Überwachung: Niemand hat die Absicht, Corona-Warn-App und Digitale Identität zu verknüpfen?
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Kleine Anfrage der CDU verrät Interesse an Wiederbelebung als Krisen- und Gesundheitsdaten-App. Woher es rührt, verrät die Fraktion aber nicht. Doch die Vergangenheit spricht Bände.
Die Unionsfraktion hat sich am 25. Juli 2023 in einer kleinen Anfrage nach dem Sachstand zur Corona-Warn-App (CWA) erkundigt, die am 1. Juni 2023 in den sogenannten Ruhemodus versetzt wurde.
Neben Fragen zur Kosten-Nutzen-Bilanz stellt die Fraktion dabei auch Fragen zur Nutzung der App für andere Zwecke als den ursprünglich verfolgten. Diese betreffen insbesondere die Verknüpfung der CWA mit einer digitalen Identität und dem Gesundheitsdatensystem.
Die kleine Anfrage ist geeignet, Bedenken gegenüber einem illegitimen Funktionsausbau zu wecken (sog. function creep), wie ihn Telepolis im Zusammenhang mit dem digitalen Zentralbankgeld und dem Phänomen des Impact Investing bereits mehrfach thematisiert hat.
Ausweis, Impfpass, Warn-App und Patientenakte
Die während der Corona-Krise am 16. Juni veröffentlichte CWA wurde unter der Schirmherrschaft des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Software-Konzern SAP und der Telekom-Tochter T-Systems entwickelt und sollte bekanntlich der Kontaktnachverfolgung und Eindämmung des Infektionsgeschehens dienen.
Die Kosten für die App beliefen sich bis zum Dezember 2022 auf 220 Millionen Euro. Aussagen darüber, inwieweit die App ihren Zweck erfüllt hat, sind aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht möglich, heißt es in Medienberichten.
Renommierte Experten haben indes den Fokus auf Kontaktverfolgung als epidemiologische Strategie in Zweifel gezogen.
Die von der Unionsfraktion gestellten Fragen zur Datenverknüpfung beziehen sich auf die folgenden vier wesentlichen Bereiche:
1. Die Integration des digitalen Identitätsnachweises "AusweisApp2" in die CWA.
2. Das "Umfunktionieren" der CWA zu einem digitalen Impfausweis.
3. Die Umgestaltung der CWA zu einer "Bundes-Warn-App".
4. Die Umgestaltung der CWA in eine "Smartphone-Version der digitalen Patientenakte".
Dabei bittet die Fraktion um Auskunft, ob eine entsprechende Verknüpfung geprüft wurde sowie um eine Angabe von Gründen, falls diese unterblieben sein sollte. Außerdem erkundigt sich die Fraktion nach einer Verlängerung der Verträge mit Telekom und SAP sowie danach, ob "nichtpersonenbezogene Daten […] der Gesundheitsforschung zur Verfügung gestellt wurden oder gestellt werden könnten".
Zwar hat auch der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuletzt eine "Aufholjagd" bezüglich der Digitalisierung des Gesundheitswesens angekündigt, die sich neben dem sogenannten E-Rezept auf die elektronische Patientenakte und das Forschungsdatengesetz konzentriert – ganz im Einklang mit den Koalitionszielen der Ampel-Regierung.
Und doch kommt den Unionsparteien bei der Vorbereitung einer möglicherweise missbrauchsanfälligen oder gar antidemokratischen Infrastruktur eine tragende Rolle zu. Das gilt nicht nur für Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU).
CWA und CDU: Bemerkenswerter Einsatz
Die Christlich Demokratische Union und die Corona-Warn-App verbindet eine eigentümliche Geschichte. In der Corona-Krise haben sich die Unionsparteien als mindestens entschiedene Befürworter der App hervorgetan.
So forderte der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Tilman Kuban, im April 2020 eine automatische Installation der CWA bei jedem deutschen Bürger, der nicht aktiv widerspricht.
