USA-Wahl 2024: Für Russland sind beide Kandidaten "schlechter"
Russland sieht die US-Wahl 2024 gelassen, denn beide Kandidaten gelten als ungünstig. Doch was, wenn ein unerwarteter Faktor ins Spiel kommt?
Seit 30 Monaten befinden sich Russland und die Vereinigten Staaten in einem Stellvertreterkrieg, doch die Haltung Russlands gegenüber der diesjährigen US-amerikanischen Präsidentschaftswahl ist die seit Jahrzehnten gelassenste.
Über den Wahlkampf im Ausland wird von führenden russischen Fernsehsendern ausführlich berichtet, allerdings im Sinne einer spannenden Aufführung eher im Stil einer Farce als etwas, das für die Russen von Bedeutung wäre.
Die überwältigende Mehrheit der Beobachter ist überzeugt, wie auch immer die Wahlen ausgehen, es wird keinen Einfluss auf die US-Politik gegenüber Russland haben: Diese Politik wird aus russischer Sicht größtmöglich feindselig bleiben. Beim Vergleich der Kandidaten – Vizepräsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident Donald Trump – könnte ein russischer Analyst nur sagen: "Beide sind schlechter" – für Russland.
Allerdings gibt es, wie man so sagt, Nuancen. Zu Beginn des Jahres, als der amtierende Präsident Joe Biden als wahrscheinlicher Kandidat der Demokratischen Partei galt, sagte Wladimir Putin, er persönlich bevorzuge Biden. Das klang seltsam und sogar unaufrichtig, ganz im Sinne des inzwischen weitverbreiteten Trollings: Schließlich hat Biden Putin in seinen Interviews und Reden wiederholt öffentlich beleidigt.
Als er Vizepräsident unter Obama war, war Biden Washingtons Kurator für die Ukraine, und als er Präsident wurde, bewaffnete er Kiew aktiv und richtete es gegen Moskau.
Aber was sich auch immer hinter Putins Worten verbarg, in ihnen steckte eine eiserne Logik. Biden ist eine bekannte und völlig vorhersehbare Figur. Der 81-jährige US-Präsident ist ein politischer Veteran, der sich gut an die Sowjetunion erinnert und die Bedeutung des atomaren Faktors in den internationalen Beziehungen versteht.
Gleichzeitig lässt Biden körperlich deutlich nach und ähnelt zeitweise entweder dem kranken Breschnew in seinen letzten Lebensjahren oder dem vollkommen gebrechlichen Tschernenko, was für den Kreml eine gute Gegenwerbung darstellt: die Vereinigten Staaten als altersschwacher Welthegemon.
Die Kandidaten
Zu Kamala Harris, Bidens designierter Nachfolgerin als Demokratische Präsidentschaftskandidatin, hat Putin noch nichts gesagt. Die Meinung russischer Beobachter ist ziemlich einhellig. Die aktuelle Demokratische Kandidatin ist ein Schützling der Parteielite; ihre größten Wahlvorteile liegen in ihrer indo-jamaikanischen Herkunft, die es ermöglicht, Harris als "schwarze" Kandidatin darzustellen.
In den dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin hat sie sich nicht besonders hervorgetan; sie hatte nur einen indirekten Bezug zu außenpolitischen Fragen. Es ist daher davon auszugehen, dass Harris, wenn sie Präsidentin wird, die Politik der Regierungen Biden und Obama fortsetzen wird. Im Prinzip wird für sie derselbe Personenkreis entscheiden wie jetzt. Alles ist mehr oder weniger vorhersehbar.
Donald Trump hingegen ist aktiv und impulsiv. Er kann plötzlich seine Meinungen und Positionen ändern. Seine Präsidentschaft 2017 bis 2021 führte nicht nur nicht zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Washington und Moskau, auf die viele in der russischen Elite damals gehofft hatten, sondern sie verschlechterte sie sogar erheblich.
Die Demokraten, die gegen Trump als "Agenten des Kremls" kämpften, stimmten für immer mehr Sanktionen, um "Russland zu bestrafen". Die Republikaner im Kongress wehrten sich gegen die Vorwürfe der Demokraten und wetteiferten mit ihnen um ein härteres Vorgehen gegenüber Moskau. Das Ergebnis war: Genau unter Trump verschlechterten sich die amerikanisch-russischen Beziehungen endgültig – und das lange vor Beginn des Krieges in der Ukraine.
