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USA: Unauffälliger Strukturwandel

Zwei leere Ladenslots in der El Con Mall in Tucson, Arizona. Foto: Acc78 at English Wikipedia. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Obwohl im US-Einzelhandel in den letzten zwei Monaten mehr Arbeitsplätze abgebaut wurden als im Kohlebergbau in den letzten 20 Jahren, sank die Zahl der Arbeitslosen

Den am Freitag bekannt gemachten Zahlen der US-Arbeitsbehörde nach ging die Arbeitslosenquote in den USA im ersten Quartal 2017 von 4,8 auf 4,5 Prozent (beziehungsweise von über 7,5 auf etwa 7,2 Millionen) zurück und ist damit so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das liegt daran, dass zahlreiche neue Stellen entstanden - alleine im März waren es trotz des späten Wintereinbruchs mit dem Sturm Stella fast 100.000.

Die meisten dieser Stellen entstanden mit 56.000 im Dienstleistungsbereich - aber nicht im Einzelhandel, wo im Februar und im März jeweils fast 30.000 Beschäftigte ihre Arbeitsplätze verloren. Den Zahlen des prominenten Ökonomen Paul Krugman nach [1] nach sind das mehr, als in den letzten 20 Jahren im Kohlebergbau wegfielen. Die Zahl der Läden, die zumachten, übersteigt dem Credit-Suisse-Analysten Christian Buss nach mit bislang 2.880 die aus dem Finanzkrisenjahr 2008. In den ersten drei Monaten des Jahres 2016 lag sie mit 1.153 bei weniger als der Hälfte.

Leerstand dehnte sich auf zehn Prozent der Gesamtladenfläche aus

Zu den Unternehmen, die in größerem Maßstab Filialen schlossen und schließen, zählen nicht nur insolvente Firmen wie der Schuhdiscounter Payless (der 400 seiner etwa 4.000 Geschäfte zu machen will), die Elektronikkette HHGregg (die komplett abgewickelt werden soll, nachdem sich kein Käufer fand [2]), die Kaufhauskette Gordmans und die auf Jagd, Fischerei und Camping spezialisierten Gander-Mountain-Läden, sondern auch zahlungsfähige Firmen wie die Kaufhausketten Sears und J.C. Penney oder die Modekette Macy’s und sogar Anbieter im oberen Preissegment, wie die Luxusmarke Ralph Lauren, die ihren Vorzeigeladen in der Fifth Avenue aufgibt.

Unter den insgesamt etwa 1.200 US-Einkaufszentren geht es Anbietern im oberen Preissegment jedoch besser als Shopping Malls der preisgünstigeren Kategorien C und D, wie der für Cowen & Co. tätige Analyst Oliver Chen ermittelte. In solchen C- und D-Malls stehen inzwischen Hunderte Ladenslots leer, weil sich keine Händler mehr finden, die sie mieten wollen. US-weit soll sich der Leerstand mittlerweile auf zehn Prozent der Gesamtladenfläche ausgedehnt haben.

Richard Hayne, der CEO der Kette Urban Outfitters, sieht die Entwicklung teilweise als Folge einer geplatzten Modeblase, während der Anbieter schneller expandierten als die Nachfrage nach Kleidung stieg. Er glaubt deshalb, dass sich die Marktbereinigung auf absehbare Zeit fortsetzen und vielleicht sogar an Geschwindigkeit zunehmen wird. Bestätigen sich Spekulationen, dass der für eine Milliarde Dollar an die Private-Equity-Firma Apax Partners verkaufte Teenager-Mode-Anbieter Rue21 mit seinen etwa 1.000 Filialen diesen Monat Insolvenz anmeldet, könnte Hayne damit Recht behalten.

Keine Antworten auf die strukturellen Herausforderungen der Gegenwart?

Der Bloomberg [3]-Analyst Noel Hebert glaubt, dass das Problem nicht nur die Modebranche betrifft und tiefer liegt: Seiner Meinung nach hat der gesamte Einzelhandel immer noch keine Antwort auf die strukturellen Herausforderungen der Gegenwart gefunden. Einer Gegenwart, in der ein beträchtlicher Teil der Kunden weite Wege und Zeitaufwand scheut und lieber via App bestellt.

Einige Anbieter sehen diese Antwort darin, ihre Waren ausschließlich oder überwiegend online zu vertreiben - zum Beispiel der Schuh- und Kleidungsanbieter Kenneth Cole (der im November ankündigte, fast alle Filialen zu schließen) oder die Damenmodekette Bebe (die das Medienberichten nach im März beschlossen, aber noch nicht offiziell verkündet hat). 53 Prozent der Zuwächse im Online-Bereich gingen im letzten Jahr allerdings an ein einziges Unternehmen: Amazon.

Anpassung mit Pferdefuß

Andere hoffen auf die Aussagekraft von Umfragen, denen zufolge immer noch drei Viertel aller Amerikaner den Einkauf im Laden einer Online-Bestellung vorziehen. Dort steht ihnen bislang im Durchschnitt sechs Mal mehr Platz zur Verfügung als in Europa oder Japan, weshalb einige Beobachter in der US-Ladenschließungswelle vor allem eine Konsolidierung und Anpassung an internationale Standards sehen. Der Pferdefuß solch einer Anpassung könnte jedoch sein, dass Amerikaner, die eigentlich lieber in Läden gehen würden, zu Online-Bestellern werden, wenn die Warteschlangen einmal so lang wie in Deutschland sind.

Ob die Arbeitskräfte, die der US-Handel freisetzte, nun bessere oder schlechtere Jobs haben, ist nicht klar. Ein von durchschnittlich 26,02 auf durchschnittlich 26,14 Dollar gestiegener Stundenlohn im Privatsektor deutet jedoch darauf hin, dass es in anderen Bereichen besser vergütete Beschäftigungen gibt, als Tüten einpacken und Kunden begrüßen.


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https://www.heise.de/-3681166

Links in diesem Artikel:
[1] https://mobile.twitter.com/paulkrugman/status/851040113467555841
[2] https://www.usatoday.com/story/money/2017/04/07/hhgregg-close-all-stores-after-failing-find-buyer/100183284/
[3] https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-04-07/stores-are-closing-at-a-record-pace-as-amazon-chews-up-retailers