Ukraine-Krieg, Armut und die demografische Implosion

Seite 2: Bewertung

1. Die offiziellen (Wirtschafts-)Statistiken der Ukraine spiegeln nicht mehr die Realität wider. Um die Illusion einer funktionierenden Wirtschaft zu erhalten, werden zentrale Datensätze zunehmend nicht mehr veröffentlicht und Haushaltspläne immer schneller korrigiert. Die wachsenden Träume der Geldgeber ignorieren dabei die Entstehung einer umfassenden Schattenwirtschaft.

2. Mit den umfassenden westlichen Stützungsgeldern setzt eine Kombination aus sinkendem Außenhandelsvolumen, steigender Auslandsverschuldung und nicht tragfähigem Handelsdefizits bei einseitiger Ausrichtung auf die EU ein. Läuft der Prozess weiter, kommt es zu einer radikalen De-Globalisierung der Ukraine. Ohne (zeitnahe) Mitgliedschaft in die EU oder der GUS wird sie von den internationalen Märkten weitgehend abgeschnitten. Entsprechend schleppend dürfte die zukünftige Entwicklung der (Außen-)Wirtschaft verlaufen.

3. Die ausländischen Transfers kommen primär dem hochgradig korrupten Staats- und Militärsektor zugute. Bereits jetzt dominiert dieser, gestützt auf Notenpresse, ausländischen Geldmittel, Militärgesetzgebung sowie (ausländischen) Milizen und Söldnern, die gesamte Gesellschaft. Wie seinerzeit in Afghanistan entsteht ein vom Ausland abhängiger autoritärer Staat, der keine eigenständige Wirtschaftsbasis mehr hat. Bleiben die ausländischen Transfers aus, wird der Staat sich auflösen.

4. Die zunehmend verzweifelten Forderungen, die Ukraine "durch schnelle und regelmäßige Auszahlungen der internationalen Finanzhilfen […] wirtschaftlich und finanziell über Wasser zu halten" (Kirchner und Poluschkin 2022) ist bedenklich. Eine Kontrolle der Gelder spielt keine Rolle mehr. Dass trotz enormer Unterstützung die Wirtschaftsleistung drastisch sinkt, stimmt nicht nachdenklich, sondern ist ein Argument, um noch mehr Gelder zu mobilisieren.

5. Die humanitäre Situation in der Ukraine ist schrecklich. Aus sozialer Sicht fällt sie auf das Niveau eines Dritte-Welt-Staates zurück. Entsprechend ist sowohl mit einer dauerhaften Migration der jetzigen Flüchtlinge als auch mit weiteren Auswanderungen zu rechnen. Die Bevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten deutlich zurückgehen.

Die Ukraine ist schon jetzt ein relativ dünn besiedeltes Land. Sie umfasst nur die Hälfte der Bevölkerung, aber das 1,9-fache der territorialen Ausdehnung von Deutschland. Nach dem Krieg dürfte die Siedlungsdichte in vielen Gebieten für eine wirtschaftliche Prosperität zu gering sein. Die Spielräume, sich zu entwickeln, gehen entsprechend zurück.

6. Die Ukraine ist wirtschaftlich am Ende. Eine substanzielle Binnenwirtschaft ohne Stützungen durch das Ausland existiert nicht mehr. Entsprechend kann die Ukraine aus eigener Kraft weder Wirtschaft oder Staatsapparat finanzieren, noch die (ausländischen) Schulden zurückzahlen. Es ist dabei egal, wie der Krieg endet. Die Ukraine wird auf Jahrzehnte zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik nicht mehr in der Lage sein. Sie sinkt auf den Status einer abhängigen Kolonie herab – entweder des Westens oder von Russland.

Dabei wird sie strukturell vom Wohlstand der hoch entwickelten Staaten ausgeschlossen. Selbst bei einem ununterbrochenen Wirtschaftswachstum von fünf Prozent pro Jahr bräuchte die Ukraine etwa zehn Jahre, um auf das Produktionsniveau von vor dem Krieg zu gelangen. Um auf das jetzige Wirtschaftsniveau Deutschlands zu kommen, dauert es wohl bis in die 2080er-Jahre.

* In Deutschland lag das BIP pro Einwohner 2021 bei ca. 50.000 US-$ pro Einwohner. Quelle: World Bank Indicators. Berechung: Kai Kleinwächter (zeitgedanken.blog)

Sollte die Ukraine zum alten Wachstumspfad vom vor dem Krieg zurückkehren, wird sie vielleicht irgendwann im 22. Jahrhundert zum heutigen Wohlstand der EU aufschließen können.

7. Damit stellen sich für die Unterstützer Fragen, die öffentlich ganz bewusst verdrängt werden. Jürgen Habermas schrieb in seinem jüngsten Essay:

Auch der Westen [… darf] weder die Zahl der Opfer noch das Risiko, dem die möglichen Opfer ausgesetzt sind, noch das Ausmaß der tatsächlichen und potenziellen Zerstörungen vergessen. […] Von dieser Abwägung der Verhältnismäßigkeit ist auch der selbstloseste Unterstützer nicht entlastet.

Habermas 2023

Deutschland muss eine realistische Vorstellung von der Zukunft der Ukraine finden. Kampf bis zum letzten Bewohner wird der Ukraine weder Freiheit noch Wohlstand bringen.

Kai Kleinwächter arbeitet als selbstständiger Dozent (Themen: Volkswirtschaftslehre, Marketing, Unternehmensführung). Derzeit studiert er Politikwissenschaft / Geografie auf Lehramt an der Universität Potsdam. Er ist Verlagsleiter (digital) von WeltTrends – Das außenpolitische Journal. Ebenfalls bloggt der Autor auf seiner Homepage zeitgedanken.blog
ORCID-Number: 0000-0002-3927-6245.

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