Ukraine-Krieg: Die Bedrohungen am Himmel

FAB-3000. Bild: Russisches Verteidigungsministerium.

Rostec entwickelt FAB-3000 weiter: Gleitbomben, die schwer zu erkennen und extrem zerstörerisch sind. Damit könnte sich die militärische Lage weiter verschärfen. Eine Einschätzung.

Der Krieg in der Ukraine zeichnet sich in technischer Hinsicht durch eine hohe Dynamik aus. Russische Gleitbomben haben sich in dem jetzt seit über zwei Jahren tobenden Krieg zu echten Gamechangern entwickelt und könnten den Krieg tatsächlich für Russland entscheiden.

Erst vor wenigen Wochen wurde die bisher größte jemals zum Einsatz gebrachte Gleitbombe der Welt, die FAB-3000 mit UMPK-Gleitrüstsatz, im Ukraine-Krieg verwendet. Nun hat der staatliche Rüstungskonzern Rostec am 15. Juli angekündigt, die FAB-3000 entscheidend weiterzuentwickeln. Und zwar vermutlich zu einem sehr großen Kurzstrecken-Marschflugkörper.

Rostec gibt auf seinem Telegram-Kanal bekannt, hier zitiert nach iz.ru:

Es wird an einer verbesserten Variante von Modulen gearbeitet, die die Reichweite der Munitionsanwendung deutlich erhöhen wird.

Aufgrund ihrer wenig optimalen aerodynamischen Eigenschaften schafft die Riesen-Gleitbombe nur um die 50 bis 60 Kilometer, auch wenn sie aus großer Höhe abgeworfen wird.

Höhere Präzision und optimierte Reichweite

Die russischen Ingenieure bei Rostec haben den Gleitrüstsatz für die FAB-3000 schon angepasst, so sind wohl die Aktoren stärker gebaut und sowohl die Ruder als auch die Tragflächen vergrößert worden. Das soll für eine höhere Präzision und eine optimierte Reichweite sorgen.

Doch die Ankündigung von Rostec lässt noch weit größere Veränderungen am Gleitrüstsatz UMPK vermuten. Zwar könnten weiterhin die aerodynamischen Eigenschaften der Waffe verbessert werden, doch sind dem natürliche Grenzen gesetzt.

Eher kann vermutet werden, dass der Gleitrüstsatz mit einem kleinen Strahltriebwerk ausgestattet werden könnte, etwa mit einem Turbofan. Das könnte ihm einen Boost geben, um etwa über die 100-Kilometer-Marke zu kommen. Je nach gewählten Triebwerk wären auch erheblich größere Reichweiten möglich.

Allerdings sind das alles Spekulationen, es gibt nur die oben genannte Information Rostecs, die Reichweite "deutlich" erhöhen zu wollen.

Herausforderung für die ukrainische Armee

Die Waffe wäre aber auch mit über 100 Kilometer Reichweite und einer gesteigerten Präzision – schon jetzt geben russische Piloten eine Genauigkeit von zehn Metern an – eine enorme Herausforderung für die ukrainische Armee.

Wenn Rostec den UMPK-Gleitrüstsatz tatsächlich mit einem Strahltriebwerk ausstatten würde, so würde die Gleitbombe allerdings eines ihrer größten Vorteile beraubt werden: zurzeit sendet sie keine Wärme aus. Ein Strahltriebwerk hat eine große thermische Signatur, auf die Flugabwehrraketen aufgeschaltet werden können. Das Abfangen einer "kalten" Gleitbombe dagegen ist nahezu unmöglich.

Um der Gefahr zu entgehen, von der ukrainischen Flugabwehr erfasst zu werden, wäre es allerdings denkbar, dass ein etwaiger Antrieb der Riesenbombe nur unmittelbar nach dem Abwurf durch das Kampfflugzeug für kurze Zeit läuft und sich dann wieder abschaltet – dann wäre die Bekämpfung wieder schwierig und die Bombe hätte trotzdem eine größere Reichweite.

1.400 Kilogramm Sprengstoff

Die Vorteile der FAB-Gleitbomben liegen auf der Hand: Anders als echte Marschflugkörper sind zu Gleitbomben aufgerüstete Freifallbomben billig in großen Mengen herzustellen und mit ihren enorm großen Sprengköpfen auch wirksamer. Die FAB-3000 enthält enorme 1.400 Kilogramm Sprengstoff.

