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USA marschieren durch Skandinavien: "Imminent Response 2024" als Machtdemonstration

Karte der historischen Erweiterung der NATO in Europa. Grafik: Patrickneil, CC BY-SA 3.0 Deed

Schweden wird Mitglied der Allianz, Finnland ist es schon. Was ändert sich dadurch und welche Fragezeichen bleiben? Vor allem ein Waffensystem sollte debattiert werden.

"Nordic Response" heißt neuerdings das ehemalige norwegische "Cold Response"-Manöver, das alle zwei Jahre stattfindet und in dem Nato-Soldaten in Nordnorwegen den Winterkrieg üben. Angesichts des Zuwachses zur Nato im Norden hat das Manöver nicht nur einen neuen Namen erhalten, sondern wurde auch auf die gesamten Nordkalotte ausgedehnt: den Norden Norwegens, Schwedens und Finnlands.

Insgesamt 20 000 Soldaten aus 13 Ländern nehmen daran teil, zu Land, zu Wasser und in der Luft. "Mit Finnland und bald auch Schweden als alliierte Nachbarn, trägt die Übung zu einer engeren nordischen Integration im Rahmen der Nato bei", heißt es auf der offiziellen Webseite der norwegischen Streitkräfte [1] dazu.

Weiter geht es dann unter anderem mit der US-geführten Übung "Imminent Response 2024", bei der rund 1000 amerikanische Soldaten aus Norwegen über Schweden nach Finnland geschleust werden sollen [2]. Beide Übungen sind Teile von Steadfast Defender 2024.

Ausbau von Eisenbahnverbindungen?

Bei der Vorbereitung von "Nordic Response" hätten die Teilnehmer gerne auf die als "Erzbahn/Ofotbahn" bekannte Schienenverbindung zurückgegriffen [3]. Dort ist allerdings gerade zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein Erzzug entgleist. Die Bahn war zwei Monate gesperrt und ist es voraussichtlich noch bis zum 7. März.

Schon lange wünscht sich Schwedens staatseigenes Bergbauunternehmen LKAB ein doppeltes Gleis nach Narvik und Luleå. Die Chance, Gehör bei den Netzbetreibern in Schweden und Norwegen zu finden, stehen aktuell besser denn je [4], denn auf beiden Seiten wird gerade betont, wie wichtig doch die Bahn für die Verteidigung des Nordens sei.

Auf Schienen kommt man (normalerweise) von Narvik bis Haparanda, wo aufgrund von unterschiedlichen Spurbreiten ein Wechsel angesagt ist. Der Bahnhof Haparanda verfügt über beide Spurbreiten. Auf der finnischen Seite wird noch an den letzten Kilometern Elektrifizierung zum Anschluss an das finnische Bahnnetz gearbeitet.

Welchen Preis hat die Nato-Mitgliedschaft?

Deutschland trat der Nato zehn Jahre nach der Kapitulation 1945 bei. Es beherbergt einen US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt und mehrere Truppenübungsplätze. Auf der Airbase Ramstein gilt US-Strafrecht und es gibt nur begrenzt Einblicke in das, was dort eigentlich vor sich geht.

Darüber gibt es gelegentlich Diskussionen – beispielsweise, ob von dort aus völkerrechtswidrige Drohnenangriffe gesteuert werden, und inwieweit Deutschland dafür haftbar gemacht werden kann. Doch dieses Faktum zu akzeptieren, ist eine Art "Staatsraison" – wie die Veränderung im Hinblick auf Friedenspolitik etwa bei den Grünen belegt [5].

Wie die beiden neuen Nato-Mitglieder Finnland und Schweden ihre Mitgliedschaft gestalten, steht bisher nicht komplett fest. Beide haben für ihren Beitritt zunächst keine Bedingungen gestellt. Als Orientierung wird häufig das norwegische Modell genannt.

Norwegisches Modell für Finnland und Schweden?

Norwegen, Nato-Gründungsmitglied, das eine knapp 200 Kilometer lange direkte Grenze mit Russland teilt, fuhr im Kalten Krieg einen Balancegang mit Rücksicht auf den östlichen Nachbarn: Es war offizielle norwegische Politik, dass es in Friedenszeiten weder ausländische Basen noch Atomwaffen auf norwegischem Gebiet [6] geben sollte.

Bereits im Jahr 2021 räumte Norwegen den USA allerdings die Möglichkeit ein, in vier norwegischen Militärstützpunkten eigene Infrastruktur zu errichten und Material zu lagern. Es gab damals Diskussionen darüber, ob dies nicht eine Abkehr der bisherigen Politik sei. In dem entsprechenden Abkommen mit den USA [7] ist festgelegt, dass die künftige Zusammenarbeit bei der Verteidigung weder eine Abkehr von der norwegischen Stationierungspolitik noch von der norwegischen Haltung zu Atomwaffen bedeute.

