Ukraine-Krieg: "Es ist uns egal, wie lange es dauert"

US-Geheimdienste: Das Hauptziel der ukrainischen Gegenoffensive wird dieses Jahr nicht erreicht. Die russische Verteidigung ist stärker als angenommen und die Offensive geprägt von strategischen Fehlern. Durchhalten heißt die Parole?

Es ist ein Appell an die Opferbereitschaft, den der Chef des US-Generalstabs, General Mark A. Milley, vergangene Woche erneuert hat. Dass die Offensive der Ukraine "langwierig, blutig und langsam" sein würde, habe er schon vor ein paar Monaten gesagt, wird er von der Washington Post:

"Und genau das ist es auch: lang, blutig und langsam, und es ist ein sehr, sehr schwieriger Kampf."

US-Wahlkampf: Auseinandersetzungen zwischen Demokraten und Republikanern

Wie lang dieser verlustreiche Kampf der Ukraine von den USA mit Waffen und Geld unterstützt wird, ist ein Thema im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2024. Dort finde eine "Zeitenwende" mit wahlpolitischen Erwägungen statt, die in "unseren" innenpolitischen Debatten in Europa noch unterschätzt würden, so Fabio De Masi.

Aus den Reihen der Republikaner gibt es bekanntlich Positionen, die die Hilfe einschränken wollen. Die Kritik an Bidens Unterstützung wird wachsen, wenn der militärische Erfolg der Ukraine gegen Russland ausbleibt.

Dem entgegen steht ein anderes Kalkül. Dies legte kürzlich der Vorsitzende der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, dar. McConnell, der für eine weitere Unterstützung eintritt, stellte heraus, dass sich aus der Hilfe für USA wirtschaftliche Vorteile ergeben, zumal die US-Öffentlichkeit bei diesem Krieg mit Bildern von getöteten US-Soldaten verschont bleibe.

Der Großteil des Geldes, das in Zusammenhang mit dem Krieg für die Ukraine ausgegeben wird, würde der Wirtschaft in den USA zugutekomme, weil es dort ausgegeben wird: für Aufrüstung, für neuere, moderne Waffen. Das schaffe Arbeitsplätze.

Doch ist unklar, wie weit dieses Argument tragen wird, wenn die USA-Öffentlichkeit noch stärker mit Aussichten konfrontiert wird, wie sie eine aktuelle Einschätzung der US-Geheimdienste präsentiert, "die einigen Republikanern und Demokraten auf dem Capitol Hill mitgeteilt wurden", wohl um die US-interne Auseinandersetzung mit Informationen zu füttern.

Die Einschätzung der Geheimdienste

Die Kernaussage der "Intelligence"-Einschätzung, die heute auch von vielen deutschen Medien aufgenommen wurde, lautet:

Der US-Geheimdienst geht davon aus, dass die ukrainische Gegenoffensive die wichtige südöstliche Stadt Melitopol nicht erreichen wird, so Vertreter, die mit der Einschätzung vertraut sind.

Sollte sie sich als richtig erweisen, würde dies bedeuten, dass Kiew sein Hauptziel, die russische Landbrücke zur Krim zu kappen, in diesem Jahr nicht erreichen wird.

Washington Post

Richtig neu ist nicht, was als Gründe für das Stocken der Offensive in dem Artikel der Washington Post angeben wird. Hauptsächlich ist es, was mit dem Unterton einer leichten Verblüffung wiedergegeben wird ("fast alle sind sich einig, dass Russland die Erwartungen übertroffen hat, wenn es um seine Fähigkeiten bei der Verteidigung besetzter Gebiete geht"), die Stärke der russischen Verteidigung.

Dass es mehrere Verteidigungslinien sind, die bislang nicht, in nächster Zeit kaum oder jedenfalls nur mit großen Verlusten zu überwinden sind, die Minenfelder und die Hubschrauber, die die Verteidigung aus der Luft unterstützen.

Die düstere Einschätzung basiert auf Russlands brutaler Kompetenz bei der Verteidigung besetzter Gebiete durch eine Phalanx von Minenfeldern und Schützengräben und dürfte in Kiew und in westlichen Hauptstädten zu Schuldzuweisungen darüber führen, warum eine Gegenoffensive, für die westliche Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von mehreren Milliarden Dollar bereitgestellt wurden, ihre Ziele nicht erreicht hat.

Washington Post

Darüber hinaus werden der Ukraine von US-amerikanischer Seite strategische Fehler vorgehalten: zu viel Konzentration auf den Süden des Landes, zu viel Einsatz beim Kampf um Bachmut - alles bislang ohne ein tragfähiges Ergebnis:

"Die Ukrainer haben monatelang enorme Ressourcen in Bachmut gesteckt, darunter Soldaten, Munition und Zeit, aber sie haben die Kontrolle über die Stadt verloren und nur bescheidene Fortschritte bei der Eroberung von Gebieten um sie herum erzielt."

Da wichtige Waffenlieferungen, wie zum Beispiel F-16-Jets aus den Niederlanden, noch einige Monate brauchen (wegen der Ausbildung der Piloten), setzt man, wie es durchscheint, auf die Moral, den Kampfgeist, das Durchhalten.

Ermunterungen

"Es ist uns egal, wie lange es dauert", wird der ukrainische Außenminister Kuleba zitiert. Dazu gibt es auch Ermunterungen von General Mark A. Milley: "Die Russen sind in einer ziemlich schlechten Verfassung. Sie haben eine große Anzahl von Verlusten erlitten. Ihre Moral ist nicht besonders gut."

In die Richtung "Durchhalten" plädiert auch der französische Militäranalyst Michel Goya in seiner aktuellen Lagebeschreibung. Auch er stellt ein Stocken der Offensive fest und enorme Schwierigkeiten. Bislang würden die Verluste der russischen Armee kein Signal einer Schwächung geben.

Durchhalten

Goya verwendet für das "Patt", das realiter ein blutiger Zermürbungskrieg ist, die Metapher des Armdrückens (bras de fer). Bei diesem Kampf ist im französischen Bild der Wille mitentscheidend, als politisches Bild werde der bras de fer als der Einschüchterungstaktik verwendet, "die darauf abzielt, den Gegner zum Einlenken zu bewegen, indem sie ihn glauben lässt, dass er auf eine unfehlbare Entschlossenheit stößt", so die Aufklärung über das französische Google.

Bei Goya liest sich das im aktuellen Fazit so: Durchhalten und militärisch auf längere Frist aufbauen:

Ich bin mir nicht sicher, wie sich die ukrainische Armee verändern wird, aber sie wird es tun müssen, um ihre operative und taktische Feuerkraft und ihre Angriffstechniken um das Drei- bis Vierfache zu erhöhen.

Wie bei der Operation "Sturm" in Kroatien im August 1995 wird es dann - und nur dann - möglich sein, plötzlich wieder in die Offensive zu gehen und das gesamte ukrainische Territorium zu befreien.

Wladimir Putin und seine Getreuen versuchen den Eindruck zu erwecken, dass die Zeit für sie spielt, nichts könnte falscher sein.

Die Ukraine und ihre osteuropäischen Verbündeten bilden die Zone der Welt, die am schnellsten militärisch aufgerüstet und umgebaut wird. Wenn man sich für eine Macht hält und wie Frankreich am Weltgeschehen teilhaben will, ist man dort zweifellos am besten aufgehoben.

Michel Goya

Der "Frieden um jeden Preis", so Colonel Goya, sei der heuchlerischste. Womit man beim Thema der Maximalforderungen wäre: