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Ukraine-Krieg: Awdijiwka operativ eingekesselt

Ukrainische Truppen sind in schwieriger Lage. Der Kampf um den strategischen Ort scheint entschieden. Was dies für den Fortgang des Krieges bedeutet. Eine Einschätzung.

Der Kampf um Awdijiwka [1] ist mit großer Wahrscheinlichkeit entschieden. War es den russischen Truppen vor Ort bisher nicht gelungen, die einzig verbliebene leistungsfähige Straße in die Stadt, den Industrialʹnyy Prospekt, unter ihre Kontrolle zu bringen, so ist genau dies nun geschehen.

Alle südlich der AKHZ-Kokerei befindlichen ukrainischen Truppen sind nun abgeschnitten. Es gibt keine militärisch tragbare Logistik-Verbindung mehr hinein in die jetzt de facto eingekesselte Stadt, dazu später mehr.

Russischen Spitzen konnten den Industrialʹnyy Prospekt auf einer beachtlichen Länge von über 850 Metern durchstoßen. Gut nachverfolgen lässt sich der Frontverlauf auf der Nato-freundlichen Deepstatemap [2] oder dem neutralen WeebUnion [3].

Der Vorstoß

Die ukrainischen Streitkräfte wurden zudem aus nahezu dem gesamten zentralen Bereich der Stadt Awdijiwka herausgedrängt, der sich zwischen der AKHZ-Kokerei im Norden und dem Bahnhof in der Mitte der Stadt befindet.

Weiterhin gelang es den russischen Kräften, die Straße nicht nur zu unterbrechen, sondern zu überschreiten. Sie nähern sich einem schmalen Waldstreifen, durch den eine der letzten Feldwege führt, der noch nicht vollständig unter russischer Kontrolle steht.

Es war anscheinend der Plan der russischen Militärführung, vor einem Vorstoß auf die Nachschubverbindung Industrialʹnyy Prospekt die Flanken sichern zu wollen. Und so ließ sie ihre Truppen südöstlich vorstoßen, und zwar in Richtung Bahnhof zwischen den Bahngleisen und dem Baggersee.

Viele erfahrene ehemalige Wagner-Soldaten befinden sich unter diesen Soldaten, Spezialisten im Häuserkampf. Und so konnten sich russische Kampfverbände jetzt bis auf gut 50 Meter an das Gelände des Bahnhofes vorarbeiten.

Die Schlammzeit

In der belagerten Stadt liegt Schnee. Und das ist nicht gut für die verteidigenden Truppen der Ukraine, denn jetzt setzt die Schneeschmelze ein. In den nächsten Tagen wird es bis zu 12 Grad warm, nur noch an wenigen Tagen soll die Temperatur tagsüber noch unter den Gefrierpunkt fallen.

Zudem könnte es Schauer geben – langsam beginnt also die berüchtigte Rasputitsa, die ukrainische Schlammperiode – selbst Kettenfahrzeuge oder Fußsoldaten haben jetzt große Schwierigkeiten, sich über diesen Schlamm fortzubewegen [4].

Die russischen Truppen sind von der Schlammzeit viel weniger betroffen als die Verteidiger, denn die Angreifer verfügen über zahlreiche, nicht von den ukrainischen Verteidigern bedrohte Logistikwege hinein in die von ihnen jetzt eingekesselte Stadt.

Die Zeit spielt für die russischen Streitkräfte. Denn während der Schlammperiode ist es für die ukrainische Führung nahezu unmöglich, über unbefestigte Feldwege Nachschub in den Halbkessel von Awdijiwka zu bringen.

Den ukrainischen Logistikern bleiben jetzt noch zwei Optionen übrig, und beide sind, um es deutlich zu sagen, katastrophal schlecht.

Welche logistischen Optionen verbleiben der Ukraine jetzt noch?

Beide Optionen beginnen in der Nordspitze der als Zitadelle dienenden Plattenhaussiedlung des 9. Quartiers. Die tatsächlich einzig verbliebene Straße heißt Kozachyy Prov. Sie führt, hier noch befestigt, am Gelände einer Spedition [5] entlang. Von dort aus haben die ukrainischen Versorgungs-Truppen zwei Optionen.

Eine Option wäre: Sie fahren einfach weiter geradeaus in Richtung Sjeverne [6]. Die Straße hört ab der Spedition gemessen nach 1,4 Kilometern auf und mündet in einen unbefestigten Feldweg. Dieser führt nördlich an einem der für die Ukraine so typischen Waldstreifen auf gerader Linie nach Sjeverne.

Das Problem: russische Truppen konnten sich bereits seit einiger Zeit dem Feldweg südlich auf nur 950 Metern nähern und sich dort festsetzen [7].

Der Waldstreifen schützt eigentlich vor den Blicken der südlich lauernden russischen Späher. Doch zum einen gibt es auf dem gläsernen Schlachtfeld keinen Blickschutz mehr, Drohnen können 24 Stunden ununterbrochen alle Bewegungen auf dem Boden mit tödlicher Präzision aufklären, und zum anderen ist es Winter, die Bäume und Sträucher tragen kein Laub.

Einmal aufgeklärt, sind ukrainische Fahrzeuge oder auch einzelne Fußsoldaten leichtes Ziel von Infanterie-Panzerlenkraketen, FPV-Drohnen, präzisionsgelenkter Artillerie oder Mehrfachraketenwerfern. Fliehende Gruppen von Infanterie können mit Streumunition ausgeschaltet werden.

Die zweite Möglichkeit der ukrainischen Versorgungstruppen besteht darin, ab der oben genannten Spedition einen nach Nordwesten in Richtung Lastochkyne führenden Feldweg [8] zu nehmen. Dieser führt über nacktes Feld [9] und ist in keiner Weise sichtgeschützt.

Für reine Infanteriebewegungen eignet sich noch ein Waldstreifen, der etwas weiter nördlich [10] gut geschützt nach Lastochkyne hineinführt.

Beide Feldwege sind einspurig und bei Regen oder Tauwetter von Fahrzeugen nicht passierbar. Und sie sind selbst durch russische Infanterie-Handwaffen mit Feuer zu kontrollieren.

Beide Feldwege eignen sich nicht, um eine kämpfende Truppe von mehreren tausend Mann täglich mit dem Nötigsten zu versorgen – die ukrainischen Soldaten in der ehemaligen Festung Awdijiwka müssen jetzt weitgehend mit dem auskommen, was noch an Material und Vorräten in den Kellern und Bunkern der Stadt eingelagert ist.

Die Position der ukrainischen Truppen ist dadurch de facto unhaltbar geworden.

Denn die ukrainischen Soldaten stehen in Awdijiwka vor mehreren massiven Problemen.

Die Probleme der Verteidiger

Da ist zum einen die russische Artillerieüberlegenheit. Und die bedeutet für die Angreifer, viel weniger Gegenbatteriefeuer fürchten zu müssen. Den ukrainischen Artillerieverbänden gelingt es zunehmend weniger, die russische Konzentration an Artillerie wirksam bekämpfen zu können – der Ukraine fehlte es an Munition.

Also kann Russland seine drückende Überlegenheit im Bereich der Artillerie voll ausspielen und die verbliebenen Stellungen der Ukraine mit drohnenkorrigiertem Artilleriefeuer unter schweren Beschuss nehmen.

Man muss sich verdeutlichen: Das heutige Artilleriefeuer ist nicht gleichzusetzen mit der Art des Einsatzes von Artillerie, wie es sie noch in vorigen Kriegen gab. So können heutzutage auch 70 Jahre alte Kanonen mithilfe von kleinen Aufklärungsdrohnen in erschreckend treffsichere Präzisionswaffen transformiert werden.

Die Wucht der Freifallbomben

Hinzu kommen noch die mächtigen FAB-Freifallbomben mit Gleitrüstsatz, die mit internen Navigationsmodulen ausgestattet sehr genau Feldbefestigungen treffen können – Beobachter gehen davon aus, dass Russland inzwischen 60 bis 110 dieser Bomben in Awdijiwka zum Einsatz bringt, und das pro Tag.