Jetzt verspricht Trump, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass er bereit ist, die Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen, ganz zu schweigen von der Erfüllung der Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen, die Putin in seiner Rede auf dem Treffen im russischen Außenministerium im Juni dieses Jahres formuliert hat. Russland braucht in der Ukraine sicherlich keinen Frieden "auf die amerikanische Art", auch nicht auf die von Trump.
Lesen Sie auch
Atomwaffen und Klimawandel: Das doppelte Damoklesschwert
Nach Waffendeals mit Russland und Ukraine: Rheinmetall als Werbepartner in der Kritik
Tödliche Hilfe: USA schicken Landminen in die Ukraine
Westliche Waffen gegen Russland: Zwischen Eskalation und Psychokrieg
China, Iran, Russland: Geheimdienste sehen neue Kampfdrohnen-Allianz
Wenn wir noch hinzufügen, dass Trump höchstwahrscheinlich darauf bestehen wird, dass Russland sich von China, seinem größten und wichtigsten Partner in der Welt, entfernt, wird völlig klar, dass es für Moskau keine Hoffnung gibt, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten überhaupt zu stabilisieren.
Analysten in Moskau studieren natürlich sorgfältig Dokumente, Erklärungen und Artikel beider politischer Lager in den USA, die praktischen Schritte der aktuellen Regierung sowie das Auftreten von Harris. Die Schlussfolgerung ist klar: Auch nach dem Ende der offenen Konfrontation in der Ukraine wird die globale Konfrontation zwischen Russland und den Vereinigten Staaten noch viele Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte andauern.
Neue Fronten werden sich öffnen – geografisch und funktional, und Drittländer werden in der einen oder anderen Form in Konflikte verwickelt, von Nordkorea bis Iran. Es kann vorübergehende Ruhepausen geben, sogar einige Vereinbarungen begrenzter Art – wie der Gefangenenaustausch im Sommer. Doch es sollte kein historischer Kompromiss oder gar ein "großer Ausgleich" zwischen Moskau und Washington erwartet werden.
Wandlungen der Macht
Der Wahlkampf 2024 hat Beobachtern, nicht nur russischen, deutlich die wahre Natur der Macht in den Vereinigten Staaten vor Augen geführt. Viele wussten das schon vorher, andere vermuteten es, aber der Wert eines konkreten Beispiels ist unbestreitbar. Bidens offensichtliche Unfähigkeit, die Funktionen des Präsidenten in vollem Maße wahrzunehmen, warf für Moskau logischerweise die Frage auf: Wer regiert die Vereinigten Staaten wirklich?
Die erklärte Demokratie entpuppte sich als eine über den Parteien und dem Staat stehende Oligarchie, die Spitzenbeamte ernennt und absetzt und sie hinter den Kulissen kontrolliert. Politische Oligarchen in den USA, die 2020 auf Biden gesetzt hatten, haben ihn nun im letzten Moment ersetzt, ohne sich besonders um demokratische Verfahren zu scheren.
Der "mächtigste Mann der Welt" stand so unter Druck, dass er innerhalb eines Wochenendes nachgab. Angesichts des Wahlkampfs 2024 ist es schlicht sinnlos, über die Unabhängigkeit des US-Justizsystems von politischen Einflüssen sowie der amerikanischen Medien von politischen Präferenzen zu sprechen.
Das zeugt vor allem davon, dass "globalistische" politische Regime in den USA und anderen westlichen Ländern, die mit hegemonialen Herausforderungen der USA und des Westens durch China, Russland und andere nichtwestliche Mächte konfrontiert sind, in ihren eigenen Ländern auf den Widerstand traditionell gesinnter "Nationalisten" vom Typ Trump stoßen – von Menschen, die zunehmend zu totalitären Regierungsmethoden neigen.
Die Entwicklung in den westlichen Ländern ging in den letzten drei Jahrzehnten zugleich in Richtung eines raschen und erheblichen Rückgangs der realen Macht der höchsten staatlichen Vertreter. Besonders auffällig ist dies in Westeuropa, wo die Positionen der Staats- und Regierungschefs zunehmend von Personen eingenommen werden, deren Hauptaufgabe darin besteht, den Wählern bestimmte Entscheidungen zu "verkaufen", und nicht darin, die Entscheidungen selbst zu entwickeln.
Tatsächlich ist die europäische politische Szene zunehmend mit – im wahrsten Sinne des Wortes – Schauspielern und Schauspielerinnen besetzt. Dieser globalistische Allgemein-Trend hat auch die Vereinigten Staaten erreicht, wo die Grundlinie des modernen kollektiven Westens in der Tat bestimmt wird.
