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USA: Keine Chance für die "Progressiven" in der Außenpolitik

Demokratische Abgeordnete forderten in einem Brief das Weiße Haus zu direkten Gesprächen mit Russland auf. Das Schreiben wurde schnell wieder zurückgezogen, weil anderes wichtiger ist als Verhandlungen mit Russland.

Demokratische Abgeordnete verursachten letzte Woche einiges an Aufregung im Repräsentantenhaus und darüber hinaus. Die Gruppe zog am Dienstag einen Brief zurück, in dem sie zuvor das Weiße Haus zu direkten Gesprächen mit Russland aufgefordert hatten.

Der Brief, der unter anderen von der bekannten Gruppe progressiver "Congresswomen", dem sogenannten Squad, unterzeichnet worden war, kam laut der Vorsitzenden des "Congressional Progressive Caucus", Pramila Jayapal, leider im falschen Moment.

Laut der Financial Times äußerte sich die Vorsitzende besorgt [1], dass "aufgrund des Zeitpunkts unsere Botschaft von einigen als gleichbedeutend mit der jüngsten Erklärung des "House Minority Leader" Kevin McCarthy angesehen werden könne".

Fixiert auf den Gegner

Der Abgeordnete der Republikaner aus Kalifornien, Kevin McCarthy, hatte zuvor mit einer Äußerung für Furore gesorgt, dass er ein Ende der bedingungslosen Hilfe für die Ukraine in Betracht ziehe, sollten die Republikaner in den Zwischenwahlen die Macht über das Repräsentantenhaus oder den gesamten Kongress erlangen.

Aufgrund von McCarthys Äußerungen habe man, so von Seite der Demokraten, den Brief jetzt bedauerlicherweise zurückziehen müssen.

Hinter der dramatischen Kehrtwende steht aber wahrscheinlich mehr als die Angst des progressiven Flügels der Demokratischen Partei, mit Konservativen wie McCarthy in einen Topf geworfen zu werden.

McCarthy Erklärung war im Übrigen die folgende: "Die Ukraine ist wichtig, aber gleichzeitig kann es nicht das Einzige sein, was sie tun, und es kann kein Blankocheck sein [2]." (Ukraine-Hilfe: Aufschreckende Signale aus den USA [3])

Bei der Äußerung handelt es sich um ein politisches Manöver McCarthys. Nach Meinung von Parteikollegin Liz Cheney geht es ihm darum, sich dem Lager der Trump-nahen "Isolationisten" zu nähern.

Cheney, ihrer außenpolitischen Haltung nach ganz der Vater, äußerte sich besorgt: Die Bereitschaft des wahrscheinlich zukünftigen Speaker of the House anzudeuten, Amerika stehe nicht mehr für Freiheit, zeige, dass dieser bereit sei, alles für seinen eigenen politischen Vorteil zu opfern.

Eine diplomatische Aufforderung

Mit so jemandem möchte natürlich kein Liberaler auf dem "Hill" in Verbindung gebracht werden. Und das, obwohl der progressive Flügel in dem Brief das Weiße Haus lediglich aufforderte, "alle möglichen Wege" [4] zur Beendigung des Krieges, einschließlich eines direkten Engagements mit Russland, "zu prüfen". Man möchte meinen, an einer solch weitgefassten Aufforderung zur Diplomatie sei nichts auszusetzen.

Jedoch, genau wie McCarthy, waren die progressiven Demokraten sofort massiver Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Der Brief löste schon am Montag eine heftige Gegenreaktion einiger Abgeordneter der Demokraten aus.

"Olivenzweig für einen Kriegsverbrecher"

Der Kongressabgeordnete Jake Auchincloss twitterte, dass dieser Brief ein Olivenzweig für einen Kriegsverbrecher [5] sei, der seinen Krieg verliert. Eine Aussage, die im Grunde die Forderung nach einem Regimewechsel in Russland in sich birgt.

Denn selbst wenn Putin eines Tages einsehen sollte, dass der Ukraine-Krieg ihn zu Hause zu viel Blutzoll und politisches-Kapital kostet, müsste mit ihm verhandelt werden – Kriegsverbrecher hin oder her. Auch zeigt sich hier das ungesunde Maß an Verachtung für die Menschenleben, die durch einen zeitigen Frieden in der Ukraine bewahrt werden könnten.

Im Grunde offenbart sich in diesem Tweet die Einstellung der außenpolitischen Elite Washingtons. Aus deren Sicht ist der Ukraine-Krieg eine hervorragende Gelegenheit, Russland militärisch und wirtschaftlich zu schwächen, zu (fast) jedem Preis.

Kein "Rapprochement" mit China oder Russland

Eine Abweichung von diesem Kurs kann und darf nicht geduldet werden, das gilt eigentlich parteiübergreifend, mit der neuen Entwicklung allerdings, dass es seit Trumps Regentschaft auf der rechten Seite des politischen Spektrums bisweilen "en vogue" scheint, sich als "Isolationist" zu geben, – was auch immer das in einem globalisierten Wirtschaftssystem bedeuten soll. Es könnte allerdings eine Abweichung von dem hyper-interventionistischen Kurs der Neokonservativen bedeuten.

Nicht, dass man sich der Fantasie hingeben sollte, McCarthys Äußerung sei von einer tiefen inneren Überzeugung getrieben, in Zeiten der Inflation nicht weiter Geld in den Rachen des "Military-Industrial-Complex" werfen zu wollen, um es für sozialpolitische Maßnahmen nutzen zu können.

Ganz bestimmt nicht. Aber McCarthy hat allen Grund, sich etwas besser mit den Trumpisten in seinem Lager zu stellen. Und deren Motto "America First" kann im Zweifel auch bedeuten, dass die USA sich das "Empire" im bisherigen Sinne einfach nicht mehr leisten können.