Entsprechend schwere Schäden kann die Bombe verursachen. Ein russischer Pilot gibt auf X eine Schadwirkung in einem Radius von einem Kilometer an. Die Bombe verursacht einen Explosionspilz, ganz ähnlich einer Atombombe.

Welchen Schaden die Gleitbomben inzwischen anrichten, zeigt ein neues Video auf Telegram, das die Verwüstungen in der seit Beginn der Charkow-Operation heftig umkämpften Stadt Woltschansk zeigt.

Videovergleich

Vergleicht man das oben verlinkte Video von Woltschansk mit Videos von Bachmut kurz vor der Eroberung durch die russische Armee, hier und hier, so fallen sofort die ungleich größeren Schäden in Woltschansk auf.

Auf den beiden Bachmut-Videos sind die Gebäudehüllen der meisten Plattenbauten noch intakt. Man muss einschränken, dass Bachmut ungleich größer ist als Woltschansk und eine deutlich höhere Anzahl an mehrstöckigen Plattenbauten aufwies. Doch Bachmut war länger umkämpft und es war eine sehr große Anzahl an Artillerie zusammengezogen worden.

Der Videovergleich lässt deshalb auf eine verbesserte Taktik der russischen Armee schließen, auf eine Perfektionierung der Luftkriegsführung gegen Bodenziele in der Ukraine.

Auf dem oben verlinkten Video aus Woltschansk fällt auf, dass viele Plattenbauten bis auf die Grundmauern zerstört sind und nur noch als Schuttberge zu erkennen sind – eine tatsächlich neue Entwicklung. Dabei gelten sowjetische Plattenbauten als äußerst widerstandsfähig.

Aus dem Video könnte man weiter den Schluss ziehen, dass die Zahl der Opfer unter den ukrainischen Soldaten außerordentlich hoch gewesen sein muss.

Nach Betrachtung der beiden Bachmut-Videos, die in den letzten Tagen vor der russischen Eroberung entstanden sind, kann man sich gut vorstellen, dass dort ukrainische Truppen in den Gebäuden eine Verteidigungsstellung halten und theoretisch überleben können. In einem mehrstöckigen Gebäude, von dem nach FAB-Schlägen nur noch ein großer Schutthaufen übrig bleibt, ist das nur schwer vorstellbar.

Die in dem Woltschansk-Video zu sehenden Verwüstungen könnten auch eine Erklärung sein, warum die ukrainische Armee trotz erdrückender Überzahl in diesem Sektor die russischen Einheiten nicht aus der Stadt vertreiben kann.

Die Stärke der Verbände

Nach der als recht zuverlässige Quelle geltende ukrainischen OSINT-Webseite Militaryland sind auf russischer Seite lediglich eine Brigade und zwei Regimenter eingesetzt. Das sind maximal 12.000 Soldaten.

Die ukrainische Führung hat dagegen eine zahlenmäßig starke Armee aufgeboten. Sie besteht, wenn man nur die Truppen zählt, die unmittelbar in Woltschansk liegen, aus vier Brigaden und drei Bataillonen. Das sind maximal 23.600 Soldaten.

In unmittelbarer Umgebung, in einem Radius von nur sechs Kilometern um die Stadt, liegen weitere drei Brigaden mit maximal 15.000 Mann und zwei Freiwilligenverbände, deren Größe schwer einzuschätzen ist. Lassen wir die Freiwilligenverbände weg, so kommen wir auf eine Gesamtstreitmacht von maximal 38.600 Soldaten, die maximal 12.000 russischen Soldaten gegenüberstehen. Und diese nicht aus der Stadt vertreiben können.

Die tatsächliche Stärke der Verbände lässt sich allerdings nur schwer schätzen, hier sind bei beiden Armeen die maximal möglichen Zahlen verglichen worden.

Klar ist aber, dass derart viele ukrainische Brigaden an anderen Frontabschnitten schwere Lücken in die Front der Verteidiger reißen. Und in Woltschansk reißen Gleitbomben der russischen Luftstreitkräfte schwere Lücken in die Reihen der ukrainischen Armee.

"FAB-Krise"

Wenn die FAB-3000 wie angekündigt in die Massenfertigung geht, dann verheißt das nichts Gutes für die Ukraine. Eine Riesen-FAB mit reichweitengesteigertem UMPK-Gleitrüstsatz dürfte die Situation an der Front für die ukrainische Militärführung weiter spürbar verschärfen.

Eine Situation, die der österreichische Oberst Markus Reisner schon jetzt als "FAB-Krise bezeichnet.