"Überlandroute zur Krim": Wenn Russen durch die besetzten Gebiete reisen
Wenn Russen in den Urlaub auf die Krim wollen, fahren sie oft durch besetzte Gebiete. Im Netz teilen sie mit anderen ihre Eindrücke. Was sie dabei erzählen.
Auf dem Höhepunkt der Ferienzeit griff die Ukraine zum zweiten Mal die Krimbrücke an – die Hauptverkehrsstraße, die die Krim mit Russland verbindet. Viele Russen wollten ihre Urlaubspläne auf der Krim nicht ändern. Für diejenigen, die wissen wollen, wie sie dorthin kommen, wurde ein Chat eingerichtet.
Russlands Isolation und der billigere Rubel haben die Krim zu einem beliebten Ziel für den Sommerurlaub der Russen gemacht. Am 17. Juli wurde die Brücke, die Russland mit der Krim verbindet, angegriffen. Die Beschädigung erschwerte die Fahrt auf einer ohnehin schon stark befahrenen Straße.
Die russische Regierung ordnete an, die Durchfahrt zur Krim durch den Landkorridor der neu besetzten Gebiete zu ermöglichen, woraufhin das Verbot von Nachtfahrten dort aufgehoben wurde.
Durch Minen und Granaten
Die Straße zur Krim beginnt unweit von Taganrog, der letzten größeren russischen Stadt an der alten Grenze. Die Reisenden passieren auf ihrem Weg die großen besetzten regionalen Zentren Mariupol und Melitopol. Dort, wo es vor Kriegsbeginn Grenzposten gab, werden nun die Dokumente der Autofahrer kontrolliert und die Fahrzeuge überprüft, weil sie in die Zone einer "besonderen Militäroperation" fahren.
Diese neue Route stieß bei den Russen auf großes Interesse. Die offiziellen Informationen reichten jedoch nicht aus, um Antworten auf verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Durchfahrt durch diese Gebiete zu finden.
Auf der Suche nach Informationen wandten sich viele Menschen an den beliebten russischen Messenger Telegram, wo es Chats von Lastwagenfahrern gab, die schon seit Langem auf der genannten Route unterwegs sind. Einer dieser Chats mit dem Titel "Überlandroute zur Krim" ist heute auf 12.000 Menschen angewachsen.
Die meisten Gespräche drehen sich um die Fragen: Was darf transportiert werden und wo kann ich essen und tanken? Die größte Überraschung für alle ist das völlige Fehlen von mobilem Internet in den neu besetzten Gebieten.
Erfahrene Fahrer raten den Reisenden auch, sich mit Benzin und Lebensmitteln einzudecken, da es nur sehr wenige funktionierende Tankstellen gibt.
Ein weiterer wichtiger Rat, der oft wiederholt wird, ist, nicht außerhalb von Siedlungen und am Straßenrand zu halten, wo sich Minen und nicht explodierte Granaten befinden könnten. Aber das hält die Russen nicht ab. Viele Menschen teilen Fotos von Picknicks am Straßenrand und sogar vom Schwimmen im Meer im zerstörten Mariupol.
Die Suche nach dem Feind
In diesem Chat tauschen die Menschen nicht nur Ratschläge aus, sondern schildern auch ihre Eindrücke von dem, was sie auf ihrem Weg gesehen haben. Nicht selten gehen diese Gespräche in politische Diskussionen über, in denen jeder den anderen beschuldigt, für die Ukraine zu arbeiten.
So empört sich einer der Nutzer darüber, dass ein anderer nach der Sicherheit der Reise fragt, weil der Status dieser Gebiete unsicher ist.
Es gibt keinen Krieg, es gibt eine spezielle Operation. Und ich fahre nach Russland. Oder bist du damit nicht einverstanden?
Ein anderer Nutzer deutet auf die Frage an, wie man nach Russland zurückkehren könnte, wenn die Ukraine nach Mariupol gelangen würde, dass Russland als Reaktion darauf in Polen einmarschieren sollte.
Wenn sie die Brücke kaputt machen und die Autobahn durch Mariupol abschneiden, könnt ihr durch Polen und Belarus zurückkehren, macht euch keine Sorgen! Ruhe oder Tod!
Um Konflikte zu vermeiden, löschen die Administratoren solche Nachrichten und erinnern die Nutzer an die Regeln, nach denen sie gesperrt werden können: schädliche Links, Beleidigungen und Zugehörigkeit zur Ukraine.
Grauen von Mariupol
Häufig wurden Berichte über die Lage in Mariupol zensiert. Die Stadt wurde zum Schauplatz schrecklicher Kämpfe. Einige Nutzer schreiben, dass sie die Tränen nicht zurückhalten können und versuchen, so schnell wie möglich durch diese Stadt zu fahren.
Es gibt so viel Trauer... Ich erinnere mich, als ich letztes Jahr in Mariupol ankam, dieser schreckliche Leichengeruch, Gräber in den Höfen, Kinder, Tiere mit hungrigen, verlorenen Augen. Es ist so erschreckend. Wenn man gläubig ist, dann fährt man durch diese Stadt und betet für diese Menschen.
Es gibt jedoch auch Stimmen, die die russischen Behörden für die Durchführung umfangreicher Reparaturarbeiten loben und vorhersagen, dass Mariupol zu einem blühenden Ferienort in Russland werden wird.
Nicht nur die Zerstörung und die militärische Ausrüstung hinterlassen Eindrücke bei den Chat-Teilnehmern, sondern auch der regelmäßige Beschuss der Straße aus der Ukraine. Nach Angaben der Zeitung Verstka wurde der Landweg zur Krim im vergangenen Monat 22 Mal angegriffen.
Militärexperten führen dies auf die Tatsache zurück, dass die Straße ein wichtiger Korridor für die Lieferung von Waffen an die russische Armee ist. Die Zahl der Angriffe wird mit dem Vormarsch der ukrainischen Armee zunehmen.
Laut einer offiziellen Umfrage werden jedoch 76 Prozent der Befragten ihre Reisen auf dem Landweg zur Krim wiederholen. Wenn man der Stimmung im Chat Glauben schenkt, dann würden die Russen in der Tat lieber sterben, als ihre Urlaubspläne zu ändern.