Überleben im Krisenmodus: Kommen Fortschritt und Emanzipation an ihr Ende?
In der Klimakrise sei nur noch der Kampf ums Überleben angesagt, schreibt Philipp Staab in einem Buch mit dem Titel "Anpassung". Doch woran sollen sich die Menschen anpassen – an Strukturen, die sie erst an den Abgrund geführt haben?
Der aktuelle gesellschaftliche Grundpessimismus zeigt sich auch daran, dass Untergangszenarien, die bisher in verschwörungstheoretischen Kreisen angesiedelt waren, Eingang in die Sendungen des Deutschlandfunks und andere bürgerliche Medien finden. Da wird schon mal geraten, möglichst haltbare Konserven anzulegen.
Manche Prepper könnten sich bestätigt fühlen, denn bekanntlich treffen sie seit Jahren angeblich Vorsorge für die ganz große Krise. Dieser Grundpessimismus drückt sich auch im neuesten Buch des Philosophen Philipp Staab aus, das unter dem programmatischen Titel "Anpassung – Leitmotiv der nächsten Gesellschaft" im Suhrkamp-Verlag erschienen ist.
Wie aber soll man eine Gesellschaft beschreiben, die sich nicht primär von der Selbstentfaltung, sondern von Problemen der Selbsterhaltung her bestimmen muss? Deren Leitmotiv nicht Fortschritt, Emanzipation oder individuelle Freiheit sondern Anpassung darstellt? Intellektuelle Interventionen, die aus einer Perspektive der Anpassung erfolgen, liefern heute zaghaft erste Bilder von Gesellschaften, die sich von der rücksichtslosen Priorisierung des Selbstentfaltungsprogramms verabschiedet haben.
Philipp Staab
In diesen kurzen Abschnitt sind die wesentlichen Fragen formuliert, die Staab auf knapp 200 Seiten behandelt. Er formuliert im Grunde eine Absage an die Vorstellung, dass menschliche Emanzipation in einer Zeit, in der es um das nackte Überleben gehe, überhaupt möglich sei.
Anpassung statt Selbstentfaltung
Staab macht philosophisch unterlegt mehrfach den Gegensatz zwischen Anpassung und Selbstentfaltung auf, wobei Selbstentfaltung alle Formen der menschlichen Emanzipation meint, sich also nicht nur auf manche Marotten der letzten 20 Jahre beschränkt, wo es manche als Akt ihrer Selbstentfaltung betrachteten, mit dem Flugzeug zum Diskobesuch nach Berlin zu jetten, ohne Rücksicht auf die Umwelt.
Dass Staab einen viel umfassenderen Begriff von "Selbstentfaltung" in Frage stellt, wird schon im ersten Satz seines Buches deutlich:
Könnte es sein, dass die moderne Semantik des Fortschritts, der Individualisierung, der Emanzipation und der Demokratisierung die falschen Anker für eine Analyse der Gegenwart und der erwartbaren Zukunft liefert?
Philipp Staab
Der Autor rekurriert auf Ulrich Becks Klassiker "Die Risikogesellschaft", der 1986 ebenfalls im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. Damals waren es der Gau von Tschernobyl und die Angst vor einem Atomkrieg, die Beck als Beweise für eine sich selbstgefährdende Zivilisation anführten.
Bei Staab kommen nun noch die Klimakrise, aber auch die Erfahrungen der Corona-Pandemie hinzu, die eine "Rückkehr von Selbsterhaltungsfragen" umso dringender auf die Tagesordnung stellten. Wenn Staab nun eine Gesellschaft beschreiben will, die primär von der Selbstentfaltung bestimmt ist, fallen ihm mit Verweis auf Eva von Redecker die Pilze "als Gegenmodell zum isolierenden Individualismus der Moderne" ein.
Es ist schon bezeichnend, dass auch eher linke Philosophen auf eine Lebensform als Vorbild zurückgreifen, die sich kaum bewegt und somit als Gegenmodell für den flexiblen Menschen, der die Welt erkundet, gelten muss. Ist das auch eine Absage an einen Begriff von Zivilisation, wie er auch und gerade im Umfeld der Theorien der Frankfurter Schule stark gemacht wurde?
Zivilisation fing demnach da an, als der Mensch nicht mehr nur der Unbill der Natur ausgesetzt war. Daher war die Beherrschung des Feuers in der Frühzeit der Menschheit ein wichtiger Einschnitt. Doch gerade Pilze sind nun die Lebensformen, die am unmittelbarsten von ihrer natürlichen Umgebung abhängig sind. Dann müsste die von Staab propagierte Anpassung noch einmal kritischer betrachtet werden.
