Ukraine-Krieg: Einsatz von Atomwaffen wieder möglich
- Ukraine-Krieg: Einsatz von Atomwaffen wieder möglich
- Ein kurzer Rückblick: Atomkriegsgefahren im ersten "Kalten Krieg"
- Ukraine-Krieg: Auch der Einsatz von Atombomben wieder möglich
- Neue Forschungen: Folgen eines "begrenzten" Atomkriegs
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Blick in die Geschichte der atomaren Aufrüstung und der Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge. Neue Forschungen: Auch "begrenzter" Atomkrieg hätte global verheerende Folgen. Ein Appell zur derzeitigen Atomkriegsgefahr.
Als Arzt und langjähriges Mitglied der Kieler Gruppe der IPPNW, das ist die Abkürzung für die berufsbezogene Friedensorganisation "Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung", die 1985 den Friedensnobelpreis erhalten hat, bin ich über die derzeitig drohende Atomkriegsgefahr sehr besorgt. Seit Beginn des Ukraine-Krieges besteht diese Gefahr wieder ganz real und das sollte uns alle zutiefst beunruhigen.
Einige Vormerkungen
Ich bin Jahrgang 1941, also im Zweiten Weltkrieg geboren, und seit vielen Jahrzehnten ein interessierter Beobachter der internationalen Politik.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich im Laufe der Jahrzehnte gewonnen habe, ist die, dass es in der internationalen Politik nicht um hehre Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte geht, sondern um Interessen, z. B. Wirtschafts-, Macht- und Sicherheitsinteressen. Das hat schon Egon Bahr, der 2015 verstorbene Architekt der Entspannungspolitik von Willy Brandt, einmal so oder ähnlich ausgedrückt.
Daraus folgt: Es gibt in der internationalen Politik nicht nur "schwarz oder weiß", nicht "die Guten" und "die Bösen", wobei wir ja immer die Guten und die Anderen (im Augenblick Russland und ganz besonders Putin) die Bösen sind, sondern es sind von mir in dieser Hinsicht bestenfalls Unterschiede in Abstufungen von Grautönen auszumachen.
Die Moralapostel in der Politik sind mir deshalb höchst verdächtig, dass sie ganz andere Ziele verfolgen, etwa unter der Fahne der Menschenrechte Kriege zu führen. Ein Beispiel dafür ist der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA und des Westens gegen Serbien 1999, an dem auch Deutschland an führender Stelle beteiligt war. Für mich ist dagegen der Frieden das wichtigste Menschenrecht (abzuleiten aus Art. 3 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Uno 1948). Ich möchte an dieser Stelle noch einmal an Willy Brandt erinnern, der einmal sagte:
Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.
Weiterhin: Ich bin ein Mediziner, der sich seit mehr als 50 Jahren um die Behandlung kranker Menschen bemüht und darüber hinaus im medizinischen Bereich wissenschaftlich tätig war.
Daraus folgt: Ich bin kein Historiker, kein Politikwissenschaftler, kein Atomwissenschaftler und auch kein Völkerrechtler. Deshalb stütze ich meine Ansichten gerne auf die Aussagen einer Reihe von wissenschaftlichen Experten aus diesen Fachgebieten, – soweit ich ihre Expertisen für vernünftig, plausibel und nachvollziehbar halte –, und weiß natürlich auch, dass ich nicht immer den Stein der Weisen gefunden habe.
Hervorheben möchte ich aus dieser Reihe von Fachleuten den US-amerikanischen Politikwissenschaftler John Mearsheimer, der prominenteste Vertreter der realistischen Schule der Geschichtswissenschaft in den USA, der mir derzeit als eine der wenigen Stimmen der Vernunft erscheint und auf dessen Einschätzungen ich mich im Folgenden besonders beziehen werde.
Mearsheimer und die anderen von mir zitierten US-Wissenschaftler sind keine besonderen Freunde Russlands oder Putins. Sie sind aber im Gegensatz zu den derzeit in den USA herrschenden "Falken" um einen vernünftigen Interessenausgleich mit Russland bemüht.
Zur Vorgeschichte des Ukraine-Krieges
Mearsheimer gehört zu den Wissenschaftlern, die die Position vertreten, dass der am 24.2.2022 erfolgte Angriff Russlands auf die Ukraine völkerrechtswidrig war und von ihm deshalb auch entschieden verurteilt wird.
Aber dieser schreckliche Krieg ist am 24. Februar dieses Jahres nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sondern ist Folge der Ukraine-Krise, die Ende der 1990er-Jahre mit der schrittweisen Osterweiterung der Nato – entgegen allen vorherigen Zusagen gegenüber der russischen Führung – begann und deshalb eine langjährige, die Interessen Russlands provozierende Vorgeschichte hat, für die nach Auffassung von Mearsheimer die USA und der Westen die Hauptverantwortung tragen.
Seit dem Maidan-Umsturz in Kiew 2014, bei der eine demokratisch-gewählte "russlandfreundliche" Regierung in der Ukraine durch eine "prowestliche" gewaltsam ersetzt wurde, habe sich die Ukraine-Krise noch einmal erheblich verschärft.
