US-Krankenversicherer: Covid-Schonfrist für Klienten beendet
Amerikas Versicherer wollen trotz der anhaltender Pandemie wieder mehr Geld. Covid sei dank der Impfung "eine großteils vermeidbare Krankheit"
Die Delta-Covid-Variante in den USA zwingt mehr und mehr Menschen zu Krankenhausaufenthalten, - am 27. August waren es bereits über 100.000, die höchste Anzahl in acht Monaten. Gleichzeitig erklären die US-Krankenversicherer die Schonfrist für beendet und fordern von nun an wieder die vertraglich festgelegten Selbstbeteiligungen von ihren Klienten.
Auch wenn es das eine um das andere Mal so anmutete, saßen die Einwohner der USA während der Pandemie zu keiner Zeit im gleichen Boot, da können Hollywood Stars so viel und sooft "Imagine" singen, wie sie wollen.
Während jeder Krise, ob nun die Menschen gemachte Finanzkrise oder die Covid-Pandemie, scheint vorrangig die Wirtschaft zu leiden, beziehungsweise die Politik zu beunruhigen. Früher oder später erholt sie sich aber und mit der Erholung schwingen sich die Superreichen in neue Höhen auf, unterdessen die Allgemeinheit die Kosten trägt.
"Wer zahlt für die Krise?"
Kapitalismus ist niemals "fair". Besonders während Krisen drängt sich die so oft beschworene und nie ernsthaft bekämpfte soziale Ungleichheit geradezu auf, zeigt sich in ihren Extremen. Daher stellt sich auch vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie die Frage: "Wer zahlt für die Krise?"
Wenn durch die Pandemie verstärkte soziale Ungleichheit auf ein seit jeher zutiefst unsoziales Gesundheitssystem trifft, mutet dies wie ein Rezept für eine Katastrophe an, - zumindest für eben jene in den USA, die sich im Grunde keinen Krankenhausaufenthalt leisten können.
Eigenbeteiligungen
Grund dafür sind nicht nur kostspielige Beiträge, sondern die hohen Eigenbeteiligungen, die anders als in Deutschland, auch im Fall der Notfallmedizin zu entrichten sind. So kann es schon mal je nach Versicherungsplan vorkommen, dass der Klient trotz bezahlter Beiträge, ca. 8.550 Dollar, ja eine Familie gar 17.000 Dollar, die Krankenhauskosten tragen, bevor die Versicherung irgendetwas bezahlen muss.
Über den Verlauf des gesamten Jahres 2020 haben viele Krankenversicherungen und einige selbständig versichernde Arbeitgeber angesichts der Pandemie auf die ihnen vertraglich zustehenden Selbstbeteiligungen für medizinische Behandlung und vor allem Krankenhausaufenthalte verzichtet. Diese Schonfrist scheint nun zu enden.
Ob nun aus Menschenliebe, zu PR-Zwecken oder aus Angst, am Ende von der Bundesregierung auf unbestimmte Zeit zur Übernahme der Kosten gezwungen zu werden, für lange Zeit haben Versicherungskonzerne mehr Kosten getragen, als sie per Gesetz mussten.
Historische Profite
Es ist wohl nicht allzu zynisch davon auszugehen, dass diese ihren "shareholdern" verpflichteten Firmen nicht sehr unter ihrer "Freigiebigkeit" gelitten haben. Letztes Jahr konnte die Gesundheitsversicherungsindustrie historische Profite verbuchen, teilweise verdoppelten sich diese sogar im Vergleich zum Vorjahr.
Der Grund: Die Menschen waren zwar während der Pandemie noch in der Lage, ihre Krankenkassenbeiträge zu bezahlen, hatten aber pandemiebedingt Angst, Ärzte aufzusuchen oder sich anderweitig in Behandlung zu begeben.
