US-Proteste fordern Ende westlicher Kriegseskalation
In den USA wachsen die Proteste gegen mehr Waffenlieferungen. Auf der Demonstration Rage Against the War Machine zeigen sich zugleich ähnliche Problemlagen wie hierzulande. Wohin steuert die US-Friedensbewegung?
Eine Mehrzahl von Menschen stellt sich diesseits und jenseits des Atlantiks gegen eine Eskalation des Kriegs in der Ukraine durch immer massivere Waffenlieferungen. Das findet auch Ausdruck in Protesten.
Während in Deutschland am vergangenen Wochenende viele tausend Menschen (nach Veranstalterangaben bis zu 50.000) am Brandenburger Tor dem Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gefolgt sind, fanden in den USA bereits am 19. Februar landesweite Demonstrationen für den Frieden und gegen den Krieg statt.
Ungeachtet der dauerhaften Kriegstrommelei in den Medien unterstützen in den Vereinigten Staaten nur noch 40 Prozent der Bevölkerung weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Während US-Präsident Joe Biden Kiew einen Blitzbesuch abstattete, demonstrierte ein breites Bündnis in den USA für einen sofortigen Waffenstillstand und eine diplomatische Initiative der US-Regierung für Friedensverhandlungen mit Russland.
Um die Hauptdemonstration in Washington zu unterstützen, gab es in wenigstens zehn weiteren US-Bundesstaaten und 13 Städten Kundgebungen, unter anderem in Los Angeles, Denver, Minneapolis, Seattle, Austin und San Francisco. Genaue Teilnehmerzahlen wurden nicht bekannt, die Veranstalter selbst gaben sich zufrieden, wenngleich es ein größeres Potenzial zweifelsfrei gegeben hätte.
Das sei nicht erreicht worden, da einige Gruppen, die schon früher erfolgreich Antikriegsdemonstrationen organisiert hatten, die Veranstaltung boykottierten. Nicht, weil sie den Krieg nicht ebenfalls ablehnten, sondern weil ihnen die ideologische Heterogenität zu weit gegangen sei.
Die Demonstrationen in den USA spiegeln also auf ihre Weise hiesige Verhältnisse wider: Die traditionelle Friedensbewegung besteht nur noch aus kleinen Restbeständen, die politische Linke ist zersplittert und nicht wenige ihrer ehemaligen Mitglieder haben sich mittlerweile zu lauthals bekennenden Kriegsbefürwortern gewandelt.
Zudem hat sich infolge der ständigen Eskalation der Regierung und des politischen Establishments in Washington ein recht breit gestreutes gesellschaftliches Bündnis zusammengefunden, das nun erstmals zu landesweiten Protesten aufrief.
Es umfasst vor allem Vertreter der linksgerichteten People’s Party einerseits und der Libertarian Party andererseits. Es finden sich darunter aber auch Organisatoren der seit dem Bosnienkrieg von 1995 existierenden Antikriegsplattform Antiwar, Aktivisten aus der Bernie-Sanders-Kampagne von 2020, prominente Politiker aus der Grünen Partei der USA, die ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard, Journalisten wie Chris Hedges oder John Pilger sowie der Ex-Pink-Floyd-Frontmann Roger Waters, der sich per Video-Botschaft an die Protestierenden in Washington richtete.
Um breiten Konsens herzustellen, hatte man die Hauptforderungen, unter der sich die Proteste versammelten, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergebrochen. Sie lauten: "Nicht einen Penny mehr für den Krieg in der Ukraine!" sowie "Friedensverhandlungen jetzt!"