Sowohl Biden als auch Harris sind im Wesentlichen Darsteller, deren Bilder von Führung ausschließlich von den Medien geschaffen und aufrechterhalten werden. Diese Situation untergräbt die Bedeutung hochrangiger Kontakte, die für die Beziehungen zwischen Moskau und Washington traditionell von entscheidender Bedeutung waren.
Lesen Sie auch
Trump schickt seine loyalste Hardlinerin zu den Vereinten Nationen
Trump und Harris nach US-Wahl: Eine Show, zwei Hauptdarsteller
Trumps neues Kabinett: Die Rückkehr der Neocons
Veteranen-Votum 2024: Trumps klarer Sieg bei den Militärstimmen
Fehleinschätzungen: Medien zwischen Trump-Schock und Ampel-Aus
Trotz gravierender Unterschiede in den Ansätzen der Demokraten (konventionell Globalisten) und Trumps (konventionell der amerikanische Nationalist) sind beide Flügel des amerikanischen politischen Establishments der Idee des amerikanischen Exzeptionalismus, seiner bedingungslosen Dominanz in der Welt, fest verpflichtet.
Der Krieg in der Ukraine, der für Russland existenziellen Charakter hat – da das erklärte Ziel der Vereinigten Staaten darin besteht, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen –, ist für das überparteiliche Washington zu einem Krieg zur Wahrung der amerikanischen Hegemonie in Europa und in der Welt insgesamt geworden.
Ein russischer Sieg, der für Moskau die einzige Option bildet, bedeutet für die amerikanische Elite einen empfindlichen Schlag gegen die US-Dominanz, einen Verlust des europäischen Vertrauens in die Nato und im Gegenteil eine Stärkung der Positionen der Gegner Amerikas, einschließlich Chinas und des Iran. Weder Trump noch Harris, noch, was am wichtigsten ist, die amerikanische herrschende Oligarchie sind bereit, ihre Positionen aufzugeben, sodass ein ernsthafter Kampf bevorsteht.
Die Interessendifferenz als Perspektive
Trotz der vom Westen erklärten politischen Isolation Russlands (die der Globale Süden nicht akzeptierte, im Gegenteil: er nutzte die Gelegenheit, um die Beziehungen zu Moskau auszubauen), bleiben Kontakte zwischen Russland und den Vereinigten Staaten bestehen.
Russland und den Vereinigten Staaten bestehen. Dabei geht es nicht nur um die berühmte Hotline. Die Präsidenten Putin und Biden haben sich seit 2021 nicht nur nicht getroffen, sondern auch nicht mehr miteinander gesprochen.
Kontakte zwischen dem russischen Außenminister und dem US-Außenminister sind gescheitert. Gleichzeitig kommt es – wenn auch selten – zu Telefongesprächen zwischen den Verteidigungsministern und den Generalstabschefs. Auch die Chefs der Geheimdienste haben einen eigenen Kanal. Mit der Kommunikation ist insoweit alles in Ordnung.
Das Problem besteht nicht darin, dass die Parteien nichts Wichtiges voneinander wissen. Sie wissen genug, um zu verstehen, dass ihre Interessen nicht nur im Hinblick auf die Ukraine, sondern auch in der wichtigsten Frage – der Natur und Struktur der künftigen Weltordnung – in einem direkten Widerspruch zueinanderstehen.
Dies macht den russisch-amerikanischen Dialog unter den gegenwärtigen Bedingungen weniger schwierig als vielmehr bedeutungslos – über den Austausch von Einschätzungen der aktuellen Situation hinaus, was auf verschiedenen neutralen Plattformen geschieht, wo sich Experten zuweilen hinter verschlossenen Türen treffen.
Jetzt und in absehbarer Zukunft beschränken sich die russisch-amerikanischen Beziehungen auf den bewaffneten Kampf auf dem ukrainischen Kriegsschauplatz, den Wirtschaftskrieg auf dem Schauplatz der Sanktionen und natürlich auf Informations- und psychologische Kriegsführung, die alle Bereiche der internationalen Interaktion umfassen.
Die Ergebnisse dieser Konfrontation, deren endgültige Gestalt noch nicht feststeht, werden die Grundlagen für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten in der ferneren Zukunft bestimmen. Es sei denn, der Stellvertreterkrieg in der Ukraine führt zu ihrer direkten und womöglich endgültigen Konfrontation.
Dmitri Trenin (geb. 1955,) ist Forschungsprofessor an der Higher School of Economics und führender Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (Imemo) der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Der Artikel erschien zuerst in der neuesten Ausgabe von WeltTrends – Nr. 202: Die USA am Scheideweg