. Das US-Verteidigungsministerium verbreitete darüber hinaus weitere Fake News, bevor es den Fehler eingestand und den Familien Entschädigungszahlungen anbot.
Syrien: US-Bunkerbombe gegen Staudamm
Auch im Kontext von Militäreinsätzen in Syrien scheint das US-Militär die Unwahrheit gesagt zu haben. Dabei geht es um einen Angriff auf den Tabqa-Staudamm Anfang 2017, der zu diesem Zeitpunkt vom "Islamischen Staat" kontrolliert wurde.
Am 26. März 2017 erschütterten den Damm heftige Explosionen. "Zeugen sagten aus, dass eine Bombe fünf Etagen durchgeschlagen hat. Ein Feuer breitete sich aus, und wichtige Maschinen versagten", schreibt die New York Times. Der Euphrat konnte nicht mehr abfließen und das Wasser im Stausee begann zu steigen. Lokale Behördenvertreter warnten die Menschen flussabwärts vor einer möglichen Katastrophe.
Der "Islamische Staat", die syrische Regierung und Russland gaben den USA die Schuld an dem Angriff. Damals stand der Damm auf einer "Nichtangriffsliste" des US-Militärs, auf der geschützte zivile Stätten aufgeführt waren.
Der damalige Kommandant der US-Kräfte in Syrien, General Stephen J. Townsend, wies alle Anschuldigungen zurück. Die Vorwürfe gegen die US-Armee und die von ihm befehligten Truppen seien nichts als "Hirngespinste".
In der New York Times hört sich das nun anders an:
Tatsächlich hatten Mitglieder einer streng geheimen US-Spezialeinheit namens Task Force 9 den Damm mit einigen der größten konventionellen Bomben aus dem US-Arsenal angegriffen, darunter mindestens eine BLU-109 Bunkerbombe, die für die Zerstörung dicker Betonstrukturen ausgelegt ist, wie zwei ehemalige hochrangige Beamte berichten. Und das trotz eines Militärberichts, in dem davor gewarnt wurde, den Damm zu bombardieren, weil die Schäden eine Überschwemmung verursachen könnten, die Zehntausende von Zivilisten töten könnte.
Beide Fälle belegen die alte Erkenntnis, nach der die Wahrheit dem Krieg zuerst zum Opfer fällt. Angesichts der Geschehnisse in Osteuropa – der Mobilisierung russischer Truppen an die Grenze zur Ukraine, der Entsendung weiterer Nato-Kräfte in die Region und Berichten von angeblichen Geheimdiensterkenntnissen über düstere Pläne der jeweiligen Gegenseite – sollte man das im Hinterkopf behalten.