Wie viel staatliche Souveränität aufgeben?

Mit Russlands Invasion der Ukraine kamen in Nordeuropa Dinge ins Rollen, für die es vorher weder eine Mehrheit in den Bevölkerungen noch in den Parlamenten gab. Finnland, das eine 1300 Kilometer Grenze mit Russland und die Erfahrung des Winterkriegs 1939 hat, entwickelte sich in weniger als 14 Monaten von einem blockfreien Land zum Nato-Mitglied. Im Falle Schwedens dauerte es länger, da hier sowohl die Türkei als auch Ungarn den Prozess herauszögerten.

Beide Länder mussten sich im Zuge dieser Entwicklung auch damit befassen, wie viel staatliche Souveränität sie vor allem zugunsten den USA aufgeben - zugunsten der Stationierung ausländischer Streitkräfte, auf deren Hilfe sie im Ernstfall hoffen.

USA mit freiem Zugang zu 44 Militäranlagen im Norden

Sowohl Schweden [8] als auch Finnland [9] haben im Rahmen des Nato "Status of Forces Agreement" (Sofa) inzwischen Verteidigungsabkommen (Defence Cooperation Agreements, DCA) mit den USA unterzeichnet.

Dieses gestattet den USA die Nutzung mehrerer nationaler Militärbasen und räumt den US-Streitkräften dort weitreichende Rechte ein. In Schweden betrifft dies 17 Standorte, darunter die Raketentestbasis in Vidsel, in Finnland 15 Militäranlagen. Die Abkommen regeln außerdem Ausnahmen in Fragen der Gerichtsbarkeit, Visafreiheit, Zollprozeduren und Steuerpflicht.

Der schwedische Autor Jan Guillou [10] kommentiert das Abkommen so: "Es sieht aus, als habe Schweden im Krieg mit den USA gelegen und verloren. Jedenfalls wenn man das jüngste Verteidigungsabkommen zwischen unserer Regierung und den USA liest." Für ihn ist es "die totale Unterwerfung".

"Die totale Unterwerfung"

In Schweden war die Begeisterung für den Nato-Beitritt nie so groß wie in Finnland, und das Werben um die Zustimmung der Türkei und Ungarns hat diese Begeisterung nicht gefördert: 55 Prozent sagten bei einer Umfrage im Februar [11], Schweden habe zu viel für die Nato-Mitgliedschaft geopfert. Nach dieser Untersuchung glauben aber immerhin 77 Prozent, dass die Nato-Mitgliedschaft Schwedens Sicherheit stärke.

Bei einer anderen Umfrage im Januar fanden 63 Prozent, dass Schweden der Nato beitreten sollte. Nachdem der Beitritt nicht mehr zu verhindern ist, wollen die schwedischen Nato-Gegner im Parlament – die Linkspartei und die grüne Miljöpartiet - nun zumindest gegen das von Guillou als "Unterwerfung" bezeichnete Abkommen mobil machen. Denn das muss auch im Parlament noch beschlossen werden. Die beiden Fraktionen haben aber zusammen nur 42 von 349 Stimmen.

Auch in Finnland steht die Zustimmung des Parlaments zum Verteidigungsabkommen noch aus. Dort werden Unterschriften für eine Petition gegen das Abkommen [12] gesammelt mit einigen prominenten Namen wie den Filmemacher-Brüdern Kaurismäki und der Schriftstellerin Rosa Liksom. Zu den Unterstützern gehört auch die Friedensforscherin Tarja Cronberg [13], die den Mangel an Diskussion über den Nato-Beitritt Finnlands beklagt: "Finnland gibt im Prinzip einen Teil seiner Souveränität auf".

Parlamente müssen noch zustimmen

Norwegen hat das Abkommen mit den USA von 2021 inzwischen ebenfalls aktualisiert [14]: Nun erhalten US-Streitkräfte Zugang zu acht weiteren Basen, also insgesamt zu 12 Einrichtungen. Diskussionen [15] um eine Abkehr von den früheren selbstauferlegten Begrenzungen flammen regelmäßig auf. Mit den jetzigen Abkommen können die USA bereits an 44 Orten auf der skandinavischen Halbinsel und Finnland Waffen, Fahrzeuge und Material lagern oder Leute unterbringen.

Atomwaffen werden in den Sofa-Abkommen mit Schweden und Finnland Abkommen nicht gesondert erwähnt. Der schwedische Verteidigungsminister sagt [16], man habe die ablehnende Haltung Stockholms gegenüber den Partnern deutlich gemacht.