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Zwei Monate später stellte die damalige CDU-Digitalisierungsbeauftragte Dorothee Bär in einem Interview mit ntv bereits die Vorteile einer Funktionserweiterung der CWA für die Zukunft heraus:
(…) wir arbeiten ja auch kontinuierlich daran, um das System dann auch weiter zu verbessern, um es eventuell auch einmal auf etwas anderes anwenden zu können. Wir wissen ja nicht, was in den nächsten Jahren noch passieren wird, was wir noch für digitale Anwendungen eben brauchen.
Deswegen ist es jetzt auch wichtig, als Grundstock das Thema Vertrauen an die erste Stelle zu setzen.
Dorothee Bär
Im Oktober desselben Jahres ging der Bremer CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp noch einen großen Schritt weiter, als er vorschlug, die Bürger zur Nutzung der CWA zu verpflichten, und zwar "bußgeldbewehrt".
Im Januar 2021 legte der CDU-Wirtschaftsrat ein Positionspapier vor, in dem sich das Gremium trotz damals rückläufiger Infektionszahlen für einen "dringenden Neustart" der App aussprach.
Darin wurde "das Prinzip der Freiwilligkeit" kritisiert sowie bereits eine Funktionserweiterung um Standortdaten vorgeschlagen – ebenso wie die Verknüpfung mit der Warn-App NINA als "‚Hebel für eine größere Nutzerbasis".
Datenschutzrechtliche Bedenken wehrte der Wirtschaftsrat in Gestalt seines Generalsekretärs Wolfgang Steiger damals mit der Formel "Menschenschutz vor Datenschutz" ab.
Gegenüber der Augsburger Allgemeinen sagte er: "Man kann aus der Corona-Warn-App technisch viel mehr herausholen, als wir das derzeit tun, aber dafür braucht es den politischen Willen."
"Vom Auftraggeber zum Auftragnehmer": Gottfried Ludewig
Ein bemerkenswertes Kapitel in der gemeinsamen Geschichte von CDU und CWA hat Gottfried Ludewig aufgeschlagen.
Ludewig ist 2018 vom damaligen Gesundheitsminister Spahn als Leiter der neu geschaffenen Abteilung für Digitalisierung des Gesundheitswesens im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eingesetzt worden und war maßgeblich an der Entwicklung der CWA durch T-Systems und SAP beteiligt.
Während seiner Anstellung beim BMG hatte der Sohn des ehemaligen Staatssekretärs Johannes Ludewig (CDU) sich entschieden für das E-Rezept engagiert. Wie das Fachportal Apotheke AdHoc Ende 2021 berichtete, hatte der CDUler der Kassenärzteschaft "aufsichtsrechtliche Maßnahmen" angedroht, sollten diese sich gegen sein "Prestige-Projekt" stellen.
Lauterbachs Entschluss, die digitale Patientenakte ab 2024 verbindlich einzuführen, lobte Ludewig als Durchbruch für medizinische Innovationen, deren Potenzial mithilfe künstlicher Intelligenz und der Vergabe einer digitalen Identität voll ausgeschöpft werden könnte.
Das derzeitige Konzept der Patientenakte, wie es im sogenannten Europäischen Gesundheitsdatenraum vorgesehen ist, hält der Europa-Abgeordnete der Piratenpartei und Digital-Bürgerrechtler Patrick Breyer dagegen für datenschutzrechtlich bedenklich. Im Juni sagte er, die Pläne würden sich "wie von der Industrie diktiert" lesen.
Im oben genannten Artikel hatte Apotheke AdHoc auch die aufsehenerregende Nachricht verbreitet, dass Ludewig zur T-Systems-Mutter Telekom Healthcare Solutions wechselt. Der Sprecher des Vereins LobbyControl, Timo Lange, äußerte damals Bedenken gegenüber einem Interessenkonflikt, der aus dem Wechsel "vom CWA-Auftraggeber zum Auftragnehmer" resultieren könnte.