Ukraine-Krieg: IPPNW fordert Waffenstillstand zur Vorbeugung einer Eskalation
"Taurus"-Marschflugkörper für die Ukraine: Das Risiko, dass die Nato zur Kriegspartei wird, steigt. Auch aus humanitären Gründen muss es zum Ende der Kriegshandlungen kommen.
Die Debatte um die Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine spitzt sich zu, während Kiew zeitgleich offenbar zunehmend Ziele in Russland angreift. Attacken mit westlichen Waffen auf russisches Kerngebiet würden nach Medienberichten aus Sicht der USA und auch des Bundeskanzlers "die Gefahr bergen, dass die Nato in dem Konflikt Kriegspartei wird".
Der Marschflugkörper "Taurus" hat eine Reichweite bis zu 500 km. Deshalb würde eine technische Limitierung der Reichweite in der Zielprogrammierung, die durchaus möglich wäre, geprüft.
Der Militärexperte Oberst a.D. Ralph Thiele warnte allerdings im ZDF-Interview, die Ukraine sei in der Informationstechnologie hochprofessionell und es wäre "naiv zu denken, dass sie das, was wir jetzt als Begrenzung in den Taurus einbauen, nicht überwinden können".
Wir würden uns "in eine immer tiefere Einbindung in diesen Konflikt" hineinschleichen, so Thiele. Grundsätzlich stünde am Ende der vertikalen "Eskalationsleiter" der Einsatz von Nuklearwaffen.
"Ein Nuklearkrieg wird mit ziemlicher Sicherheit nicht begrenzt bleiben", darauf wies meine Organisation, die Internationalen Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) auf ihrem Weltkongress in Mombasa im April 2023 hin.
Militärische Planspiele führen regelmäßig zur totalen Eskalation und gegenseitigen Vernichtung, sobald Atomwaffen eingesetzt werden.
Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand im Ukrainekrieg hat deshalb für die IPPNW als Organisation zur Verhütung des Atomkriegs eine zentrale Bedeutung.
Vor dem Hintergrund der Debatte um die Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine warnt die IPPNW, daher vor einer Eskalation des Krieges bis hin zur Möglichkeit eines Atomkriegs oder einer horizontalen Eskalation, bei der die Nato oder zunächst einzelne Nato-Staaten Kriegspartei würden.
Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und anschließende Friedensverhandlungen, um eine weitere Eskalation durch Prävention zu verhüten.
Aus humanitären Gründen zu einem Ende der Kriegshandlungen kommen
Auch unabhängig vom Eskalationsrisiko müssen wir aus humanitären Gründen zu einem Ende der Kriegshandlungen kommen, um das tägliche Sterben und die Traumatisierungen sowohl der Zivilbevölkerung wie auch der Soldat:innen zu beenden; und auch, um die zusammenhängenden, teilweise globalen Krisen, wie z.B. die Hungersnot, zu mildern.
Als IPPNW verweisen wir auf die inzwischen zahlreichen Vorschläge und Initiativen, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie zu beenden.
In jüngster Zeit gab es mehrere Friedensinitiativen und Vermittlungsangebote. Sie kamen beispielsweise aus Brasilien, China, Indonesien und dem Vatikan. In Kopenhagen und Dschidda haben Vertreter der Ukraine und anderer Nationen, auch aus dem Globalen Süden, unter anderem über Selenskyjs "Friedensformel" diskutiert.
Zudem setzt sich eine afrikanische Delegation von mehreren Staats- und Regierungschefs um den südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa für einen Friedensplan für die Ukraine ein.
Unsere Einschätzung ist: Die Chancen dieser Initiativen für einen Waffenstillstand und Verhandlungen steigen, wenn solche Bemühungen Unterstützung aus der Zivilgesellschaft und der Friedensbewegung erfahren.
Dr. Ralph Urban ist Mitglied im Vorstand der IPPNW Deutschland