Ukraine-Krieg: Russland startet Offensivoperation

Kokerei Awdijiwka (AKHZ). Archivbild (2012): MOs810 / CC BY-SA 3.0 Deed

Die Initiative ist auf die russischen Streitkräfte übergegangen. Sie greifen vor allem im Raum Awdijiwka an. Womit zu rechnen ist.

Laut übereinstimmenden Informationen sowohl von russischer als auch von ukrainischer Seite haben die russischen Streitkräfte eine größer angelegte Offensivoperation nahezu an der gesamten östlichen Front begonnen.

Das berichtet etwa der Stabschef der ukrainischen Asow-Brigade, Bohdan Oleksandrovych Krotevych, auf seinem X-Account. Die pro-ukrainische Deepstat-Map meldet mindestens elf unterschiedliche Angriffsoperationen.

Seit der gescheiterten Offensive der ukrainischen Armee vor rund einem Monat war es an den Frontabschnitten relativ ruhig geblieben. Seit rund vier Wochen sind die ukrainischen Streitkräfte zu keinen größeren Angriffen mehr in der Lage gewesen.

Im Frontabschnitt bei Robotyne, in dem der Hauptstoß der ukrainischen Offensive stattfand, gibt es trotz fortgesetzter Kleingruppen-Infanterie-Angriffe seitens der Ukraine seit rund vier Wochen keinerlei Geländegewinne mehr.

Die Verluste für die Angreifer, die über offene Felder voran mussten und dabei auf gut ausgebaute Verteidigungslinien trafen – bei gleichzeitiger totaler russischer Luftüberlegenheit und dies ohne die Hilfe von gepanzerten Fahrzeugen –, dürften enorm gewesen sein.

Russische Angriffe im Raum Awdijiwka

Jetzt ist die Initiative auf die Streitkräfte Russlands übergegangen, die vor allem im Raum Awdijiwka in die Offensive gehen.

In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober startet die russische Luftwaffe eine Reihe von Angriffen auf die ehemalige Bergarbeiterstadt, vermutlich mit Gleitbomben des Typs FAB mit Gleit-Rüstsatz, deren Benutzung bereits im September auf einen Rekordwert von angeblich mindestens 840 Abwürfen an der gesamten Frontlinie angestiegen ist.

Zudem wurden Logistik-Knotenpunkte im Hinterland angegriffen, wie etwa der Bahnhof von Otscheretyne. Seit einigen Tagen gab es bereits in benachbarten Frontabschnitten intensivere Artillerie-Vorbereitung.

Drohende Einkesselung

Awdijiwka ist eine Kleinstadt in der Donezk-Region und hatte 2019 etwa 32.500 Einwohner. Sie befindet sich ungefähr 15 Kilometer nördlich des Zentrums der Stadt Donezk und ist seit dem Krieg im Donbas 2014 umkämpft.

Im März 2023 erlitt die Stadt aufgrund von Angriffen seitens russischer Kräfte erhebliche Zerstörungen. Die verbliebenen etwa 2.000 Zivilisten wurden von der ukrainischen Militärverwaltung aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Die Stadt gilt als stark befestigt, vermutlich ist das südwestliche Hochhausviertel besonders stark fortifiziert.

Die Kleinstadt liegt im Moment für die Ukrainie strategisch ungünstig in einem Halbkessel. Folglich laufen die russischen Angriffe nicht nur aus südlicher Richtung kommend direkt auf Awdijiwka zu, sondern auch in einer Zangenbewegung von Vodiane Richtung Sieverne und von Krasnohorivka Richtung Stepove.

Ziel ist es offenbar, Awdijiwka einzukesseln oder zumindest den ukrainischen Nachschub kontinuierlich unter Beschuss nehmen zu können.

Bisher gelang es den russischen Streitkräften, die Schlackenhalde des Kokerei und Chemiewerk Avdiivka (AKHZ) einzunehmen. Die Halde ist strategisch wichtig, weil diese einen Überblick über das Werk und die Stadt erlaubt.

Ausblick

Für ein erstes Lagebild ist es noch zu früh. Videos zeigen Kolonnen von russischen Panzern, die sich über Felder Awdijiwka annähern. Laut des YouTube-Kanals Military Summary Channel gelang es den russischen Militärs, die Minenfelder zwischen Vodiane und Sieverne zu überwinden.

Entscheidend wird sein, ob es den russischen Streitkräften gelingen kann, die ukrainischen Verteidigungsanlagen zu bezwingen. Der bisherige Kriegsverlauf zeigt, dass beiden Seiten große Schwierigkeiten haben, gut ausgebaute Defensivstellungen zu überwinden.

Awdijiwka gilt als stärker befestigt als Bachmut. Dort gelang es den russischen Wagner-Söldnern, den Ort – nach Monaten schwerster Kämpfe – einzunehmen. Sollte sich Russland entschieden haben, Awdijiwka zu stürmen, ist mit ähnlich langen Kämpfen zu rechnen.

Laut einer aktuellen dpa-Meldung, die sich auf Informationen des ukrainischen Generalstabs stützt, soll das ukrainische Militär nach eigenen Angaben "neue schwere russische Angriffe auf die bereits seit Monaten umkämpfte Stadt Awdijiwka im östlichen Gebiet Donezk abgewehrt haben". Dem hinzugefügt wird, dass sich dieser Bericht wie auch die von russischen Militärbloggern nicht überprüfen lassen.

Aus Telegramm-Kanälen geht hervor, dass Spezialisten der Wagner-Truppen an der Offensive beteiligt sind. Die Wagner-Expertise kann nützlich sein, denn das südliche Hochhausviertel Awdijiwkas erinnert in seiner verdichteten Bauweise stark an Bachmut.

Geostrategisch günstiger Zeitpunkt

Die Ukraine wird Truppen von anderen Frontabschnitten nach Awdijiwka verlegen müssen. Über frische Reserven verfügt das Land im Gegensatz zu Russland nicht mehr. Die Offensive kommt geostrategisch günstig, weil sich die internationale Aufmerksamkeit auf Israel konzentriert.

Je nach Schwere und Dauer des neuen Nahostkonfliktes wird es für die Ukraine, die fast vollständig von westlichen Waffenlieferungen abhängt und über nahezu keine eigene Rüstungsindustrie mehr verfügt, deutlich herausfordernder werden, an neue Waffen und Munition zu kommen.

Für den Artikel wurden Informationen herangezogen von Weeb Union, Military Summary Channel, Suriyakmaps, Deepstatemaps, Remilind23, Red Fish Bubble 2.1