Ukraine-Krieg: Deutschland feiert neuen Booster für die Rüstungsindustrie
Das Gezerre um US-Militärhilfen für die Ukraine ist vorbei. Es barg Chancen, viele Tote zu vermeiden. Die Reaktionen sprechen Bände. Ein Kommentar.
Es ist eine Ironie der Geschichte. Am gleichen Tag, als das Rüstungsforschungsinstitut Sipri vermeldete, dass die Militärausgaben im vergangenen Jahr gestiegen sind, wie noch nie in der Geschichte jubelte ein Großteil der Medien und Politiker auch in Deutschland, dass der US-Kongress nun weiter an dieser Schraube gedreht hat.
Aktien steigen, Menschen fallen: Der Zynismus der Militärhilfen
"Welche Waffen jetzt in die Ukraine kommen" titelte der Merkur und lag damit im Trend fast aller Medien. Da wird abgefeiert, dass mehr Mordwerkzeuge auf ein Schlachtfeld gebracht werden, das von Waffen nur so strotzt.
Die Aktien der Rüstungskonzerne verschiedener Länder haben auf das Signal aus Washington sofort reagiert und sind gestiegen, was immer ein Zeichen dafür ist, dass bald wieder viele Soldaten fallen. Hier zeigt sich einmal mehr, wie recht alle die hatten, die von solchen Waffenlieferungen nur einen Gewinner sahen: die Rüstungsindustrie aller Ländern.
Opfer des Krieges: Das menschliche Leid hinter den Zahlen
Die Leichen hingegen stellen vor allem diejenigen, die vor 100 Jahren noch als Proletarier bezeichnet wurden. Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sind die Opfer und Gefallenen beider Seiten nicht diejenigen, die für den Konflikt verantwortlich sind, sondern die, die für ihn geopfert werden.
Neben der Rüstungsindustrie gibt es einen zweiten Profiteur der neuen Entwicklung: den untoten deutschen Imperialismus. Im neuen Gewand westlicher Werte hat er den Konflikt in der Ukraine seit spätestens 2014 kräftig angeheizt. Politiker verschiedener Parteien waren bei den Maidan-Protesten und konnten einmal lautstark jubeln, als eine bürgerlich-demokratisch gewählte Regierung verjagt wurde.
Geschichtsrevisionismus und Nationalismus
Diese Regierung hatte nichts Progressives, doch es war ein rechter Umsturz, was sich bald zeigte. Vor allem im Osten der Ukraine wurde die Machtübernahme des prodeutschen Flügels des ukrainischen Nationalismus nicht akzeptiert und es bildete sich eine Anti-Maidan-Bewegung, die etwa sowjetische Denkmäler verteidigte, die an den Sieg über den deutschen Faschismus erinnerten.
Solche Denkmäler wurden von den neuen Machthabern nach 2014 gestürzt. Dafür wurden an verschiedenen Stellen Denkmäler von zumindest zeitweiligen NS-Unterstützern wie Stepan Bandera aufgebaut. Das mochten viele Menschen vor allem im Osten der Ukraine nicht akzeptieren. Sie wurden von den neuen Machthabern seit 2014 massiv bekämpft, ihre Organisationen wurden verboten.
Der lange Schatten des Konflikts: Kriegsverbrechen seit 2014
Hier begann der Konflikt, der nach weitverbreiteter Lesart erst mit dem russischen Einmarsch vom 24. Februar 2022 zum Krieg wurde, obwohl es ab 2014 bewaffnete Auseinandersetzungen gab. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf damals "sowohl ukrainischen Milizen als auch den prorussischen Separatisten Kriegsverbrechen vor".
Nur seltsam, dass es schon als russische Desinformation gilt, wenn diese Vorgeschichte auch nur erwähnt wird. Dabei kann man doch selbst in der Berliner Galerie Between the Bridges ein dreistündiges Video sehen, das Raketenangriffe in der Ukraine zeigt. Man sieht Abschüsse am nächtlichen Himmel und hört im Hintergrund Stimmen von Menschen, die sich darüber unterhielten, welche Gebäude getroffen werden.
Doch es handelt sich nicht um aktuelle Videos. Sie zeigen die Kämpfe seit 2014, heißt es in der Erklärung. Dieses Video wird im Rahmen der Kiew-Biennale gezeigt, die noch an zwei Orten in Berlin zu sehen ist und keiner prorussischen Neigungen verdächtig ist. Nur: Warum wird das Offensichtliche nicht angesprochen, dass schon seit 2014 Menschen in der Ukraine bei militärischen Auseinandersetzungen gestorben sind?
