US-Raketenabwehr mit Japan, Südkorea: Beginn einer asiatischen Nato gegen China?

Jeffrey Wagner, Dai-Han Song

US-Präsident Joe Biden mit dem japanischen Premierminister Fumio Kishida und dem Präsidenten der Republik Südkorea Yoon Suk Yeol beim trilateralen Treffen am 18. August 2023 in Camp David. Bild: Erin Scott, White House

Ein trilaterales Abkommen legt Grundstein für "Natofizierung" Asiens. Washington will vor allem China abschrecken. Warum das brandgefährlich ist. Gastbeitrag.

Die Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea werden "bis Ende Dezember" ein Raketenwarnsystem vollständig in Betrieb nehmen. Das wird zwar als Mittel zur Bekämpfung der nordkoreanischen Raketenstarts gerechtfertigt, aber besorgniserregender ist, dass es die Spannungen in der Region mit China durch die "Natofizierung" aller drei Länder, die in der Vereinbarung "Spirit of Camp David" vereinbart wurde, verschärft.

Das Abkommen wurde auf der Pressekonferenz am 18. August im Anschluss an ein Treffen der Staatsoberhäupter aller drei Länder als "neue Ära der trilateralen Partnerschaft" gepriesen. Westliche Medien schlossen sich dieser Einschätzung an und bezeichneten das Abkommen als "historisch" und "beispiellos".

China, das in der Vereinbarung als regionales Problem genannt wird, warf den Vereinigten Staaten vor, eine "Mini-Nato in Asien" zu schaffen. Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, erklärte daraufhin mit Nachdruck, das trilaterale Bündnis sei "nichts Neues" und ganz sicher "keine neue Nato für den Pazifik".

Doch trotz dieser Abwiegelung legt das Treffen zwischen den USA und ihren stärksten Verbündeten in der Region den Grundstein für eine militärische Zusammenarbeit auf Nato-Niveau – eine gemeinsame Bedrohung, Interoperabilität und Sicherheitskoordination –, die China gefährdet und die Spannungen in der Region verschärft.

Kollektive Interessen und Sicherheit

Während die Vereinigten Staaten mit Südkorea und Japan bereits seit Jahrzehnten bilaterale Abkommen im Rahmen des San-Francisco-Systems geschlossen haben, wurde auf dem Treffen in Camp David am 18. August die trilaterale Zusammenarbeit zwischen den drei Staaten institutionalisiert.

Dadurch haben sich Umfang und Art ihrer Beziehungen geändert, von bilateralen Bündnissen im Sinn von "Nabe-und-Speiche" zu jährlichen trilateralen Gipfeltreffen (zu Themen Finanzen, Handel, Industrie, Außenpolitik und Verteidigung) sowie gemeinsamen Militärübungen.

Wie Victor Cha vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) feststellt: "Diese [beispiellose] Institutionalisierung der trilateralen Beziehungen ... verwandelt diese Allianzen in etwas ganz Neues." Es ist ein historischer Durchbruch für die Vereinigten Staaten, die in den 1950er-Jahren erstmals ein Bündnis auf Nato-Ebene zentriert um Japan anstrebten.

Aufgrund der ungelösten Probleme im Zusammenhang mit Japans Kolonialismus (provoziert durch die Entscheidung der USA, eigenen Sicherheitsinteressen Vorrang vor der Aufarbeitung der japanischen Kriegsverbrechen und des Kolonialismus einzuräumen) und der unterschiedlichen Sicherheitsinteressen von Südkorea und Japan waren die Vereinigten Staaten jedoch gezwungen, sich mit bilateralen Abkommen mit den von ihnen installierten und gestützten Regierungen zufriedenzugeben.

Nichtsdestotrotz versetzte die "militärische Vormachtstellung der USA im Pazifik Washington in die günstige Lage, kein kollektives Sicherheitsabkommen zu benötigen", wie die Zeitschrift Foreign Policy anmerkt. Heute, da die USA "ihr Übergewicht an militärischer Macht im maritimen Bereich verloren haben, sehen sich [die USA und ihre Verbündeten] einer Bedrohung gegenüber, die mit der vergleichbar ist, mit der die Nato während des Kalten Krieges in Europa konfrontiert war".

Die Entscheidung der konservativen, US-freundlichen Regierung von Yoon Suk Yeol in Seoul im Jahr 2023, die Beziehungen zu Japan zu normalisieren (und damit ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Südkoreas gegen japanische Unternehmen wegen der Rekrutierung von Koreanern während des Krieges aufzuheben), ebnete den Weg zum Aufbau des trilateralen Bündnisses, das die USA in den letzten 70 Jahren angestrebt hatten.

Das Abkommen von Camp David ist zwar noch keine vollwertige Mini-Nato für Asien, aber die militärische Zusammenarbeit zwischen zwei der engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten in der Region ist ein Schritt in diese Richtung. Das Abkommen enthält den Grundstein für ein trilaterales Bündnis auf Nato-Niveau, das auf gegenseitiger Selbstverteidigung beruht.