Vergleicht man die Anzahl dieser Bomben mit den Bombeneinsätzen im Zweiten Weltkrieg oder den Zahlen des Vietnamkrieges, so sind um die 100 Bomben pro Tag eine eher bescheidene Zahl. Doch der technische Unterschied zwischen den damals eingesetzten Freifall-Fliegerbomben und den heutigen Präzisionsbomben ist mittlerweile gewaltig.

Wurden in diesen vergangenen Kriegen die Bomben von Flugzeugen ungelenkt über Ziele abgeworfen und war die Genauigkeit eher bescheiden, so können die FAB-Bomben mit Gleitrüstsatz treffsicher ihre Ziele bis auf wenige Meter bekämpfen.

Und wenn wir konservativ von 60 Einsätzen der FAB-Bomben über Awdijiwka pro Tag ausgehen, dann bedeutet das eben auch der nahezu sichere Verlust von 60 schwer befestigten ukrainischen Stellungen in der Stadt pro Tag.

Der Schaden, den die Bomben anrichten, ist gewaltig und mit ihrer enormen Sprengkraft eignen sie sich in besonderem Maße eben genau für die Bekämpfung befestigter Stellungen, Betonbunker, unterirdischer Verteidigungsanlagen – der ukrainische Widerstand wird regelrecht pulverisiert.

Ein Beispielvideo findet sich bei Remylind [11], das den Einsatz mehrerer Bomben gegen das 9. Quartier zeigt. Auf dem Video sieht man deutlich die gewaltigen Dimensionen der FAB-Sprengwirkung im Vergleich zu den mehrstöckigen Sowjet-Plattenbauten.

Forbes [12] beschreibt das in einem aktuellen Artikel wie folgt:

Die gegnerische Luftwaffe hat die Zahl der Einsätze pro Tag erhöht, um Offensivaktionen im Osten der Ukraine, insbesondere in der Nähe von Awdijiwka, zu unterstützen", berichtet das Ukrainische Zentrum für Verteidigungsstrategien. "Diese Situation ist eine Folge des Mangels an Flugabwehrlenkwaffen bei den ukrainischen Verteidigungskräften."

Russische Bomben regneten auf die besten Befestigungen der 110. Brigade nieder und sprengten Lücken in die ineinander verschachtelten Verteidigungssektoren. Die russische Infanterie nutzte das schlechte Wetter, das die ukrainischen Drohnen in der vergangenen Woche am Boden hielt, um in den Norden von Avdiivka vorzudringen und sich nach Süden zu schleichen, bis sie die Hrushevsky-Straße (Industrialʹnyy Prospek) praktisch sehen konnte.

Forbes [13]

Die 110. Mechanisierte Brigade musste sich erst gestern aus Awdijiwka wegen schwerer Verluste [14] zurückziehen [15].

Die Befestigungen

Zudem mussten die ukrainischen Verteidiger ihre stärksten und seit Jahren kontinuierlich ausgebauten Verteidigungsstellungen, die sich vorgelagert am Rande der Stadt befanden, aufgeben. Innerstädtisch verfügt die Ukraine anscheinend über keine ausgebauten Stellungen mehr.

Kyiv Independent [16] berichtet darüber:

Der Bericht von Oleksandr, einem Soldaten eines Panzerabwehrzuges der 47. selbstständigen mechanisierten Brigade, deckt sich mit anderen Aussagen, wonach es an der vordersten Frontlinie in der Nähe von Awdijiwka so gut wie keine befestigten Stellungen gibt, was das Leben derjenigen, die mit der Verteidigung der Stadt beauftragt sind, zusätzlich bedroht.