Vielleicht auch deshalb, weil dann vielleicht weniger Menschen akzeptieren würden, dass die Lieferung von Kriegswaffen als Hilfe für die Ukraine dargestellt wird – vielleicht nicht ganz so sorglos weitere Waffenlieferungen bejubeln an einem Tag, an dem ein Höchststand an Militärausgaben vermeldet wird.
Klimakiller und Geopolitik: Die doppelte Last der Militarisierung
Da wird auch kein Einspruch gegen Rüstung und Militär als Klimakiller Nummer eins erhoben, obwohl sonst ständig betont wird, wie wichtig doch der Schutz der Ökosysteme und natürlichen Lebensgrundlagen ist.
Wenn es um die geopolitischen Interessen verschiedener kapitalistischer Blöcke und der Rüstungsindustrie aller Länder geht, rücken ökologische Interessen weit nach unten.
Es gäbe also viele Gründe, sich dagegen zu wehren, dass noch mehr Waffen auf das ukrainische Schlachtfeld geworfen werden. Hier könnten verschiedene Teilbereichskämpfe zusammenwirken.
Konsequenzen des Krieges: Propaganda und die Opfer
Die einen verweisen auf das Klima, die anderen auf die angekündigten weiteren Angriffe auf die Rechte armer Menschen, die etwa die FDP am Wochenende auf ihrem Parteitag formuliert hat. Das ist die alte Politik: Kanonen statt Butter und es gibt auch schon Politiker, die das ganz offen aussprechen.
Im Hinblick auf Propaganda nehmen sich alle Beteiligten dieses geopolitischen Konflikts nichts – auch hier herrscht eine Dauerbeschallung, um die Bevölkerung im Sinne des deutschen Imperialismus zu konditionieren.
Da macht eigentlich nur die Losung Sinn, die schon die linke Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg propagierte: "Das ist nicht unser Krieg." Für die Normalsterblichen ist es kein Grund zur Freude, wenn aus Washington ein Booster für die Rüstungskonzerne kommt und arme Menschen dafür ihr Leben opfern sollen.
Denken in rein militärischen Kategorien
Insofern ist das Gezerre um die Waffenlieferungen aus den USA auch eine verpasste Chance in Deutschland: Gegner dieses Krieges hätten noch einmal ganz deutlich machen müssen, dass diese Verzögerung ein Grund zur Hoffnung ist, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen und damit das Morden zu beenden.
Wenn dann immer wieder behauptet wird, dass Russland keine Verhandlungen will, hätte man doch die Konzepte auf den Tisch legen können, die im März 2022 schon zwischen der Ukraine und Russland diskutiert werden: Verzicht auf Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, aber EU-Mitgliedschaft und internationale Garantien.
Zukunftsaussichten: Weiteres Blutvergießen oder Friedenschance?
Mittlerweile wurde von sehr unterschiedlichen Quellen bestätigt, dass es diese Verhandlungen gab und sie in dem Augenblick abgebrochen wurden, als die Ukraine sich Hoffnungen machte, mit Unterstützung des globalen Westens Russland in die Knie zu zwingen. Mehr als zwei Jahre danach sollte klar sein, dass eine Unterzeichnung im März 2022 viele Menschenleben auf beiden Seiten gerettet hätte.
Es gibt nur zwei Szenarien. Die Ukraine wird weiterhin zum Schlachtfeld verschiedener geopolitischer Interessen und blutet dabei aus. Zugleich steigt die Gefahr, dass sich der Konflikt ausweitet.
Oder das Töten wird gestoppt – wobei die Parole "Das ist nicht unser Krieg" kein deutsches Desinteresse am Sterben in der Ukraine ausdrücken soll, sondern sich gerade auch auf ukrainische Menschen bezieht, die das es ähnlich sehen und sich trotz Gefährdung durch Repression weigern, das Kanonenfutter für diesen Krieg abzugeben.
Dass die Zahl der Militärverweigerer in der Ukraine und hoffentlich auch in Russland nicht abnimmt, ist ein ermutigendes Zeichen. Dass in Deutschland die Wochen des Gezerres um die US-Rüstungslieferungen nicht genutzt wurden, gegen die weitere Militarisierung auf die Straße zu gehen, ist hingegen ein bedenkliches Zeichen.