US-Ausschuss will zeigen: Trump hat zum Staatsstreich aufgerufen (Update)

Der Untersuchungsausschuss zum Sturm aufs US-Kapitol will zeigen, dass es sich dabei um einen versuchten Staatscoup gehandelt hat, initiiert von Trump. Neue Anklagen gegen Proud-Boys-Anführer und Dokumente aus dem Trump-Zirkel unterstreichen das.

Der Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das US-Kapitol ist gestartet. Er will zeigen, dass der Angriff eine geplante Intrige gewesen ist. Trump könnte Anklage drohen

Polizist:innen schildern fassungslos, was vor fast eineinhalb Jahren auf dem Kapitol geschehen ist. Die Szene habe einem „Kriegsschauplatz“ geglichen. Es sei ein „Gemetzel“ gewesen. Eine Polizistin schildert, wie sie auf dem „Blut der Leute“ ausrutschte.

Der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson macht von Beginn an klar, worum es bei den Anhörungen zu den Ereignissen am 6. Januar 2021 gehen wird. Der gewaltsame Sturm auf das Kapitol, um die Einsetzung des neu gewählten Präsidenten Joe Biden von den Demokraten zu verhindern, sei kein Zufall gewesen, kein spontaner Gewaltausbruch. Vielmehr seien rechtsradikale Gruppen wie die Proud Boys und Trump-Anhänger:innen dem Aufruf des abgewählten US-Präsidenten gefolgt:

Der 6. Januar war der Höhepunkt eines versuchten Staatsstreichs. Ein schamloser Versuch, die Regierung zu stürzen, wie ein Randalierer es später nannte. Die Gewalt war kein Zufall. Es war Trumps letzter, verzweifelter Versuch, die Machtübergabe zu stoppen.

Im Ausschuss wurde noch einmal klargestellt, dass die Wahl Joe Bidens nicht gefälscht worden, sondern rechtmäßig gewesen sei. Trump habe hingegen immer wieder von einer „gestohlenen Wahl“ gesprochen und das Feuer damit angefacht, obwohl sein Justizminister William Barr ihm sagte, dass das „Quatsch“ sei.

Die Abgeordnete Liz Cheney, eine von nur zwei Republikaner:innen im Ausschuss und Tochter des früheren US-Vizepräsidenten Dick Cheney, gibt eine Aussage aus den insgesamt 1000 Zeugenbefragungen wieder. Trump habe im Weißen Haus sitzend danach offensichtlich während des Sturms kein Problem mit der Gewalt gehabt, die er im Fernsehen verfolgte:

Und im Wissen um die Schlachtrufe der Aufrührer, Vizepräsident Mike Pence zu hängen, antwortete der Präsident, vielleicht haben unsere Unterstützer den richtigen Gedanken. Mike Pence „hat es verdient“.

Der Ausschuss möchte nun nachweisen, dass es zwischen Trump, Mitgliedern der Republikaner und den rechtextremistischen Gruppen eine Verbindung gegeben hat. Wenn Indizien und Zeugenaussagen das erhärten, könnte das US-Justizministerium gezwungen sein, Anklage gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump wegen Teilnahme an einem versuchten Putsch zu erheben.

Live-Stream der Anhörung im US-Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol.

Wegen der Beteiligung am Sturm auf das Kapitol ist kurz vor Beginn der Anhörung ein Kandidat für das Amt des Gouverneurs im US-Bundesstaat Michigan vorübergehend festgenommen worden. Dem Republikaner Ryan Kelley wird u.a. Gewaltanwendung vorgeworfen.

Anklage gegen Proud-Boys, Trump-Zirkel gerät ins Visier

Auch Anklagen gegen einige radikale Aufrührer, die den Sturm mutmaßlich koordinierten, laufen bereits. Zum Beispiel gegen Henry "Enrique" Tarri. Er war lange Zeit Chef der rechtradikalen Vereinigung der sogenannten "Proud Boys". Nun wird er neben vier hochrangigen Gruppenführern der Organisation wegen "verschwörerischen Umsturz" angeklagt. Damit wird die Anklage des Justizministeriums verschärft. Es ging bisher um organisierten Komplott zum Widerstand gegen das Ergebnis der letzten Präsidentschaftswahl.

Der Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2020 komme damit, so die Nachrichtenagentur Bloomberg, einem "mutmaßlichen Angriff auf das Land" gleich. Die konkrete Planung, die Regierung zu stürzen, kann mit bis zu 20 Jahren geahndet werden. Es ist bislang die schwerwiegendste Anklage im Zuge der gewaltsamen Ereignisse auf dem Kapitol.