Viele Infanteristen und andere Soldaten, die an der ersten Verteidigungslinie eingesetzt sind, haben sich darüber beklagt, dass ihre Stellungen - oft nur Löcher wie das von Oleksandr beschriebene - im Vorfeld der russischen Großoffensive auf Awdijiwka offenbar schlecht vorbereitet worden sind. Da die ukrainischen Streitkräfte ständig unter schwerem Beschuss stehen, bleibt kaum Zeit, weitere Stellungen zu errichten.

Kyiv Independent

Und so verbleiben den Verteidigern nur noch zwei ausgebaute Verteidigungskomplexe. Zum einen natürlich die AKHZ-Kokerei. Hinter massiven Betonmauern können sich die Truppen Kiews hier schützen, ein weitläufiges Tunnelsystem verbindet die verschiedenen Teile des Industriegiganten untereinander.

Die Befestigungen sind zu vergleichen mit denen des Asow-Stahlwerkes in Mariupol. Zum anderen gibt es die Hochhaussiedlung des 9. Quartiers [17], eine Chruschtschowka-Plattenbausiedlung mit zumeist fünfstöckigen Häusern.

Ukrainische Truppen im Süden abgeschnitten

Um dieses 9. Quartier erobern zu können, müssen russische Truppen die Front im Süden begradigen. Denn dort halten ukrainische Streitkräfte noch den nördlichen Teil der ehemaligen Flugabwehrbasis "Zenit" [18].

Dieser noch gehaltene Teil der alten Militärbasis befand sich auf dem Boden einer Tasche, die etwa 1,3 Kilometer breit und 1,6 Kilometer tief in russisches Gebiet hineinragte – doch erst gestern konnten russische Truppen diese Tasche zu einer Flasche eindrücken, die an ihrem Hals nur noch 700 Meter weit geöffnet ist.

Den Angreifern ist es gelungen, von der nordöstlich gelegenen Einfamilienhaussiedlung [19] in die stark befestigte Datschensiedlung von Norden aus kommend einzubrechen [20]. Damit sind die noch in der alten Militärbasis ausharrenden ukrainischen Truppen vom Nachschub aus dem 9. Quartier vollständig abgeschnitten, denn jetzt kontrollieren russische Kräfte alle Wege, die noch in den südlichen Teil der Flasche hineinführen. Auch in den südlichen Teil der befestigten Datschensiedlung kann nun kein Nachschub mehr gelangen.

Falls es den ukrainischen Truppen nicht gelingen sollte, die russischen Soldaten wieder zurückzudrängen, muss das Gebiet aufgegeben werden. Der Angriff auf das 9. Quartier, die sogenannte Zitadelle, könnte dann beginnen.

Spannungen in der Führung: Folgen der Ablösung von Saluschnyj

Auch wenn es dem Beobachter irrational erscheinen mag: Der ukrainische Präsident Selenskyj will die Stadt verteidigen – und das um jeden Preis. Unter anderem dieser militärische Starrsinn führte zur Entlassung des Fachmanns und Top-Generals Walerij Saluschny.

Der gelernte Jurist Selenskyj mischt sich offenbar immer mehr in die militärischen Belange der Ukraine ein [21]. Saluschny wollte die Front begradigen und die ukrainischen Truppen auf besser ausgebaute und zu verteidigende Stellungen zurückziehen.

Zwar musste sich, wie oben schon genannt, die 110. Mechanisierte Brigade nach zwei Jahren ununterbrochenen Kampf in Awdijiwka jetzt zurückziehen.

Doch der neue Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyi, soll die Stadt halten, koste es, was es wolle. Das hat er schon einmal versucht, in der für die Ukraine sehr unvorteilhaft verlaufenden Schlacht um Bachmut. Dort hat er die ukrainischen Truppen kommandiert.

Jetzt scheint Syrskyi laut Aussagen des Military Summary Channels [22] mindestens vier Reservebrigaden in und um die vor dem Fall stehende Stadt Awdijiwka geführt zu haben.