Eine inhaltliche Verbindung der Friedensfrage mit sozialen oder gar klassenkämpferischen Forderungen wurde offiziell nicht gezogen, einzelne Redner brachten sie aber durchaus zugespitzt auf den Punkt. Pulitzer-Preis-Träger Chris Hedges etwa führte in seiner Rede am Lincoln Memorial unweit des Kapitols aus:
Wir haben einen Staatsstreich von Konzernen und Superreichen erlebt, durch den [die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in den USA] nicht einmal mehr über 400 Dollar zur Deckung von Kosten in Notlagen besitzt. Arbeitslosigkeit und Ernährungsunsicherheit sind weit verbreitet. Unsere Gemeinden und Städte sind verödet. Der Staat kümmert sich eigentlich nur noch um Krieg, Finanzspekulation, ständige Überwachung und eine militarisierte Polizei, die als interne Besatzungsarmee fungiert. Sogar Habeas Corpus [das Recht jedes Einzelnen, die Rechtmäßigkeit einer Verhaftung überprüfen zu lassen] existiert nicht mehr. Wir als Bürger sind zu Waren innerhalb der Machtsysteme von Unternehmen geworden, werden benutzt und weggeworfen. Die endlosen Kriege, die wir in Übersee führen, haben die Kriege hervorgebracht, die wir zu Hause führen.
Von Querfront-Vorwürfen nicht einschüchtern lassen
Mit diesen Ausführungen gab Hedges den grundsätzlichen Ton an, der die Proteste auf den Rednerbühnen dominierte. Russland-Fahnen schwenkende Einzelgänger und Trump-Fans, die sich in der Menge befanden, wurden von den wenigen Mainstreammedien, die überhaupt von den Demonstrationen berichteten, schnell herangezogen, diese als insgesamt verquere Veranstaltung darzustellen.
Ein medialer Umgang, der auch diesseits des Atlantiks durchaus mit Erfolgen angewendet wird, grundsätzliche Unterstützer einer diplomatischen Friedensinitiative an einer Teilnahme der vergangenen Demonstration in Berlin abzuschrecken.
Gleichwohl hatten sich die Veranstalter von Rage Against the War Machine vorab auf den Standpunkt gestellt, dass, um den Gang in einen befürchteten 3. Weltkrieg aufzuhalten, vereinzelter Applaus von der falschen Seite definitiv das kleinere Übel sei. In diesem Zusammenhang wurde wiederholt daran erinnert, dass sowohl die Bürgerrechtsbewegung als auch die Anti-Vietnamkriegsbewegung ebenso von politisch heterogenen Gesellschaftsströmungen ins Leben gerufen wurden.
Ähnliches traf natürlich auch auf die Friedensbewegung der Achtzigerjahre zu, als sich ganz unterschiedliche Strömungen gegen Nato-Doppelbschluss und Raketenaufrüstung zusammenfanden und damit im Wesentlichen die Parteigründung der Grünen überhaupt erst ermöglichten.
Die Aktivisten und Organisatoren sehen sich angesichts der weitverbreiteten Antikriegshaltung bestätigt. Es zeige, wie groß die ideologieübergreifende Besorgnis in der Bevölkerung über den "US-Stellvertreter-Krieg bis zum letzten Ukrainer und den Weg ins nukleare Armageddon, auf dem wir uns jetzt befinden" sei. Immer wieder wurde die kriegstreibende Rolle der US-Regierung betont, der einzigen Regierung, auf die man als US-Staatsbürger direkt Einfluss nehmen könnte.
Mittlerweile trauen sich auch Aktivisten der auf den Irakkrieg zurückgehenden Antikriegsbündnisse vermehrt aus der Deckung und kritisieren die "Kontaktschuld"-Haltung ihrer ehemaligen Mitstreiter und ihrer eigenen Organisationen. Vielmehr sollte man sich doch darum bemühen, diese neu entstehende Friedensbewegung mitzugestalten.
In diesem Sinne äußerte sich etwa Medea Benjamin von der feministischen Antikriegsorganisation Code Pink in einer Diskussionsrunde der Nachrichtensendung Democracy Now.
Mit Spannung erwartet werden kann in diesem Sinne auch die nächste große Demonstration in Washington D.C., welche von der Organisation Act Now to Stop War and End Racism (Answer) organisiert wird. Answer wurde als Dachorganisation unter den Eindrücken der US-Erklärung eines zeitlich unbegrenzten "Kriegs gegen den Terror" nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegründet und knüpft an die Traditionen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung sowie der antikolonialen Befreiungskämpfe in den USA an.
Unter den Vorzeichen des US-Angriffskriegs auf den Irak waren den Demonstrationsaufrufen damals Millionen gefolgt. Die sich gegen die Kriegseskalation in der Ukraine richtende Demonstration soll bereits am 18. März stattfinden.