Ukraine-Krieg: Kampf um die Festung Awdijiwka

Kamow Ka-52 Alligator. Bild: Alex Beltyukov / CC BY-SA 3.0 Deed

Abnützungskrieg: Russland rückt weiter vor, während die Ukraine erfolgreich eine Hubschrauber-Basis mit ATACMS attackiert. Was bedeuten die neu gelieferten US-Raketen für die russische Militäroperation?

Die russischen Streitkräfte rücken an mehreren Frontabschnitten weiter vor. Besonders in Awdijiwka wurden offenbar begrenzte, aber wichtige Geländegewinne verzeichnet. Der Vormarsch zu dem strategisch wichtigen Ort verläuft zurzeit über vier Angriffsachsen:

1) Von Vodyane Richtung Pervomaiske machte die russische Armee in den letzten Stunden Vorstöße westlich von Pervomaiske bis zum Novoavdeevskiy-Teich.

2) Von Vodyane Richtung Sjeverne und Tonenke konnte die russische Armee eine Hügelkette und Stellungen der ukrainischen Armee, etwa zwei Kilometer von Tonenke und nur ein Kilometer von Sjeverne entfernt, unter ihre Kontrolle bringen.


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3) Nördliches Donezk: Von den Güterbahnhöfen Richtung südliches Awdijiwka, nördlich des Bahndammes konnte die russische Armee anscheinend ihre Stellungen weiter Richtung Awdijiwka festigen.

4) Für den Norden, Richtung Stepowe und Berdychi, gibt es widersprüchliche Meldungen. Anscheinend hat es einen Gegenangriff der ukrainischen Streitkräfte gegeben, sodass die wichtige Schlackehalde nicht mehr unter russischer Kontrolle steht.

Das sieht nicht nach einer russischen Blitzkrieg-Taktik aus, die auch aufgrund der starken Befestigungen nicht möglich ist. Vieles deutet darauf hin, dass die Blaupause der russischen Angriffe auf Awdijiwka Bachmut ist. Hier wurde ebenfalls hauptsächlich an den Flanken vorgestoßen und der Nachschub in die Stadt massiv gestört. Eine Situation, die man auch in Awdijiwka erwarten kann.

Hier ist nur noch eine einzige befestigte Straße unter ukrainischer Kontrolle, über die Nachschub in die zur Festung ausgebaute Stadt gebracht werden kann. In der jetzt einsetzenden Schlammperiode können jegliche Fahrzeuge nur noch auf befestigten Straßen vorankommen, unbefestigte Straßen verwandeln sich in zähe Schlammbänder und sind mit Fahrzeugen nicht mehr passierbar.

Das gilt auch für Felder. Nur noch eine einzige Straße, die 00542, ist dann noch passierbar. Prinzipiell haben die russischen Angreifer das gleiche Problem mit dem Schlamm, nur stehen den Angreifern mehr Straßen und Möglichkeiten zur Verfügung, den wichtigen Nachschub an die kämpfenden Truppen zu bringen.

Die russischen Streitkräfte werden eine operative Einkesselung versuchen. Dazu benötigen sie nicht eine physische Sperrung der erwähnten 00542, sondern nur die Feuerkontrolle über die Straße, sodass die Verluste der ukrainischen Verteidiger unverhältnismäßig hoch werden – eine Taktik, die auch in Bachmut aufgegangen ist.

So können die russischen Streitkräfte weitestgehend darauf verzichten, Awdijiwka mit aller Macht frontal anzugreifen. Stattdessen wird es, wenn diese Taktik aufgehen sollte, auf eine langsame Abnutzung der ukrainischen Verteidiger hinauslaufen – so wie in Bachmut.

Beobachter gehen davon aus, dass in naher Zukunft eine strategische Luftkampagne beginnt, bei der Russland wichtige Ziele in der Ukraine mit Raketen, Drohnen und dem Einsatz von Kampfflugzeugen angreifen wird. Awdijwka könnte hier euch ein Ziel sein, um den Sturm mit Bodentruppen vorzubereiten.

ATACMS: Rückschlag für die russischen Luftstreitkräfte

Die Ukraine konnte einen unerwarteten Erfolg bei Berdiansk mit einer eigenen Luftkampagne vermelden: Bis zu 10 KA52-"Alligator"-Hubschrauber könnten bei einem ATACMS-Angriff auf einen Helikopterstützpunkt zerstört worden sind, vielleicht sogar in ihrer neuesten Version Ka-52M.

Das ist ein signifikanter Rückschlag für die russischen Luftstreitkräfte. Der Ka-52 wurde besonders durch seine sehr erfolgreichen Einsätze bei der Abwehr der ukrainischen Frühlingsoffensive bekannt – mit weit über 100 dokumentierten Abschüssen von ukrainischen Panzerfahrzeugen.

Die ATACMS ist eine bodengestützte, ballistische Kurzstreckenrakete, die bis zu 300 Kilometer Reichweite hat. Die Raketen werden vom Himars-System aus verschossen. Die russische Luftabwehr ist zum ersten Mal mit ATACMS konfrontiert worden und konnte dementsprechend noch auf keine Datenbasis zurückgreifen, um die Rakete abzufangen.

Luftabwehrsysteme sind lernenden Systeme. So ist davon auszugehen, dass sich das russische Militär auf den ballistischen Raketentypen einstellen wird und möglicherweise mit der Zeit einen großen Prozentsatz der ATACMS abzuwehren vermag – allerdings hat sich jetzt für die ukrainische Seite ein mehrwöchiges Zeitfenster geöffnet, in dem die russische Luftabwehr erst noch lernen muss, mit der ATACMS umzugehen.

Es gibt Hinweise, dass das ukrainische Militär eine neue Offensive bei Cherson startet – ein Angriff auf den Ka-52-Helikopterstützpunkt würde dazu gut ins Bild passen. Die ukrainische Armee hat erst vor einigen Tagen vier Brigaden in die Region Cherson verlegt und zusätzlich in den letzten Tagen Angriffe mit FPV-Drohnen stark intensiviert. Zudem scheinen russische Drohnen Brückenlege-Pionierausrüsstung zerstört zu haben.

Die hier zusammengestellten Informationen speisen sich aus folgenden OSINT-Quellen: Weeb Union, Military Summary Channel, Suriyakmap, Deepstatemap, Remilind23, Red Fish Bubble 2.1 (geschlossene Gruppe)