Selbst die 153 mechanisierte Brigade scheint sich darunter zu befinden. Diese ist erst im Oktober des vorigen Jahres als strategische Reserve aufgestellt worden. Doch die Brigade hat ein Problem: Es fehlt an adäquater Ausrüstung [23]. Entweder wird sie mit deutschen oder sowjetischen Oldtimern ausgerüstet – keine gute Voraussetzung, um gegen die gut bestückte russische Armee zu bestehen.

Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird Syrskyi versuchen, das Dorf Krasnohorivka [24] anzugreifen und so die in der Stadt kämpfenden, eignen Truppen zu entlasten. Allerdings ist es für eine solche Operation eigentlich schon zu spät.

Und so verbleibt als Entsatzangriff eigentlich nur noch die Option über die O0542 [25], die innerstädtisch zum jetzt abgeschnittenen Industrialʹnyy Prospekt wird. Aufgrund der drückenden Überlegenheit der russischen Streitkräfte ist die Operation gefährlich.

Forbes befürchtet denn auch ein Blutbad unter den ukrainischen Soldaten. Syrskyi kann zwar Brigaden schicken. Aber er kann seinen Soldaten nicht genügend Munition liefern:

Man kann aber nicht erwarten, dass die Ukrainer plötzlich eine Menge Munition übrig haben. In der Annahme einer langen Periode des zunehmenden amerikanischen Isolationismus und Autoritarismus investieren die europäischen Länder mehr in ihre eigenen Streitkräfte - und das bedeutet, dass sie mehr für die Produktion von Artilleriegranaten und Raketen ausgeben.

Es könnte jedoch viele Monate dauern, bis diese Munition ihren Weg in die Ukraine findet. Wenn also die Republikaner in den Vereinigten Staaten nicht einlenken und die USA irgendwie neue Hilfe für Awdijiwka beschleunigen können, werden die 110. Brigade und alle Einheiten, die sie verstärken, ihre rasch leeren Arsenale weiter abbauen.

Wenn es keine Munition mehr gibt, wird es keine Rolle mehr spielen, ob eine ukrainische Brigade in Awdijiwka steht oder zwei. Und die Entscheidung der ukrainischen Kommandeure, die Stadt zu verstärken, wird im besten Fall hinfällig sein.

Im schlimmsten Fall könnte dies zu einem Blutbad unter den ukrainischen Truppen führen, die versuchen, aus der Stadt, die sie nicht mehr verteidigen können, nach Westen zu fliehen.

Forbes [26]

Bei dem Bemühen der ukrainischen Führung, neue Kräfte nach Awdijwka heranzuführen, hat sich offensichtlich eine schwere Tragödie ereignet. In der Kleinstadt Selydowe [27] wurden anscheinend Truppen zusammengezogen, die etwa der Stärke einer halbe Brigade entsprachen, also ungefähr 1500 Mann.

Angeblich konnte Russland diese massive Truppenkonzentration aufklären und mit Streumunition bekämpfen. Zum Einsatz sollen Iskander-Raketen und Smertsch-Mehrfachraketenwerfer gekommen sein. Selydowe liegt nur rund 22 Kilometer von der Front entfernt, ist also auch durch russische Artillerie gut zu erreichen.

Es könnten bis zu 600 ukrainische Kämpfer [28] getötet worden sein. Sollten sich die Informationen verdichten, dann wäre von einem schweren Fehler des neuen ukrainischen Oberbefehlshabers auszugehen.

Mehr Informationen finden sich auf dem Substack Simplicius The Thinker [29].

Ein möglicher Kaskadeneffekt?

Die Lage der ukrainischen Truppen in Awdijiwka ist verzweifelt. Durch das vollständige Abschneiden der einzig befahrbaren Straße hat die Führung in Kiew jetzt eigentlich nur noch die Option, ihre Soldaten zu retten – das für die Ukraine so wertvolle schwere Gerät kann sie bereits jetzt nicht mehr evakuieren.