So sei es seit dieser Zeit im Osten und Süden der Ukraine zu einem acht Jahre andauernden Bürgerkrieg zwischen großen Teilen der dortigen russischsprachigen Bevölkerung und der Kiewer Putsch-Regierung gekommen, über den in unseren Hauptmedien jedoch nur kaum berichtet wurde, obwohl dort in diesen acht Jahren ca. 14.000 Zivilisten durch die Kriegshandlungen getötet worden sind.1
2015 wurden dann die Minsker Abkommen über den Frieden im Donbass von Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland unterzeichnet.
Nach dem völkerrechtlich-verbindlichen Minsk-II-Vertrag sollte der Donbass eine weitgehende Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten. Wäre dieser Vertrag umgesetzt worden, wäre der Ukraine-Krieg wahrscheinlich vermieden worden. Ich frage mich, warum haben die damalige Bundesregierung und Frankreich als Signaturstaaten dieses Vertrages nicht für dessen Umsetzung gesorgt?
Ursache der Ukraine-Krise ist nach Mearsheimer, dass seit dem Nato-Gipfel 2008 die US-Regierung die Ukraine in die Nato aufnehmen will, um Russland als geostrategischen Konkurrenten in die Knie zu zwingen bzw. auszuschalten.
Russland habe deshalb allen Grund zu befürchten, dass mit der Ukraine als Mitglied der Nato ein weiteres prowestliches Bollwerk direkt an seiner Grenze entsteht. Von Russland werde das als eine existenzielle Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen angesehen, sagt Mearsheimer, die es nicht hinnehmen will.
Seit 2015 sind von Mearsheimer eine große Anzahl von Video-Vorträgen und Interviews über die Vorgeschichte und die Hintergründe des Ukraine-Konflikts mit diesen Einschätzungen bei Youtube erschienen, die zum Teil bis zu 27 Millionen Aufrufe erhielten. Darin und auch in vielen Artikeln, die in renommierten Zeitschriften abgedruckt sind, begründet er seine zur offiziellen US-Politik kontroversen Thesen.
Informationskrieg und Propaganda des Westens
Dennoch haben die westlichen Hauptmedien im laufenden Informationskrieg gegen Russland das Kunststück fertiggebracht, dass diese Gesichtspunkte, die auch von einer Reihe weiterer US-Wissenschaftler und auch prominenter US-Politikern wie George Kennan vertreten worden sind, in einem Gedächtnisloch entsorgt wurden und in der öffentlichen Diskussion praktisch nicht zur Kenntnis genommen werden.
Zum laufenden Informationskrieg und zur alltäglichen Propaganda gehört auch die Behauptung, dass das derzeitige Russland eine imperiale Macht sei und es Putin gar nicht um die Osterweiterung der Nato gehe, sondern um die Wiederherstellung der Sowjetunion.
Während dieses Narrativ in den westlichen Hauptmedien und von praktisch jedem westlichen Führer immer und immer wieder wiederholt werde, gibt es jedoch keine Beweise dafür, auf die es sich stützen könne, urteilt Mearsheimer.
Zum Beispiel betonen einige, dass Putin gesagt habe, dass die Ukraine ein "künstlicher Staat" oder kein "realer Staat" sei. Solche undurchsichtigen Kommentare sagen jedoch nichts über sein Motiv aus, in den Krieg zu ziehen. Dasselbe gilt für Putins Aussage, er betrachte Russen und Ukrainer als "ein Volk" mit einer gemeinsamen Geschichte.
Andere weisen darauf hin, dass Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion "die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts" nannte. Ja, aber Putin sagte auch:
Wer die Sowjetunion nicht vermisst, hat kein Herz. Wer sie zurückhaben will, hat kein Hirn.
Wieder andere weisen auf eine Rede hin, in der er erklärte, dass "die moderne Ukraine vollständig von Russland oder, um genauer zu sein, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland geschaffen" worden sei.
Aber wie er in derselben Rede in Bezug auf die heutige Unabhängigkeit der Ukraine sagte:
Natürlich können wir vergangene Ereignisse nicht ändern, aber wir müssen sie zumindest offen und ehrlich zugeben.
Mearsheimer meint: Um zu argumentieren, dass Putin entschlossen war, die gesamte Ukraine zu erobern und sie in Russland einzugliedern, sei es notwendig, Beweise dafür zu liefern, dass er erstens dachte, es sei ein wünschenswertes Ziel, dass er zweitens dachte, es sei ein machbares Ziel, und drittens beabsichtigte, dieses Ziel zu verfolgen. Dafür gebe aber keine Beweise in den öffentlichen Aufzeichnungen.2
Das ist aus meiner Sicht der derzeitige geopolitische Rahmen, auf den ich nicht weiter eingehen kann, sondern auf eine Reihe von Artikeln von mir verweisen möchte, die in den letzten Monaten in Telepolis erschienen sind.3
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