Atomwaffen im Präsidentschaftswahlkampf

In Finnland sind Atomwaffen derzeit verboten [17]. Trotzdem brachte es die Atomwaffen-Frage zu einem Mini-Thema [18] im jüngsten Präsidentenwahlkampf, denn das war einer der wenigen Punkte, wo die Kandidaten der Stichwahl sich etwas unterschieden. So schloss Pekka Haavisto die Stationierung von Atomwaffen auf finnischem Boden klar aus, während der neue Amtsinhaber Alexander Stubb dies nicht tun wollte und auf ihre Abschreckungswirkung verwies. Auch seien Transporte nicht dasselbe wie eine Stationierung.

Haavisto sprach sich zudem klar gegen eine zukünftige Stationierung von Soldaten auf der autonomen und demilitarisierten finnischen Inselgruppe Åland [19] aus, während Stubb auch in dieser Frage vage blieb.

Keine 180-Grad Wende

Die Hinwendung Finnlands und Schwedens zur Nato ist keine 180-Grad-Wende: Beide haben schon länger immer enger mit der Nato kooperiert. Schweden tat das bereits zu Zeiten von Olof Palme, was aber nicht herauskommen durfte, wie der Journalist Mikael Holmström [20] aufgedeckt hat.

Verschiedene Nato-Länder haben auch schon vorher Schwedens Raketentestplatz in Vidsel [21] genutzt. Trotzdem ist es für beide Länder ein einschneidender Schritt, wenn sie künftig ganz offiziell auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten.

Dennoch bleibt diese Tatsache in der öffentlichen Diskussion sowohl in Schweden wie in Finnland ein Randthema. Man will es vielleicht auch einfach nicht so genau wissen. Hauptsache, man hat das Recht, Beistand nach Artikel 5 des Nato-Vertrages zu bekommen. Das bedeutet, dass um das neue Bündnisgebiet im Zweifelsfall bis zum letzten Mittel gekämpft wird, also auch mit atomaren Waffen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9645475

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.forsvaret.no/om-forsvaret/operasjoner-og-ovelser/ovelser/nr24
[2] https://www.svt.se/nyheter/inrikes/skarpa-moment-i-stor-NATOovning-trupptransporter-genom-sverige
[3] https://www.highnorthnews.com/nb/ofotbanen-fortsatt-stengt-det-pavirker-logistikk-i-forbindelse-med-ovelsen-nordic-response
[4] https://www.svt.se/nyheter/lokalt/norrbotten/militarexpert-om-malmbanan-ska-fungera-i-krig
[5] https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/drohnen-bewaffnet-gruene-kritik-101.html
[6] https://snl.no/basepolitikk
[7] https://www.regjeringen.no/contentassets/0a7035b6c001426daf41e6158e8f9b4c/tilleggsavtale-mellom-kongeriket-norges-regjering-og-amerikas-forente-staters-regjering-om-forsvarssamarbeid.pdf
[8] https://www.regeringen.se/contentassets/1fd234cd10ec43ba8cda50b09f2501ab/agreement-on-defense-cooperation-between-sweden-and-the-united-states-of-america.pdf
[9] https://um.fi/documents/35732/0/DCA%20Finland%20Prime%20English_signed%20%282%29.pdf/7ee50234-1dfd-0014-32c5-4ef3549ea301?t=1702985560563
[10] https://www.aftonbladet.se/nyheter/kolumnister/a/O8w761/sverige-har-frivilligt-underkastat-sig-usa
[11] https://sverigesradio.se/artikel/for-stora-uppoffringar-for-NATOmedlemskap-anser-majoritet
[12] https://www.eitukikohtia.fi/
[13] https://svenska.yle.fi/a/7-10046143
[14] https://www.regjeringen.no/no/aktuelt/enighet-med-usa-om-a-oppetter-flere-omforente-omrader/id3023829/
[15] https://www.highnorthnews.com/nb/mener-norges-forsiktighet-overfor-russland-er-utdatert
[16] https://www.svt.se/nyheter/utrikes/darfor-utesluter-avtalet-inte-karnvapen-i-sverige--f2qljz
[17] https://svenska.yle.fi/a/7-10050808
[18] https://svenska.yle.fi/a/7-10049859
[19] https://www.lagtinget.ax/sjalvstyrelsen/demilitariseringen-och-neutraliseringen/aland-demilitariserat-och-neutraliserat#konventionernas_giltighet
[20] https://www.gp.se/kultur/litteratur/litteraturrecension/mikael-holmstrom-den-dolda-alliansen-sveriges-hemliga-NATO-forbindelser-.fac5baaf-392d-4141-ada1-7b2d023b9124
[21] https://testandevaluation.fmv.se/about/test-ranges/fmv-vidsel-test-range/