Doch selbst die Evakuierung der bloßen Soldaten ohne Ausrüstung ist aufgrund der massiven russischen Feuer-Überlegenheit gefährlich und hochriskant. Die ukrainische Führung, und hier muss man ganz klar den Präsidenten der Ukraine benennen, der fachfremd einen Haltebefehl gegeben hat, hat den Zeitpunkt verpasst, die Truppen geordnet aus der Stadt zurückzuziehen und die Wehrkraft der dort eingesetzten Streitkräfte zu retten.

Auch die Chancen für einen Gegenangriff stehen schlecht, Russland kann Gegenangriffe der Ukraine mit massiver Feuerwirkung seiner Artillerie und Raketentruppen parieren, und das auf große Entfernung, wie man das an dem vermuteten Schlag gegen die Truppenkonzentration in Selydowe gut sehen kann.

Der Angriff der russischen Truppen auf Awdijiwka, die noch im Oktober stärkste Festung der ukrainischen Front, zeigt die strategische Überlegenheit der russischen Truppen auf dem Schlachtfeld, der die Ukraine gegenwärtig offenbar nichts mehr entgegenzusetzen hat.

Was die anfänglichen russischen Verluste an gepanzerten Fahrzeugen betrifft, so scheinen diese durch die russischen Rüstungskapazitäten leicht zu kompensieren [30]. Zum anderen bedeutet ein Angriff auf derartig stark befestigte Stellungen, wie Awdijiwka dies noch im Oktober war, immer einen gewissen Materialverlust. Und natürlich leider auch an Menschen.

In Medienberichten ist öfter die Behauptung zu lesen, dass die ukrainische Seite zwar Verluste erleidet, Russland aber bis zu zehnmal mehr Soldaten verliert als die Ukraine. Aufgrund der, wie es aussieht, überwältigenden Überlegenheit an Waffen, hier vor allem bei Artillerie, Drohnen und gepanzerten Fahrzeugen, und dem Vorgehen der russischen Kommandeure, relativiert sich diese Einschätzung.

Das führt allerdings zu einer gefährlichen Fehleinschätzung der militärischen Möglichkeiten Russlands. Diese massive Fehleinschätzung hat in Deutschland mit der Vorgängerorganisation des BNDs, dem damaligen Auslandsnachrichtendienstes des Deutschen Reiches, dem Fremde Heere Ost" [31], eine tragische Tradition.

Anscheinend hat die Ukraine trotz zuletzt verstärkter Bemühung es nicht geschafft, ausreichende Verteidigungsstellungen zu bauen. In dem oben bereits zitierten Artikel des Kyiv Independent heißt es:

Die zweite Verteidigungslinie, einige Kilometer hinter der Front, befindet sich nach Angaben von fast einem Dutzend befragter Soldaten noch im Aufbau.

Während Russland seine Verteidigungslinien weiter verstärkte, obwohl es im Winter eine Offensive auf mehreren Achsen startete, scheint die Ukraine wenig getan zu haben, um sich auf eine lange Zermürbungsschlacht während ihrer Gegenoffensive im Sommer vorzubereiten.

Angesichts der derzeitigen Intensität der russischen Angriffe auf die Frontstellungen in Awdijiwka müssen die Soldaten mit dem auskommen, was sie haben, was ihr Leben in erhöhte Gefahr bringt, da sie vor den ständigen russischen Angriffen nicht ausreichend geschützt sind.

Gegenüber dem Kyiv Independent [32] erklärte das Verteidigungsministerium, die Ukraine baue seit 2014 Befestigungsanlagen in der Nähe von Awdjiwka und konzentriere sich seit 2022 auf die am stärksten gefährdeten Gebiete.

Kyiv Independent

Der anfängliche militärische Erfolg der Ukraine gegen den übermächtigen Gegner Russland wird in weiten Teilen dem geschassten General Valery Saluschnyj zugeschrieben. Die immer größer werdende Einmischung Selenskyjs in die für ihn fachfremde Welt der Kriegsführung ist sicher keine gute Nachricht im Hinblick auf künftige militärische Operationen der Ukraine.