Konkret werden Konsultationen und koordinierte Reaktionen gefordert "auf regionale Herausforderungen, Provokationen und Bedrohungen, die unsere gemeinsamen Interessen und unsere Sicherheit betreffen". Wie Kurt M. Campbell, Bidens Architekt der Asienstrategie, erklärt, ist eine "Grundannahme der Erklärung von Camp David", dass "wenn die Sicherheit eines der Länder bedroht werde, die Sicherheit aller Länder betroffen ist".

Integrierte Abschreckung

Eine der Stärken der Nato, die den Machtstatus der Vereinigten Staaten in der Region verbessert und ausweitet, besteht in den Synergieeffekten, die durch eine größere Interoperabilität – d.h. die Fähigkeit, taktische, operative und strategische Ziele wirksam zu erreichen – zwischen den Mitgliedsstaaten erzielt werden. All das wird durch das trilaterale Abkommen über Sicherheitskooperation umgesetzt und verfolgt.

Das Abkommen legt den Grundstein für die trilaterale Interoperabilität, um eine "integrierte Abschreckung" gegen China zu erreichen. Diese integrierte Abschreckung ist der Schlüssel für die Eindämmung Chinas durch die USA.

Sie ermöglicht es den Vereinigten Staaten, Provokationen durchzuführen (z. B. den Besuch der ehemaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im August 2022 beim taiwanesischen Präsidenten) und gleichzeitig die Reaktionsmöglichkeiten Chinas zu begrenzen.

Eine Schlüsselkomponente der integrierten Abschreckung ist die gemeinsame militärische Zusammenarbeit und Koordinierung durch ein gemeinsames Einsatzkonzept. Mit anderen Worten: Alle Parteien müssen dasselbe operative Verständnis vor Augen haben, auf dessen Grundlage sie ihre operativen Entscheidungen treffen.

Die jüngste Normalisierung im Abkommen über die Allgemeine Sicherheit Militärischer Informationen (General Security of Military Information Agreement, GSOMIA) durch die Regierung Yoon bietet hierfür die Grundlage. Zuvor wurden im Rahmen des trilateralen Abkommens über den Informationsaustausch von 2014 südkoreanische und japanische Geheimdienstinformationen über die Vereinigten Staaten ausgetauscht und waren auf Bedrohungen aus Nordkorea beschränkt.

Das GSOMIA-Abkommen, das erstmals 2016 unterzeichnet und von Yoon wieder in Kraft gesetzt wurde (nachdem der frühere Präsident Moon es 2019 auslaufen ließ), ermöglicht einen umfassenden Informationsaustausch zwischen Südkorea und Japan, der sich auch auf "Bedrohungen aus China und Russland" erstreckt.

Am 29. August hielten die Vereinigten Staaten, Südkorea und Japan gemeinsame Übungen zur Abwehr ballistischer Raketen ab, um "ein computersimuliertes ballistisches Raketenziel zu erkennen und zu verfolgen und entsprechende Informationen auszutauschen".

Das System soll bis Ende Dezember 2023 voll einsatzbereit sein. Dieses Raketenabwehrsystem, das sich angeblich gegen nordkoreanische Interkontinentalraketen richtet, kann angesichts des Anwendungsbereichs von GSOMIA genauso gut auf China angewendet werden.

In einer Zeit, in der die regionale Macht durch eine "erweiterte Abschreckung" aufrechterhalten wird, die das Ergebnis festlegt, ohne dass auch nur eine Kugel gegen einen Gegner abgefeuert wird, ermöglicht das Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten, ihre Macht in der Region zu demonstrieren, indem es Chinas Fähigkeiten, Zugänge zu Gebieten zu verweigern, außer Kraft setzt.

Ferner könnte das Abkommen Chinas Fähigkeit neutralisieren, auf einen Erstschlag der Vereinigten Staaten zu reagieren. Die Programme der "erweiterten Abschreckung" der USA zur Eindämmung Chinas und die der "erweiterten Abschreckung" Chinas zur Sicherung seines wirtschaftlichen Aufstiegs lassen beiden darum ringen, militärische Vorteile zu erhalten. In der Tat lösen die Operationen der USA eine Reihe von Aktionen und Reaktionen aus, die die Spannungen in der Region eskalieren lassen.

Mitglieder der Biden-Administration preisen das Camp-David-Abkommen als historisch und beispiellos sowie als einen qualitativen Sprung in der militärischen Zusammenarbeit und Koordination zwischen den USA, Japan und Südkorea. Gleichzeitig wehren sie sich dagegen, dass es als Mini-Asien-Nato bezeichnet wird.

Das Abkommen hat zwar noch nicht den Nato-Status erreicht, aber es legt eindeutig den Grundstein für dieses Ziel.

Es hat auch China, Nordkorea und Russland dazu veranlasst, ihre eigene Koordinierung zu verstärken und damit einen gegnerischen Block zu konsolidieren. Letztlich ist der Kampf darum, konkurrierende Konzepte der "erweiterten Abschreckung" durchzusetzen, der Beginn eines Krieges.

Um einen Krieg zu verhindern, müssen wir von militärischem Gehabe und Eskalation zu diplomatischen Lösungen übergehen und die Sicherheitsinteressen aller Länder respektieren.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit der Medienplattform Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Jeffrey Wagner lehrt in Südkorea und ist Mitglied des International Strategy Center.

Dae-Han Song leitet das Netzwerkteam des International Strategy Center und ist Teil des Kollektivs No Cold War.