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USA: Die vertane letzte Chance

Bernie Sanders Auftritt bei der Democratic National Convention; Foto: JefParker, Wikimedia/gemeinfrei

Die Nominierung Hillary Clintons zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist eine politische Katastrophe

Bernie Sanders outete sich beim Nominierungsparteitag der US-Demokraten als ein politischer Masochist. Die Nackenschläge des neoliberalen demokratischen Establishments, das dem verhassten linken Hoffnungsträger reihenweise politische Niederlagen zufügte, schienen kein Ende nehmen zu wollen.

Das Wahlprogramm der Demokraten konnte weitgehend von der rechten Fraktion um Hillary Clinton diktiert werden, während dem linken Flügel nur ein paar kosmetische Zugeständnisse gemacht wurden. Die Wahlplattform der Demokraten sei "ein Sieg für Clinton, nicht für Sanders", tönte gehässig die Washington Post [1], eins der zuverlässigsten Propagandaorgane Clintons.

Offener Affront gegen die linke Parteibasis

Die Nominierung des konservativen Südstaatendemokraten Tim Kaine zum Vizepräsidenten wurde von der progressiven Basis der Demokraten - deren Kandidat nur durch massive Manipulationen der Vorwahlen [2] knapp Clinton unterlag - als ein offener Affront gewertet, als ein gigantisches "Fuck you" des Establishments gegenüber der linken Parteibasis, wie es das Nachrichtenportal Commondreams formulierte [3].

Kurz vor dem Parteitag in Philadelphia belegten die von Wikileaks publizierten Emails des Democratic National Committee (DNC), was bereits seit Monaten offensichtlich [4] war: Das offiziell bei Vorwahlen zur Neutralität verpflichtete oberste Parteigremium betätigte sich faktisch als ein Organ der Wahlkampagne Clintons, indem es alles daran setzte, die Kandidatur von Bernie Sanders zu delegitimieren [5].

Nach diesen Enthüllungen musste die Vorsitzende des DNC, Debbie Wasserman Schultz, tatsächlich ihren Hut nehmen - nur um sofort von der Clinton-Kampagne wieder als "Ehrenvorsitzende" angestellt zu werden [6].

Die Unterstützung Sanders

Und dennoch blieb Bernie Sanders bei seiner Unterstützung für Hillary Clinton, obwohl seine zahlreich bei dem Parteitag anwesende Anhängerschaft bereit war, eine offene Revolte - und einen eventuellen Bruch - zu wagen [7]. Nach der offiziellen Nominierung Clintons hat ein großer Teil der Sanders-Delegierten den Parteitag sogar unter Protest verlassen [8].

Als Sanders in einer rund halbstündigen Rede zur Wahl von Hillary Clinton aufrief, wurde er massiv ausgebuht - von seinen Anhängern [9]. (Eigentlich überflüssig, noch zu erwähnen, dass diese Rebellion auch im deutschen Medienmainstream nicht beachtet wurde, stattdessen lag der Akzent auf Jubel und Einigkeit [10].)

Angesichts dieses Vorgehens des einstmaligen Hoffnungsträgers der amerikanischen Linken scheint eine alte Parole wieder brandaktuell: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" Hat Sanders die sich formierende amerikanische Linke bei irgendwelchen Deals mit dem DNC einfach ausverkauft? Hierfür gibt es aber keine klaren Anhaltspunkte. Dies scheint auch angesichts der dargelegten massiven politischen Niederlagen der Parteilinken und der anhaltenden Provokationen des Establishments gegenüber Sanders eher unwahrscheinlich.

Es gibt hier keine reellen Zugeständnisse der Parteirechten, die es Sanders ermöglichen würde, die Linke hinter Clinton im Wahlkampf gegen Trump zu einen. Im Gegenteil: Der Krieg des Establishments gegen die Linke geht auch auf dem Parteitag weiter. Die prominente linke US-Demokratin Nina Turner, die als eine Nachfolgerin von Sanders gehandelt wurde, musste den Parteitag verlassen, ohne die vorgesehene Parteitagsrede halten zu können [11].

Hier ist ein konkreter Anhaltspunkt für die Strategie zu finden, die Sanders dazu veranlasste, doch noch bei den Demokraten an Bord zu bleiben. Dem demokratischen Sozialisten geht es nicht um seine Person, um seine Präsidentschaft, sondern um eine langfristige sozialdemokratische Transformation der neoliberal deformierten US-Demokraten [12].