Aber sie ist vielleicht eine gute Nachricht für all diejenigen, die sich ein baldiges Kriegsende wünschen. Und das könnte jetzt schneller als erwartet kommen. Denn der jetzt zum Greifen nahe russische militärische Großerfolg ist dazu geeignet, einen Kaskadeneffekt auszulösen.

Die hier zusammengestellten Informationen speisen sich aus folgenden OSINT-Quellen: Weeb Union, Military Summary Channel, Suriyakmap, Deepstatemap, Remilind23, HistoryLegends, simplicius76, Militaryland, Red Fish Bubble 2.1 (geschlossene Gruppe).


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Das-Endspiel-um-die-Festung-Awdijiwka-9625056.html
[2] https://deepstatemap.live/en#16/48.1539/37.7134
[3] https://www.google.com/maps/d/u/0/viewer?mid=1Iq3OLZYhIJ3WN5Lrn8jlkCjpY8Cd9uY&ll=48.153187443103086%2C37.73181526290848&z=15&entry=yt
[4] https://youtu.be/WLICYQNOJi8?si=zqzdPfuw94WnvB-T&t=352
[5] https://maps.app.goo.gl/4Da4vS1oXJZw3qgc6
[6] https://maps.app.goo.gl/GRtTXhrDeJK9dD1K6
[7] https://maps.app.goo.gl/PU6bF6D8EXUNUGD67
[8] https://maps.app.goo.gl/JZqpkBG6yrapW8m48
[9] https://maps.app.goo.gl/jRJn9yge6j1g48rP9
[10] https://maps.app.goo.gl/WhLuZHbz4bED3mLp8
[11] https://t.me/remylind21/14056
[12] https://www.forbes.com/sites/davidaxe/2024/02/11/ukraine-may-have-deployed-one-its-best-brigades-to-try-to-save-avdiivka/?sh=4743e7c5e95a
[13] https://www.forbes.com/sites/davidaxe/2024/02/11/ukraine-may-have-deployed-one-its-best-brigades-to-try-to-save-avdiivka/?sh=4743e7c5e95a
[14] https://twitter.com/Militarylandnet/status/1754779723874324647?t=l2Ee-2949c_BNWVcTmhb6A
[15] https://t.me/Rvvoenkor/62009
[16] https://kyivindependent.com/avdiivka-defense-uncertain-as-ukraine-struggles-with-fortification/
[17] https://maps.app.goo.gl/UGzvx7wTRzxMzQrC7
[18] https://maps.app.goo.gl/T4drsziVnCTDZgxY6
[19] https://maps.app.goo.gl/sqf8AkvaoQ3jXDjT8
[20] https://maps.app.goo.gl/GPwjdctt4rHEQqNQA
[21] https://www.nytimes.com/2023/11/04/world/europe/zelensky-rebuke-general-zaluzhny.html
[22] https://youtu.be/WLICYQNOJi8?si=0NGd8qhm9NVF5SDV&t=210
[23] https://www.forbes.com/sites/davidaxe/2023/12/19/ukraine-is-rearming-for-2024-with-new-brigades-and-very-old-tanks/?sh=156b01ca2729
[24] https://maps.app.goo.gl/HYZ7jRX3MuEqbN4X6
[25] https://maps.app.goo.gl/jHggXEqjmtd8zvDAA
[26] https://www.forbes.com/sites/davidaxe/2024/02/11/ukraine-may-have-deployed-one-its-best-brigades-to-try-to-save-avdiivka/?sh=4743e7c5e95a
[27] https://maps.app.goo.gl/ijbi1zz8vm9GY61JA
[28] https://twitter.com/squatsons/status/1757411772020183376
[29] https://simplicius76.substack.com/p/sitrep-21324-avdeevka-turns-critical?utm_source=profile&utm_medium=reader2
[30] https://www.iiss.org/online-analysis/military-balance/2024/02/equipment-losses-in-russias-war-on-ukraine-mount/?s=35
[31] https://de.wikipedia.org/wiki/Abteilung_Fremde_Heere
[32] https://kyivindependent.com/avdiivka-defense-uncertain-as-ukraine-struggles-with-fortification/