Vor allem nutzt McCarthy aus, dass jede Form des "Rapprochement" mit China oder Russland unter den liberalen US-Eliten zum "bösen Wort" geworden ist. Dabei geht es ihm aber nicht um eine Aufarbeitung der bisherigen US-Außenpolitik.

Politisches Faustpfand

Ab November, wenn Biden und Blinken höchstwahrscheinlich von McCarthys Zustimmung für weitere Waffenlieferungen in die Ukraine abhängig sind, wird der zukünftige "Speaker of the House" ein hervorragendes politisches Faustpfand [6] besitzen. Dieses wird er dann nutzen, um die Gesetzgebung der Demokraten zu beschneiden oder gleich eine konservative durchzusetzen.

Der Grund für die Kehrtwende der Progressiven im Haus ist ein anderer. In Sachen Außenpolitik wird selbst bei den Demokraten bisweilen Parteidisziplin angewandt. Der Beweis hierfür: Die wenigen Momente in der jüngeren US-Geschichte, in denen die neuen Progressiven Demokratinnen des Repräsentantenhauses es tatsächlich wagten, die außenpolitischen Eliten direkt anzugreifen.

US-Außenpolitik: Ein parteiübergreifendes Projekt

Unvergessen bleibt hier vor allem, Ilhan Omars Konfrontation mit Elliott Abrams [7], anlässlich dessen Anhörung bezüglich seiner Ernennung zum Sondergesandten für Venezuela 2014.

Die Ernennung von Abrams, der zwar 1991 verurteilt wurde, da er den Kongress bezüglich des Iran-Contra-Skandals belogen hatte, später aber von Präsident George H.W. Bush begnadigt wurde, schien abgesehen von Omar kaum jemanden in der Kammer zu stören.

Elliot Abrams übersah während seiner langen Karriere im Außendienst in Süd- und Zentral-Amerika [8] die schlimmsten Formen US-amerikanischer Außenpolitik. Bis heute hat der "Kalte Krieger" nie einen Hehl um seine Ansichten hinsichtlich der "berechtigten" Mittel zur Wahrung von US-amerikanischen Interessen gemacht.

Um Abrams Verbrechen gegen die Menschheit hier aufzuzählen, fehlt der Platz. Ilhan Omar brachte es fertig, die meisten in einer direkten Frage an Abrams zumindest anzudeuten:

Würden Sie eine bewaffnete Gruppe innerhalb Venezuelas unterstützen, die Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord begeht, wenn Sie glauben, dass sie den Interessen der USA dient, wie Sie es in Guatemala, El Salvador und Nicaragua getan haben?

Ilhan Omar

Es waren solch "unverschämte" Fragen an ein Mitglied der außenpolitischen Elite, die Ilhan Omar und andere "Squad-Members" zum Ziel starker Kritik aus Lagern beider Parteien [9] machte.

Elliot Abrams haben sie nicht geschadet, und seine Ernennung zum Sondergesandten für Venezuela lässt ahnen, wie ernst es Trump mit seinem sogenannten Isolationismus [10] wirklich meint.

Am Ende bleibt die US-Außenpolitik ein parteiübergreifendes Projekt, das zwar gelegentlich zu Spannungen führt, aber im Grunde nicht gestört werden darf. Ob durch Neokonservative auf der einen, oder dem liberalen außenpolitischen Blob [11] unter Blinken auf der anderen Seite, die Macht und der Willen der USA, international ihre Interessen durchzusetzen, darf nicht infrage gestellt werden.

Momentan ist es das erklärte Ziel der Regierung, China zu übertrumpfen und Russland in die Schranken zu weisen [12]. Einstweilen scheinen Biden und Konsorten, diese Absichten vorwiegend durch politische Härte umsetzen zu wollen.

Kritik kann der Präsident so kurz vor den Wahlen nicht gebrauchen, erst recht nicht aus dem eigenen Lager. Schade eigentlich, dass die Demokraten nur hinsichtlich außenpolitischer Themen in der Lage sind, Parteidisziplin durchzusetzen.

Man vergleiche: Hier ging es "nur" um einen höflichen Brief. Joe Manchin blockierte die innenpolitischen Projekte des Präsidenten für Monate. Für die Wähler spielt der Krieg laut Umfragen, abgesehen von seinen wirtschaftlichen Folgen, jedenfalls kaum eine Rolle [13].


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https://www.heise.de/-7324057

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.ft.com/content/b08634e3-b0f2-44d4-9cc3-4b7edc8a1329
[2] https://www.nzz.ch/international/kevin-mccarthy-keinen-blankocheck-mehr-fuer-die-ukraine-ld.1708117
[3] https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Hilfe-Aufschreckende-Signale-aus-den-USA-7315152.html
[4] https://www.ft.com/content/43b56648-99f8-4aab-bcef-f80c6cb19afc
[5] https://www.ft.com/content/b08634e3-b0f2-44d4-9cc3-4b7edc8a1329
[6] https://www.nzz.ch/international/kevin-mccarthy-keinen-blankocheck-mehr-fuer-die-ukraine-ld.1708117
[7] https://progressive.org/latest/the-real-trouble-with-ilhan-omar-jaffe-190719/
[8] https://www.vox.com/2019/2/15/18225109/elliott-abrams-ilhan-omar-venezuela
[9] https://jezebel.com/the-message-to-the-squad-is-clear-know-your-place-1836308835
[10] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5575895
[11] https://www.politico.com/news/magazine/2022/05/06/biden-foreign-policy-blob-00030443
[12] https://www.nytimes.com/2022/10/12/us/politics/biden-china-russia-national-security.html
[13] https://fivethirtyeight.com/features/ipsos-preelection-survey-likely-voters/