Hierbei sollen binnen der nächsten Jahre linke Kräfte bei Kampfkandidaturen sich gegen neoliberale Amtsinhaber durchsetzen [13] um langsam die Ausrichtung der Partei zu verändern und diese zurück auf das sozialdemokratische Gleis zu führen, das die Demokraten unter dem neoliberalen Bill Clinton verließen. Deswegen wollte das Parteiestablishment diesen linken Rebellen - wie etwa Nina Turner - beim Parteitag kein Forum bieten.

Bernie Sanders ist somit aller Wahrscheinlichkeit nach kein "Verräter", sondern eine Art politischer Dinosaurier: ein ehrlicher, linker Sozialdemokrat, der tatsächlich bemüht ist, durch langfristige, reformistische Politik der Realisierung einer klassisch sozialdemokratischen Politik nahezukommen.

Die letzte Option für eine progressive Richtung

Das Problem dabei besteht nur darin, dass er gegen die Zeit verliert. Diese sozialdemokratische Strategie wird ja nicht in einem statischen Gesellschaftszustand realisiert, sondern in einer krisengeschüttelten spätkapitalistischen Gesellschaft. Diese mannigfach sich äußernde kapitalistische Krisendynamik - von der Wirtschafts- bis zur Klimakrise - wird nicht stehen bleiben, sie wird an Intensität gewinnen, stärkere Erschütterungen und Verwerfungen zeitigen, die das gesamte Gesellschaftsgefüge auch in den Zentren des Weltsystems bis ins Mark erschüttern werden.

Sanders stellte eine letzte politische Option dar, den nun voll ausbrechenden systemischen Krisenprozess, der in eine chaotische und brandgefährliche Transformationsphase eintritt, doch noch in eine progressive Richtung zu lenken und den Durchbruch zur Barbarei zu verhindern. Der Vergleich zu Roosevelt, der die USA vor dem Abdriften in den Faschismus während der letzten großen Systemkrise in den 30ern des 20. Jahrhunderts bewahrte, ist hier durchaus angebracht.

Diese Option ist nun den Wählern in den USA verbaut. Sie können zwischen Donald Trump wählen, einem sich zum Faschisten ausformenden Rechtspopulisten, und Hillary Clinton, die wohl als die zentrale Symbolfigur des verhassten Politestablishments und der Oligarchie der USA gilt. Wie wird ein Donald Trump, wie wird eine Hillary Clinton auf die kommenden krisenbedingten Verwerfungen und Umbrüche reagieren, auf Wirtschaftszusammenbrüche, geopolitische Krisen und Klimaumbrüche?

Clinton ist nicht "harmloser" als Trump

Hier ist Clinton gerade nicht "harmloser" als Trump, der die innere Faschisierung der USA forcieren dürfte. Hillary Clinton ist eine knallharte, von den Neocons unterstützte Imperialistin [14], die bereits jetzt breite Unterstützung innerhalb des republikanischen Establishments genießt [15].

Der von Clinton an den Tag gelegte Enthusiasmus [16] für militärische Abenteuer kann angesichts der eskalierenden Krisendynamik zu einer militärischen Katastrophe führen. Hillary Clinton bedeutet Krieg - ein Großkrieg, der als letzte weltzerstörerische Flucht nach vorn vor den zunehmenden inneren Verwerfungen in den Zivilisationsbruch führt. Trump als labiler Präfaschist mit starken isolationistischen Tendenzen könnte für das Establishment hingegen schwerer zu "managen" sein, wenn es darum geht, Großkriege vom Zaun zu brechen.

Doch selbstverständlich ist er Teil der herrschenden Oligarchie, und selbstverständlich würde er in ein entsprechendes "Team" von Außen- und Geopolitikern "eingebettet", wenn es darum gehen sollte, den Kurs der US-Außenpolitik zu bestimmen. Der Politapparat der USA hat große Erfahrung im Managen von Darstellern im Weißen Haus - siehe Ronald Reagan.

Der Parteitag der Demokraten ist somit eine politische Katastrophe, die alle kommenden Katastrophen mit zusätzlicher Sprengkraft versehen wird. Die Wählerschaft der USA soll zwischen einem "Halbnazi" und einer Imperialistin wählen. Mit dem Ende des Parteitages in Philadelphia verlassen die USA auch einen historischen Scheideweg, an dem der weitere Krisenverlauf bestimmt werden konnte. Auch in den USA wurde der Weg in die Barbarei eingeschlagen.