Der 38-jährige Tarrio war selbst nicht in Washington D.C. am Tag des gewaltsamen Übergriffs. Ihm wurde der Zutritt zur Stadt verboten, weil er zuvor eine Fahne von Black Lives Matter aus einer Kirche gestohlen und verbrannt hatte.

Er koordinierte aber die Ereignisse vom nahe gelegenen Baltimore, als Mitglieder der Proud Boys die Polizeiketten überliefen und gewaltsam in die Gebäude eindrangen. Ein weiterer Angeklagter, Dominic Pezzola aus Rochester im Bundesstaat New York, brach mit einem entwendeten Polizeischild durch das erste Fenster des Kapitalgebäudes.

Bei dem Ansturm starben 5 Menschen. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, darunter 140 Polizist:innen.

Die Proud Boys haben größere Bekanntheit erlangt, weil der ehemalige US-Präsident Donald Trump ihnen in einer Fersehdebatte während des Wahlkampfs gegen den Demokraten Joe Biden zurief: "Proud Boys – haltet euch zurück und haltet euch bereit!"

Nach einer aufhetzenden Rede des abgewählten Präsidenten Trump erstürmten seine Anhänger schließlich den Sitz des Kongresses in Washington D.C., um den Wahlsieg von Trumps Herausforderers Biden zu verhindern.

Die jetzigen Anklagen sind zwar die schwerwiegendsten, aber nicht die ersten rund um den Angriff auf das Kapitol. Es laufen bereits eine ganze Reihe von juristischen Verfahren nicht nur gegen Mitglieder der Proud Boys, sondern auch der rechtsextremen Miliz "Oath Keepers", die mit den Proud Boys beim Ansturm kooperiert haben sollen. Bisher sind 725 Verdächtige festgenommen und angeklagt worden.

Die Washington Post verweist darauf, dass die jetzigen Anklagen einen umfassenderen Blick auf die Ereignisse richten.

Die Anklagen zeigen, dass die Staatsanwälte ein breiteres Bild der Organisation innerhalb extremistischer Gruppen zeichnen, die sich überschneidende, wenn auch nicht gemeinsame Ziele verfolgen. Die Ermittlungen haben Hinweise auf die Koordination zwischen den Gruppen ans Licht gebracht, während das FBI und das Justizministerium ihre Ermittlungen im politischen Umfeld des ehemaligen Präsidenten Donald Trump ausweiten. Es wird erwartet, dass der Sonderausschuss des Repräsentantenhauses, der den Anschlag vom 6. Januar untersucht, in öffentlichen Anhörungen, die am Donnerstag beginnen, ein Schlaglicht auf solche Verbindungen werfen wird.

Dieser Untersuchungsausschuss – modelliert nach dem des Watergate-Skandals, der den damaligen Präsidenten Richard Nixon zu Fall brachte –, soll ab Mitte dieser Woche den versuchten Staatscoup und die Gefährdung der Demokratie in den Vereinigten Staaten wieder stärker in den Fokus bringen. Die Aufarbeitung des versuchten Staatscoups ist vor allem durch den russische Angriff auf die Ukraine in den letzten Monaten fast vollkommen aus der politischen Debatte in den USA verschwunden.

Die Vize-Vorsitzende des Ausschusses Liz Cheney sagte auf CBS News:

Die Bedrohung – es ist eine anhaltende Bedrohung. Wir befinden uns in einer Situation, in der der ehemalige Präsident Trump keine Reue über das Geschehene ausgedrückt hat. Wir befinden uns sogar in einer Situation, in der er eine noch extremere Sprache verwendet, als die Sprache, die den Angriff verursachte. Die Menschen müssen also aufmerksam sein. Die Menschen müssen aufpassen, und sie müssen verstehen, wie leicht unser demokratisches System zusammenbrechen kann, wenn wir es nicht verteidigen.

Trump-Zirkel wollte Firmen anheuern, um Wahlurnen gewaltsam zu beschlagnahmen

Der Journalist Will Bunch von der Tageszeitung Philadelphia Inquirer, der die Aufarbeitung der "Stop-The-Steal"-Proteste vom 6. Januar von Beginn an eng verfolgt hat, sieht in dem Untersuchungsausschuss nun die Chance, öffentlichen Druck aufzubauen, damit dass Justizministerium auch den inneren Zirkel Trumps ins Visier nimmt.