Angesichts solcher Summen war es ratsam für die Riesen der Gesundheitsversicherungsindustrie, nicht ausschließlich als Krisengewinnler dastehen zu wollen. Wenn auch nie mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen gewesen wäre - Versicherungen scheinen ähnlich immun wie Banken -, gab es zumindest eine Untersuchungskommission des US- Kongresses, beziehungsweise des "Energy and Commerce Committee", um die Verwendung solch horrender Gewinne zu untersuchen.
Das Ende der Kostenverzichtsprogramme
Nun, da die unglaublichen Gewinne vom letzten Jahr abflauen, und trotz steigender Zahlen die Pandemie als beendet gilt, scheinen die Skrupel wieder zu schwinden. So entschieden sich drei Viertel der größten Krankenversicherungen, ihre Kostenverzichtsprogramme bis Ende August zu beenden, und 22 Prozent mehr werden ihnen voraussichtlich bis Ende des Jahres darin folgen.
Die Beendigung der finanziellen Hilfestellung durch Versicherer kommt zu einem Zeitpunkt, an dem viele ihrer Klienten bereits finanziell angeschlagen sind. Laut einer Umfrage, die zwischen März und Juni dieses Jahres durchgeführt wurde, haben 36 Prozent der befragten Erwachsenen ein Problem ihre Arztrechnungen, beziehungsweise die daraus entstandenen Schulden zu bezahlen.
Menschen, die an Covid erkrankt waren, waren eher verschuldet, bzw. mit Beitragszahlungen oder Arztrechnungen im Rückstand, ganz zu schweigen von denen, die Ihre Arbeitsstelle und damit eventuell auch ihre Krankenversicherung verloren hatten.
Zur Impfung bewegen
Um trotz dieser Umstände die Aussetzungen der Selbstbeteiligungen zu rechtfertigen, umschreiben Versicherer die Beendigungen der Verzichtserklärungen als eine Art Maßnahme, Menschen zur Impfung zu bewegen, denn "aufgrund der weiten Verfügbarkeit von Impfmitteln sei Covid nun großteils eine vermeidbare Erkrankung".
Es nimmt sich schon sehr unverschämt aus, wenn die Firmen, die das letzte Jahr eindeutig von der Pandemie profitierten, nun beim Profiteinbruch zum Vorjahr, sofort damit beginnen, die Kosten auf ihre Klienten abzuwälzen.
Doch ist dies kein Fehler im System, sondern Teil einer kapitalistischen Logik, nach welcher Krisen, ob nun menschengemacht oder nicht, immer als Instrument der Umverteilung von unten nach oben wirken, also als Mittel der Akkumulation. Im Grunde reagiert die Versicherungsindustrie nur auf den Markt und seine Gesetze.
Börsenkurse brachen ein
Dieser hat die astronomischen Umsätze des letzten Jahres schon wieder vergessen. Und nachdem einige Versicherer ihre verhältnismäßig geringeren Quartalszahlen bekannt geben mussten, und sich eine Firma(CVS) auch noch erdreistete, seine Angestellten etwas fairer zu bezahlen (15 US-Dollar die Stunde), brechen die Kurse an der Börse ein, und die Branche reagiert, indem sie die entstandene finanzielle Bürde an ihre Klienten weiterreicht.
Dabei tun sie nichts, was nicht von ihnen erwartet werden könnte, denn verpflichtet sind sie als öffentlich an der Börse gehandelte Firmen auch, oder vor allem, ihren Teilhaberinnen. Doch zeigt gerade dieses Aufeinanderprallen von gegensätzlichem finanziellem und öffentlichem Interesse, dass gewisse Bereiche, darunter auch der Gesundheitssektor, dringend dem Markt entzogen werden müssten, um der allgemeinen Bevölkerung ein Leben in angemessener finanzieller Sicherheit und Gesundheit zu ermöglichen.
Solange es in den USA keine "Universal Healthcare" oder zumindest eine Gesetzliche Krankenversicherung gibt, wird die Antwort auf die Frage "wer zahlt für die Krise?" immer gleich ausfallen.