Hier können Parallelen zu dem reaktionären Schlüsselmoment bei der Krisenverarbeitung in Europa gezogen werden, als das Schäublerische Krisendiktat gegenüber Hellas im Sommer 2015 (vgl. Willkommen in der Postdemokratie [17]) jeglicher progressiven Krisenpolitik in der EU den Weg versperrte - und Nationalismus, Chauvinismus sowie Rechtsextremismus auf dem gesamten Kontinent ungeheuren Auftrieb verschaffte.

Der "barbarische Weg"

Selbst bei geringen Erfolgsaussichten - angesichts der zunehmenden Krisenverwerfungen war es ein strategischer Fehler der Sanders-Kampagne, die Konfrontation mit dem Establishment zu vermeiden und auf eine langfristige, reformistische Strategie zu setzen. Diese Bemühungen werden vom Krisenprozess hinweggespült werden. Die USA werden bei dieser sich nun voll entfaltenden Krise keinen neuen Roosevelt bekommen. Die Wähler haben keine Wahl, sie sollen zwischen einem faschistischen Polizei- und Abschottungsstaat (Trump), oder einem imperialistischen Amoklauf (Clinton) wählen.

Wohin nun der barbarische Weg - sowohl in Europa wie den USA - konkret führt, ist inzwischen ebenfalls überdeutlich: in den molekularen Bürgerkrieg [18], wie er sich in der Inflation von terroristischen Amokläufen ankündigt, die entweder von Islamisten (Orlando) oder Rechtsextremisten (München) verübt werden. Die zunehmenden Verwerfungen des in offensichtliche Agonie übergehenden kapitalistischen Weltsystems werden sich in blinden, massenmörderischen Gewaltausbrüchen äußern, die in einen Großkrieg zu münden drohen - gerade weil der politische Apparat es in den USA wie Europa vermochte, die krisenbedingt zunehmende progressive Opposition zu marginalisieren.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3287720

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.washingtonpost.com/opinions/the-democratic-platform-is-really-a-win-for-ms-clinton-not-mr-sanders/2016/07/16/58f6765e-487e-11e6-acbc-4d4870a079da_story.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Die-gelenkte-Vorwahl-3222085.html
[3] http://www.commondreams.org/views/2016/07/23/clintons-f-you-progressives-how-trump-could-become-president
[4] https://www.heise.de/tp/features/US-Vorwahlen-Geschlossene-Gesellschaft-3191842.html
[5] http://www.nytimes.com/2016/07/23/us/politics/dnc-emails-sanders-clinton.html?
[6] http://commondreams.org/news/2016/07/24/mission-accomplished-dnc-clinton-hires-wasserman-schultz-top-post
[7] http://abcnews.go.com/Politics/dnc-kicks-off-chair-debbie-wasserman-schultz-gavel/story?id=40851427
[8] http://news.nationalpost.com/news/world/hillary-clintons-nomination-breaks-barriers-and-puts-end-to-bitter-primary-battle-with-sanders
[9] http://blogs.wsj.com/washwire/2016/07/25/bernie-sanders-says-elect-hillary-gets-heavily-booed/
[10] http://www.spiegel.de/politik/ausland/barack-obama-hilft-hillary-clinton-im-rausch-a-1105080.html
[11] http://www.motherjones.com/politics/2016/07/nina-turner-sanders-democratic-national-convention
[12] http://edition.cnn.com/2016/06/23/politics/bernie-sanders-democratic-party/
[13] http://www.commondreams.org/news/2016/05/24/sanders-endorses-down-ticket-democrats-running-bold-change
[14] https://theintercept.com/2016/07/25/robert-kagan-and-other-neocons-back-hillary-clinton/
[15] https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/jun/27/hillary-clinton-necono-republican-endorsements-donald-trump-policy-issues
[16] http://www.huffingtonpost.com/bruce-fein/-hillary-clintons-appalli_b_9157892.html
[17] https://www.heise.de/tp/features/Willkommen-in-der-Postdemokratie-3374458.html
[18] https://www.heise.de/tp/features/Fluchtpunkt-Amok-3263142.html