Öffentlichkeit sei notwendig. Denn Sender wie Fox News würden den versuchten Staatscoup orchestriert vom Trump selbst und die anhaltende Bedrohung demokratischer Institutionen in den USA vollständig ausblenden. Bunch sagte der unabhängigen Nachrichtensendung Democracy Now:

Ziel des Ausschusses des Repräsentantenhauses ist es – und das ist ein sehr wichtiges Ziel –, den Menschen die Ernsthaftigkeit der Geschehnisse vom 6. Januar vor Augen zu führen, dass es einen versuchten Staatsstreich in den Vereinigten Staaten von Amerika gab, der vom amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten inszeniert wurde, einen Staatsstreich, um sich selbst an der Macht zu halten und die friedliche Übergabe der Macht an die Regierung Biden zu vereiteln.

Interview mit dem Journalisten Will Buch vom Phliladelphia Inquirer zu den neuen Enthüllung in Bezug auf den versuchten Staatscoup vom 6. Januar 2020 auf dem US-Programm Democracy Now.

Wie sehr der Virus politischer Selbstermächtigung ins politische System der USA eingedrungen ist, lässt sich auch daran ablesen, dass selbst der republikanische Senator vom Bundesstaat Pennsylvania Dough Mastriano an dem Protest "Stop-The-Steal" teilnahm.

Mastriano organisierte Busse zum "Stop-The-Steal"-Marsch. Später ist er dem Rechtsteam Donald Trumps beigetreten, das die Wahl von 2020 als unrechtmäßig anficht. Nun ist er zum neuen Gouverneur von Pennsylvania gewählt worden. Mastriano wird damit auch Einfluss nehmen können auf die Midterm-Wahlen im November in Pennsylvania –, zum Beispiel durch Methoden, die Wähler:innen vom Wahlgang abhalten.

Während dessen kommen immer neue Einzelheiten ans Tageslicht, die die erschreckende Dimension des versuchten Staatscoups vor Augen führen. So legt ein Bericht der New York Times Details offen, die zum Aufstand vom 6. Januar 2021 führten.

Einen Tag vor dem Sturm aufs Kapitol warnte danach der Bürochef des Vize-Präsidenten Mike Pence den US-Geheimdienst, dass sich Präsident Donald Trump öffentlich gegen Pence richten werde, da dieser sich weigere, das Wahlergebnis zu überstimmen. Während der Erstürmung des Kapitols wurde immer wieder gerufen: "Hang Mike Pence", "Hängt Mike Pence".

Nach Informationen der Los Angeles Times sollen Verbündete des Ex-Präsidenten Trump zudem versucht haben, in den Wochen vor der 2020-Präsidentschaftswahl bewaffnete Privatmilizen anzuheuern, um damit Wahlurnen zu beschlagnahmen. Ein Bevollmächtigungsschreiben aus dem inneren Zirkel Trumps, das der L.A.Times vorliegt, wurde an drei Personen geschickt, die schon bei früheren, gescheiterten Versuchen Trumps beteiligt waren, einen Wahlbetrug nachzuweisen.

Es sollten konkret drei Firmen, zwei davon involviert in Wahlaufsicht, aufgefordert werden, bewaffnete Arbeiter:innen bereitstellen, um Wahlmaschinen unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch das Militär sollte angesprochen werden, sich daran zu beteiligen.

Die Bevollmächtigung impliziere, dass derjenige, der sie verfasst hat, die Beschlagnahmung als eine Art "kriegerisches Ereignis ansieht", sagt Christopher Krebs gegenüber der Times. Krebs ist der ehemalige Direktor der US-Behörde für Cybersicherheit und Infrastruktursicherheit, den Trump feuerte, weil er bestätigte, dass die Wahl ordnungsgemäß verlaufen sei.

Trump unterschrieb letztlich das Schreiben nicht. Dennoch bezeichnet Krebs die Existenz des Briefes, aus dem hervorgeht, wie die Verbündeten des ehemaligen Präsidenten bei ihren Bemühungen, den demokratischen Prozess zu umgehen, vorgegangen sind, als "gruselig".

Für Aimee Allison, Gründerin der pro-demokratischen Gruppe She the People, ist das Schreiben ein neuer Beweis dafür, dass der Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar, als die Gesetzgeber die Wahlergebnisse für 2020 bestätigten, "ein gescheiterter Putsch" war.

Das Dokument könnte als bisher noch unbekanntes in die Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses eingehen. Ab Donnerstag beginnen die öffentlichen Anhörungen im US-Kongress.