Warum kein Reden vom Kapitalozän?
Zumal der Autor, wie auch schon Ulrich Beck, nicht von den gesellschaftlichen Bedingungen reden will, die zum Kapitalozän, der vom Kapitalismus hervorgerufen Klima- und Umweltkrise führten.
Diese gesellschaftlichen Bedingungen kommen bei ihm kaum vor, was umso erstaunlicher bei einem Philosophen ist, der bereits mit einem Buch über den Digitalen Kapitalismus bewies, dass er Karl Marx gelesen hat. Diese weitgehende Ausblendung von Kapital- und Herrschaftsverhältnissen hat Folgen.
So beruft er sich nicht auf die Klimaaktivisten, die für einen "System Change" auch zur Lösung der Klimakrise eintreten, sondern bezieht sich auf Positionen der vornehmlich bürgerlichen Umweltbewegung, die immer erklärt, mit dem Klima könne man nicht diskutieren und die deshalb eine technokratische Herrschaft propagiert, die möglichst von politischen Interessen verschont bleiben soll.
Vor allem im letzten Kapitel macht sich Staab für eine solche Technokratie stark, die er mit unterschiedlichen Adjektiven belegt.
Dabei betont er, dass eine solche Technokratie "keineswegs die entpolitisierte Herrschaft kapitalistischer Sachzwänge" sein müsse. Da aber im gesamten Buch keine Kapitalismuskritik geleistet wird, bleibt das weitgehend ein Postulat. Zumal sich ja die technokratische Herrschaft schon immer damit rühmt, Sachzwänge und keinesfalls kapitalistische Partikularinteressen zu verwalten.
Es ist eben nicht erkennbar, dass es bei Staabs "protektiver Technokratie" anders wäre. Daran ändert es auch nichts, dass er im letzten Kapitel das Projekt Cybersin anführt, ein Lieblingsbeispiel linker Kybernetiker. Es stammt aus der Zeit der linken Allende-Regierung in Chile in den Jahren 1972 und 1973.
Doch das Projekt Cybersin ist keineswegs ein Beispiel für eine technokratische Herrschaft, sondern war Teil des Klassenkampfes in der Endphase der linken Allende-Regierung in Chile. Die Linken versuchten damit den Streik der Unternehmer zu umgehen. Es ist auch kein Zufall, dass nach dem rechten Putsch das Projekt beendet, die Anlagen zerstört und die Protagonisten verfolgt wurden.
Von der Klimakrise zur Corona-Pandemie
Staabs technokratische Visionen könnten eher die Herrschaftsform einer Kapitalfraktion werden, die die Zumutungen für die große Mehrheit der Menschen auch mit dem Argument der Klimakrise begründen und der demokratischen Diskussion entheben will.
"Demokratisierung im Sinne einer Erweiterung deliberativer Beteiligungsverfahren oder subpolitischen Aktivismus bildet im Feld nicht das anvisierte Programm", formuliert Staab einen Grundsatz, den die Profiteure der Gesellschaft gerne hören. Er erwähnt nicht, dass darin eine klare Absage an Klimaaktivisten steckt, die eben eine wie auch immer benannte Technokratie nicht als ihr Ziel sehen.
Es ist auch irritierend, dass Staab in einem Kapital Zitate aus einer nichtrepräsentativen Umfrage verwendet, in der Menschen zum Umgang mit der Corona-Pandemie befragt wurden. Dort wurde über Staatsversagen und über zu viel Demokratie geklagt. Manche wollen längere Legislaturperioden, andere eine Herrschaft, die den Parteienstreit enthoben ist. Hier findet man Elemente für autoritäre Lösungsansätze, die aber von Staab nicht als solche kritisiert werden.
Vielmehr führt er sie an, um seine der Politik enthobenen technokratischen Herrschaft zu begründen. Es ist zu hoffen, dass das Buch eine Diskussion auslöst, an der sich auch Klimaaktivistinnen und -aktivisten beteiligen, die eben angesichts der Klima- und Umweltkrise nicht einer Technokratie das Wort reden. Das Buch macht deutlich, dass eine linke Kritik an Kapital und Herrschaft sich gerade an der Kritik an Staabs Thesen bewähren muss.
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